In den vergangenen Jahrzehnten hat China viel an historischer Bausubstanz verloren. Inzwischen hat jedoch ein Umdenken eingesetzt – das bauliche Erbe wird zunehmend wertgeschätzt. Für den Stadtteil Kuilongfang hat der Architekt und Universitätsprofessor Jie Zhang ein Restaurierungskonzept realisiert, das die speziellen chinesischen Rahmenbedingungen gekonnt einbezieht.
von Fabian Peters
Bereits zum zweiten Mal wurden Sie und Ihr Team bei den ICONIC AWARDS: Innovative Architecture mit dem mit dem “Best of Best”-Award ausgezeichnet. In diesem Jahr hat die Restaurierung des historischen Stadtteils Kuilongfang die Jury überzeugt. Was macht dieses Projekt so besonders?
Prof. Jie Zhang: Das Viertel Kuilongfang ist eines der ältesten in der Stadt Lianjiang, einer ehemals bedeutenden Handelsstadt. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erlebte Kuilongfang einen Niedergang. Die großen Patrizierhäuser wurden unter der sozialistischen Regierung an die Arbeiterschicht aufgeteilt.
Später führten finanzielle Schwierigkeiten dazu, dass das Geld für die Instandsetzungsarbeiten an den völlig überbelegten historischen Bauten fehlte. Vor einigen Jahren beschloss man, Kuilongfang bis auf wenige Baudenkmäler abzureißen und neu zu bebauen.
Hatte man kein Interesse an der historischen Bausubstanz?
Die Bewohner wünschten sich einen zeitgemäßen Wohnkomfort, der in den alten Häusern fehlte. Für sie sollten deshalb Neubauten errichtet werden. Als wir zu diesem Projekt hinzugerufen wurden, war die Hälfte des alten Stadtteils bereits abgerissen und abgeräumt.
Wie gelang es Ihnen, das Ruder herumzureißen?
Wir führten intensive Gespräche mit der Stadt und dem Entwickler, der das Quartier transformieren sollte. Wir drängten darauf, nicht nur einige wenige, besonders denkmalwürdige Häuser zu erhalten, sondern den Charakter eines der ältesten Viertel der Stadt bestmöglich zu bewahren.
„Als wir zu diesem Projekt hinzugerufen wurden, war die Hälfte des alten Stadtteils bereits abgerissen und abgeräumt.“
– Prof. Jie Zhang
Es war sicher nicht leicht, eine bestehende Planung umzustoßen. Mit welchen Vorschlägen haben Sie den Entwickler und die Stadt schließlich überzeugt?
Wir standen gleich vor mehreren Herausforderungen: Die drängendste war, wie mit den Flächen verfahren werden sollte, die bereits freigeräumt worden waren. Wir schlugen vor, dort keine Hochhäuser zu errichten, sondern niedriger zu bauen, um den Charakter des Viertels zu bewahren.
Mit großem Aufwand gelang es uns, einen neuen Bauplan zu entwickeln, der einerseits niedrigere Bauhöhen vorsah, anderseits die Struktur und den Charakter des alten Stadtteils aufgriff und fortführte – etwa, indem wir Ladenlokale im Erdgeschoss vorsahen.
Ist es in China ungewöhnlich, dass beschlossen wird, ein solches historisches Stadtviertel zu erhalten und zu sanieren?
Wir haben in Liangjiang davon profitiert, dass in China in den letzten Jahren das Bewusstsein für das kulturelle Erbe enorm gewachsen ist. Das hat es möglich gemacht, dass wir ein Einverständnis mit allen Beteiligten bezüglich unseres Sanierungsplans erreichen konnten.
Wir haben klar machen können, dass es möglich ist, die historische Bausubstanz, so heruntergekommen sie auch war, an neue Nutzungen anzupassen. Allerdings mussten wir zunächst überhaupt festlegen, welche Nutzungen sinnvoll sind.
Wie sind Sie dabei vorgegangen?
Es gab beispielsweise ein schönes altes Hofhaus, in dem sich einstmals der Familienschrein einer großen und bedeutenden Familie befand. Familienmitglieder besuchen diesen Ort nach wie vor. So überlegten wir uns: Wenn es Menschen gibt, die dieses Haus besichtigen wollen: Warum richten wir hier nicht ein Zentrum für das kulturelle Erbe der Stadt ein? Auch für Häuser ohne besonderen Denkmalwert haben wir versucht, Nutzungen zu finden, die sie für die ehemaligen Bewohner zugänglich machen – etwa Restaurants und Läden. In gewisser Weise ist dies ein Modellprojekt für China.
Welche konzeptuellen Ansätze leiten die Denkmalsanierung in China?
Die „Charta von Venedig“, die in Europa in den letzten Jahrzehnten beim Restaurieren und Bauen im Bestand großen Einfluss hatte, findet inzwischen auch in China viel Beachtung. Auch bei uns spielt die Konservierung der Originalsubstanz eine immer größere Rolle. Allerdings gibt es häufig Diskussionen darüber, ob es besser ist, beschädigte und abgenutzte Bauteile zu konservieren oder durch Kopien zu ersetzen. In unserem Büro beschäftigen wir uns seit 20 Jahren mit dieser Frage. Im Vergleich mit Europa muss man dabei berücksichtigen, dass in China ein Großteil der historischen Architekturen Holzbauten sind, die nicht die Dauerhaftigkeit von Steinkonstruktionen besitzen.
