Künstliche Intelligenz ist nicht nur ein Innovationsmotor, sondern auch ein erheblicher Energieverbraucher. Wir haben fünf Expert*innen aus den Bereichen Design, Architektur und Philosophie befragt, wie nachhaltig der Einsatz von KI tatsächlich ist und welche sozialen sowie ökologischen Kosten mit dieser Technologie verbunden sind.
von Oliver Herwig
Eine geradezu absurde Frage: KI und Nachhaltigkeit! Doch sie ist mehr als relevant. Nachdem der Hype um automatisierte Rechtsgutachten, Texte und Bilder langsam verraucht, kommen Verwerfungen zu Tage: KI ist alles andere als klimaneutral und wahrscheinlich weniger sozial, als viele denken. Künstliche Intelligenz (KI) treibt den Energieverbrauch. Bereits das Training großer Modelle erfordert hohe Rechenleistung: GPT-3 verschlang über 1000 Megawattstunden – wie sonst rund 100 Haushalte in einem Jahr. Rechenzentren, die KI-Anwendungen unterstützen, verbrauchen schon heute rund 200 Terawattstunden im Jahr. Tendenz: dramatisch steigend. Da der Einsatz von KI weltweit steigt, werden sogar alte Kernreaktoren wieder angeworfen. Microsoft etwa investiert in die berüchtigte Anlage von Three Mile Island und lässt sich bald exklusiv von dort beliefern.
Hinzu kommen soziale und wirtschaftliche Überlegungen. Wie sinnvoll ist es, immer mehr Aufgaben zu automatisieren und Menschen freizustellen, die Familien versorgen und in der Mitte der Gesellschaft leben? Werden sie alle höher qualifizierte Tätigkeiten ergreifen können – und wie wirtschaftlich ist der Einsatz von KI überhaupt? Nachhaltigkeit ist der Schlüssel, wenn wir unsere Zukunft nicht verspielen wollen. Wir haben fünf Expert*innen aus den Bereichen Design, Architektur und Philosophie gefragt: Wie steht es um die Nachhaltigkeit von „energie- und datenhungrigen Simulationsmaschinen“? Die Antworten könnten spannender nicht sein. Überraschend oft taucht der Ruf nach Regulierung auf.
Das Unsichtbare sichtbar machen
Sven-Anwar Bibi, Designer und Design-Manager


Wir von Futurice betrachten KI als Befähigung. Als Erweiterung dessen, was wir können. Sie macht das Unsichtbare sichtbar. Futurice ist in den letzten 25 Jahren auf fast 850 Leute angewachsen. Und dieses Wachstum schuf Silos, kleine Unternehmen im Unternehmen. Daher haben wir angefangen, eine Plattform mit dem gesamten Wissen unserer Organisation zu füttern. Die KI befähigt mich, auf einmal mehr zu wissen. Sie befähigt mich, in Ebenen hineinzuschauen, die ich niemals betreten könnte, weil ich mir über ihre Existenz gar nicht im Klaren war. Letzten Endes sind wir Designerinnen und Designer immer mehr Knowledge-Worker. KI befähigt uns, mit Komplexität umzugehen, um relevante Produkte entstehen zu lassen und Zugang zu Wissen zu erlangen.
Wir nutzen tatsächlich KI, um Codes leichter zu machen und damit Energie zu sparen und “Waste” zu vermeiden. Wenn man das größer fasst, geht die digitale Transformation immer mit Nachhaltigkeitsbewältigung einher. Das schaffen wir eben nicht, indem wir nicht digitalisieren, keine Prozesse automatisieren oder keine Technologien einwenden. Mit KI stecken wir gerade in der Explorationsphase, aber wenn es um Anwendungen geht, schauen wir, wo Überflüssiges vermeiden können, indem wir Prozesse effizienter und schneller machen und so die Kosten reduzieren.
Gestern hörte ich einen Bericht zum Einsatz KI-unterstützter Avatare in der Sonderpädagogik, womit Kinder, die nicht sprechen können, befähigt wurden, verbal mit der Welt zu kommunizieren. KI kann Inklusion befördern – und das ist doch schon ziemlich nachhaltig.