Wie wird das Projekt von der Bevölkerung angenommen?
Unsere Art der Renovierung und Revitalisierung eines Stadtteils war für diesen Teil Chinas so neuartig, dass sie viele junge Leute, die fortgegangen waren, zurück nach Liangjiang gezogen hat. Gleichzeitig führte der Erfolg der Restaurierungskampagne dazu, dass nun auch die übrigen erhaltenen Teile der Altstadt in dieser Form saniert werden sollen. Darüber sind wir sehr glücklich und es macht uns Mut für die Zukunft.
„Unsere Art der Renovierung und Revitalisierung des Stadtteils war so neuartig, dass sie viele junge Leute, die fortgegangen waren, zurück nach Liangjiang gezogen hat.“
– Prof. Jie Zhang
Das ist natürlich ein enormer Erfolg. Glauben Sie, dass dieser Ansatz für Chinas Städte einen Weg in die Zukunft aufzeigt?
Vor einigen Jahren hat die UNESCO Konservierung als einen wichtigen Eckstein für die nachhaltige Stadtentwicklung im 21. Jahrhundert definiert. Unser Projekt übersetzt dieses Ziel in einen chinesischen Kontext. Die chinesische Regierung unterstützt sogenannte hochqualitative Stadtentwicklung. Das bedeutet in meinen Augen, dass die Entwicklung auch eine ausgeprägte kulturelle Dimension haben muss. Das Kuilongfang-Projekt stellt unter Beweis, dass Kultur große Kraft bei der nachhaltigen, sozialen und ökonomischen Stadtentwicklung besitzen kann. Ich hoffe daher, dass unser Projekt Vorbildcharakter besitzt – zumindest bei bestimmten städtischen Sanierungsprojekten.
Was unterscheidet den chinesischen Kontext etwa von einem europäischen?
In China ist die ökonomische und demografische Situation eine völlig andere als in Europa. Die Verstädterung in China verläuft in hoher Geschwindigkeit und die Bevölkerungsdichte in den Metropolregionen ist enorm. Kuilongfang liegt in einer schnell wachsenden Metropolregion und der Stadt stehen nur begrenzte Flächen für den Wohnungsbau zur Verfügung. Ich glaube, dass unser Projekt ein gutes Beispiel dafür darstellt, wie man den Erfordernissen, die aus dem Stadtwachstum entstehen, und dem Wunsch nach Denkmalschutz gleichermaßen gerecht werden kann. Wir fühlen uns sehr geehrt, dass unser Ansatz auch in Europa Wertschätzung erfährt und dass wir für das Kuilongfang-Projekt mit dem ICONIC-Award ausgezeichnet wurden.
Sie sagten vorhin, dass es ein neues Bewusstsein für den Wert historischer Bausubstanz in China gibt. Macht es das generell einfacher, Konservierungsprojekte umzusetzen und historische Innenstädte zu bewahren?
Definitiv! Die Regierung hat in den letzten Jahren zahlreiche Gesetze zum Denkmalschutz erlassen und auch in der Öffentlichkeit ist das Bewusstsein für diese Themen enorm gewachsen. Einerseits erfahren wir dadurch bei unseren Sanierungsprojekten mehr Unterstützung, andererseits stellt es uns auch vor neue Herausforderungen: Wir müssen in Zusammenarbeit mit den Bürgern und Städten neue Nutzungen für die historischen Bauten finden und gleichzeitig die ökonomischen Erfordernisse im Blick behalten. Dieser Balanceakt ist schwierig. Wir haben in China 140 denkmalgeschützte Innenstädte. Zugleich sind diese 140 Städte die wirtschaftlichen Zentren des Landes. Es gibt 760.000 denkmalgeschützte Gebäude in China, die wir schützen müssen, die wir nutzen müssen, die wir in unser heutiges Leben integrieren müssen. Das ist ein großer Druck, der auf unserer Profession lastet. Wir können dieses Problem nur lösen, indem wir unser bauliches Erbe zu einem positiven Faktor in der kulturellen, ökonomischen und sozialen Entwicklung Chinas machen.
Sie sind nicht nur als praktischer Architekt tätig, sondern lehren auch Architektur an der Tsinghua Universität in Peking. Interessieren sich Ihre Studierenden für Themen wie Denkmalschutz?
Immer mehr Studierende interessieren sich dafür. Es wird gerade zu einer sehr trendigen Disziplin. Das gilt übrigens nicht nur für das Studienfach Architektur, sondern auch beispielsweise für die Geisteswissenschaften. Restaurierungsprojekte ziehen überwiegend junge Leute als Besucher an – das ist ein Phänomen, das in ganz China zu beobachten ist.
Mehr über das ausgezeichnete Projekt erfahren Sie hier.
Über die ICONIC AWARDS 2024: Innovative Architecture
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