– Sven-Anwar Bibi, Designer und Design-Manager
Diese Tür geht nicht mehr zu
Laura Kiesewetter, Architektin und Forscherin


Künstliche Intelligenz öffnet uns gerade in der Baubranche eine ganze Reihe von Türen, um Architektur nachhaltiger zu gestalten: Optimierungs-Algorithmen können uns helfen, Gebäude nachhaltiger zu entwerfen, den Lichteintrag zu verbessern und dabei Grundrisse besonders effizient aufzuteilen. Im Betrieb kann der operative Energieverbrauch minimiert werden, indem KI in die Steuerung der Gebäudetechnik integriert wird. Beim Abbruch eines Gebäudes kann KI helfen, Bauteile zu kategorisieren und katalogisieren und so die Wiederverwendung zu erleichtern.
Diese im Moment unbegrenzt scheinenden Möglichkeiten stehen dem hohen Energieverbrauch der rechenintensiven KI-Modellen gegenüber. Ist dieser Preis zu hoch für das Werkzeug KI? Jetzt, da sich uns ein Blick auf die Möglichkeiten geboten hat, lassen sich die Türen nicht mehr verschließen. Wir brauchen möglichst schnell Reglementierungen und Richtlinien, um Missbrauch der teuren Technologie zu begrenzen und uns den Weg in Richtung einer sozial und ökologisch nachhaltigen Zukunft zu weisen.

– Laura Kiesewetter, Architektin und Forscherin
KI reduziert Komplexität nicht
Gordon Gillespie, Philosoph und Mathematiker


Die Natur ist nicht kompliziert, sie ist komplex. Gleiches gilt für unsere soziale Umwelt und uns selbst. Kompliziert wird es erst, wenn wir versuchen, uns die Natur, unsere soziale Umwelt oder uns selbst verständlich zu machen.Intelligenz und Kreativität kommen dann zum Tragen, wenn es um die Reduktion von Komplexität geht. KI reduziert Komplexität nicht, sie simuliert sie. Gerade weil KI nicht intelligent ist, weil sie nicht versucht, die Welt zu verstehen, gelingt es ihr, die Welt in einigen Hinsichten so gut nachzuahmen. Den Boden für die Nachahmung bilden Daten und Rechenleistung. Je mehr Daten und Rechenleistung, desto mehr und bessere Nachahmung. Beunruhigend hieran ist nicht das Nahen einer allwissenden Superintelligenz. Sorgen muss vielmehr das Nahen immer daten- und energiehungriger Simulationsmaschinen bereiten, die immer mehr Aspekte unserer natürlichen, sozialen und persönlichen Welt immer genauer berechnen und nachahmen, ohne sie zu verstehen. Deshalb darf die weitere Entwicklung der KI nicht einfach den Entwicklern überlassen werden. Die Begrenzung nach ökologischen, ethischen wie sozialen Gesichtspunkten kann nur von außen kommen. Wer weiß, vielleicht erwächst eines Tages gerade aufgrund der Begrenzung wirklich eine Art von Intelligenz aus den neuronalen Netzen der KI. Sind Intelligenz und Kreativität an Kohlenstoffverbindungen gebunden? Den Gegenbeweis wird die KI nicht erbringen, wenn sie weiter nach dem Prinzip des Immer-mehr fortschreitet. Ein anderes Prinzip muss her, wenn KI nicht bloß ein mächtiges Werkzeug mit fragwürdiger Kosten-Nutzen-Bilanz bleiben soll. Das Prinzip muss nachhaltig sein – vor allem um der Nachhaltigkeit willen, aber auch um der Befriedigung unserer philosophischen Neugier willen: Das Erwachen einer auf Silizium oder sonstigen anorganischen Materialien basierten Intelligenz würde unser Selbstbild in ungeahnter Weise herausfordern und bereichern. Seien wir gespannt, und arbeiten wir darauf hin!

– Gordon Gillespie, Philosoph und Mathematiker
KI im Bauwesen: Ein zweischneidiges Schwert für die Nachhaltigkeit
Shermin Sherkat, Architektin und Forscherin


KI bietet ein großes Potenzial, das Bauwesen zu verändern, die Effizienz zu verbessern und die Nachhaltigkeit zu fördern. Eine sorgfältige Bewertung der verschiedenen KI-Methoden ist jedoch entscheidend.
KI-Methoden, die Trainingsdaten erfordern, wie maschinelles Lernen, erweisen sich für kritische Aufgaben im Bauwesen, wie die Entscheidungsfindung, oft als unzuverlässig. Diese Methoden beruhen in der Regel auf Mustererkennung und Statistik, nicht auf Logik, was zu Fehlern führt, die nur schwer nachvollziehbar sind. Außerdem sind für das Training große Datenmengen und erhebliche Rechenressourcen erforderlich, was häufig zu einem hohen Energieverbrauch und Wasserverbrauch für die Kühlung der Computer führt. In Anbetracht der erforderlichen Zuverlässigkeit und der hohen Umweltkosten könnte man sich fragen, ob sich diese Methoden für den Einsatz im Bauwesen lohnen, wo eine fehlerfreie Leistung unerlässlich ist.
Im Gegensatz dazu bieten KI-Techniken wie Case-based Reasoning (CBR) und Optimierung, die auf Logik und Algorithmen beruhen, zuverlässigere Lösungen mit deutlich geringerem Ressourcenbedarf. Mit CBR können beispielsweise effiziente Bauprozesspläne geplant werden, was zu weniger Überstunden und Verschwendung führt, und mit Optimierungstechniken kann der Energieverbrauch eines Gebäudes direkt gesenkt werden.

– Shermin Sherkat, Architektin und Forscherin
Das Problem ist nicht die KI selbst
Ana Relvão und Gerhard Kellermann, Designer*innen


KI ist sehr interessant, weil sie die Art und Weise, wie wir mit Maschinen interagieren, massiv verändern wird. Ihre Fehler und Unzulänglichkeiten bringen uns dazu, in andere Richtungen zu denken. Aber gleichzeitig versteht sie den Sinn des Ganzen nicht wirklich. Es ist also sehr wichtig, richtig zu reagieren. Im Allgemeinen sind wir sehr gespannt, was passieren wird.
Was die Nachhaltigkeit betrifft, so wird KI noch viel Energie verbrauchen. Das Hauptproblem besteht darin, herauszufinden, was nachhaltig ist. Wir müssen all die vernetzten und ineinandergreifenden Verbindungen verstehen, um wirklich zu wissen, dass zum Beispiel ein Material einen größeren Fußabdruck hat als ein anderes. KI könnte bei diesen Entscheidungen helfen. Auf der anderen Seite geht es auch um Geschwindigkeit. Denken Sie nur daran, was mit der Moderna-Impfung passiert ist. Normalerweise dauert das 10 bis 15 Jahre. Durch die Tests mit KI war es möglich, einen Impfstoff in weniger als einem Jahr zu entwickeln.
Das Problem ist also nicht die KI an sich. Das Problem ist, wie wir die KI füttern, denn ihre Geschwindigkeit und ihre Fähigkeit, Daten zu verdauen, zu denen kein Mensch jemals in der Lage sein wird, ist sehr interessant. Wir stehen noch ganz am Anfang, und mit der Zeit werden sich nachhaltigere Wege in Bezug auf Energie herauskristallisieren. KI könnte also im Hinblick auf Nachhaltigkeit sehr nützlich sein. KI ist perfekt für die Analyse komplexer Produktionsketten. Agenten scheinen der nächste Schritt in der KI zu sein. Sie können wirklich hilfreich sein. Es gibt immer eine Entwicklung: Wir finden etwas Gutes, wir finden etwas Schlechtes und wir entwickeln etwas Besseres. KI ist da keine Ausnahme.Wir hoffen, dass KI die Nachhaltigkeit unterstützen kann, denn im Moment ist das eine sehr schwierige Aufgabe. Wir erwarten keine Wunder. Aber KI ist definitiv ein nützliches Werkzeug.

– Ana Relvão und Gerhard Kellermann, Designer*innen
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