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Ob Hundehaare, Bananenblätter oder Seegras: Solchen außergewöhnlichen Naturmaterialien könnte die Zukunft gehören. Sie sind nicht nur nachhaltig, weil biologisch abbaubar, sondern durch innovative Technologien auch hochfunktional und überraschen die Sinne.

Von Martina Metzner.

Neptunbälle aus Seegras werden mittlerweile als 100 Prozent natürliche Gebäudedämmung eingesetzt. Bild: NeptuTherm

Lange hatte man sie für das Nonplusultra gehalten, die Materialien der Moderne wie etwa Beton oder Kunststoffe. Inzwischen werden sie harsch kritisiert. In der Umwelt lassen sie sich nicht abbauen, ihre Produktion ist mit hohem CO2 Ausstoß verbunden, sie benötigen größtenteils endliche Ressourcen, dünsten giftige Stoffe aus, und, und, und. Kurzum: Ihr ökologischer Fußabdruck ist problematisch. Mittlerweile ist das Thema Ressourcenschutz in der Mitte der Gesellschaft angekommen. An nachhaltigen Materialien führt kein Weg mehr vorbei, aber auch der Anspruch an sie wächst. Klimaneutral, biodivers, abbaubar, kompostierbar, rezyklierbar, emissionsfrei, sortenrein und vor allem nachwachsend und organisch sollten sie sein, die Roh- und Werkstoffe, mit denen wir die Zukunft gestalten.

Während vor rund 15 Jahren noch Bio-Baumwolle und später Bio-Komposits aus recyceltem Abfall verstärkt aufkamen, beeindruckt in den vergangenen Jahren vor allem die Vielfalt an Werkstoffen aus rein organischer Herkunft, deren Vorteil es ist, nachwachsend zu sein und vollständig in den biologischen Kreislauf zurückgeführt werden zu können. Durch innovative Weiterentwicklung, aber auch durch ein leidenschaftliches Engagement zumeist junger Forscher/innen, Designer/innen und Start-ups, schaffen sie aus dem Experimentalstatus heraus den Sprung in den Markt. Und das mit Erfolg: Neue Naturmaterialien stehen wie kaum zuvor in der Gunst der Konsument/innen. Dass quasi alle Macher/innen mit ihren Projekten die Ressourcenverschwendung stoppen, Rohstoffe aus Erdöl minimieren wollen sowie auf ökologische Anbaumethoden, faire und klimaneutrale Produktion und kurze Lieferketten achten, versteht sich dabei fast von selbst. Darüber hinaus allerdings verfolgen diese Projekte unterschiedliche nachhaltige Ziele.

Mit Pilzen und Seegras bauen

Pilze werden seit Jahren als das Supermaterial gehandelt, sie bedürfen keiner intensiven landwirtschaftlichen Produktion und großer Anbauflächen. Doch bislang blieb ihre Verwendung vor allem auf dem Experimentier-Level. Das ändert sich nun. Mittlerweile gibt es auf dem Markt verfügbare akustische Absorber-Lösungen für Innenräume, die aus Pilzen bestehen, wie Myamo und Mogu Acoustics. Sie basieren auf Myzelien, dem feinen Wurzelgeflecht der Pilze, deren Matrix-Struktur durch langsames Trocknen stabil wird. Der Hochbausektor muss sich hingegen noch etwas gedulden: So sind Versuche wie der MycoTree des Karlsruhe Institute of Technology, eine Struktur aus Pilzmyzelium und Bambus, aus der man mithilfe von 3D-Modellen tragfähige Strukturen bauen kann, zwar vielversprechend. Dennoch muss weiter an Druck-und Zugbelastbarkeit geforscht werden.

Um Pilzgewebe als Konstruktionsmaterial einzusetzen, wird Zug- und Biegefestigkeit geforscht. Bild: Carlina Teteris
Mittlerweile gibt es marktreife Schallabsorber aus Pilyzmyzelien. Bild: Katharina Querbach

Dass die Natur ihre wertvollen Stoffe üppig verschenkt, macht sich auch NeptuTherm zunutze. Die am Mittelmeer-Strand angeschwemmten Bälle aus Seegras bietet das Unternehmen aus Karlsruhe seit rund zehn Jahren als Dämmung an. Bei den so genannten „Neptunbällen“ handelt es sich um Blätter und Rhizome der Posidonia-Pflanze, die fürs Bauen ohne Zusätze aufbereitet werden und Brandstoffklasse B2 erreichen. Seit wenigen Jahren kommt die Nachfrage nicht mehr nur aus dem ökologischen, sondern auch aus dem konventionellen Bausektor. Am Ende der Nutzung kann man die NeptuTherm-Dämmung bedenkenlos kompostieren – denn sie ist entgegen dem ähnlichen Versprechen vieler Mitbewerber wirklich zu 100 Prozent aus natürlichen Rohstoffen.

Biodiverse Landwirtschaft fördern

Alte Maissorten sehen als Furnier nicht nur ästhetisch aus, sondern fördern auch die Biodiversität. Bild: Fernando Laposse

Ginge es nach Designer/innen wie Fernando Laposse, trüge der Rohstoffanbau auch zum Erhalt der Biodiversität bei. So entwickelte der Designer mit Totomoxtle ein Furnier aus Maisblättern, die von alten Sorten stammen. Damit macht er aufmerksam auf den landwirtschaftlich, aber auch ökologisch und politisch problematischen Mais-Anbau: Durch die Konzentration auf gezüchtete, mit Düngemitteln und Herbiziden angereicherten Hybridsamen wurden die Bäuerinnen und Bauern in Mexiko abhängig von Saatgutherstellern. Der Boden erodierte stark. Seit 2016 wird in Tonahuixtla wieder mit traditionellen landwirtschaftlichen Methoden Mais in sechs alten Sorten angebaut und die indigene Bevölkerung kann von deren Anbau leben.

Hoch im Kurs stehen Naturmaterialien aus pflanzlichen Nebenprodukten sowie aus Agrar- oder Produktionsabfällen, wie etwa Bananenblätter, Kaffeebohnen bis hin zu Mais oder Reis. Sie landen nicht auf dem Kompost, sondern werden aufbereitet. Die Idee dahinter: Alles von den geernteten Mineralien, Pflanzen oder gezüchteten Tieren soll verwertet werden. So dienen die Blätter von der auf den Philippen wachsenden Abacá-Pflanze als Basis für ein sehr stabiles, industrielles Garn, das die Zürcher Firma Qwstion zu dem Textil Bananatex entwickelt hat und das mittlerweile in Rucksäcken zum Einsatz kommt, aber auch als Polsterstoff angeboten wird. Dazu werden die sehr langen und robusten Fasern der Blätter zu Papier gefertigt und dann zu einem Garn versponnen, das mit Bienenwachs beschichtet wird, um es wasserfest zu machen.

Noch eine exotische Frucht macht jüngst von sich als alternativer Rohstoff reden: Die Fasern der Ananasblätter ersetzen die sonst aus Holz stammenden Zellulosefasern für Papier. Die aus Ernteabfällen gewonnen Fasern werden auch von Piñatex verwendet, die daraus vor einigen Jahren eine Lederalternative entwickelt haben, die mittlerweile von vielen veganen Modelabels eingesetzt wird. Auch Apfeltrester, Birkenrinde, Kaktusfasern, Kombucha, Wein bis hin zu Biochitin von Krustentieren dienen mittlerweile als Lederersatz.

Qwstion verwendet die robusten Fasern der Abacà-Pflanze aus den Philippinen für seine Rücksäcke. Bild: Lauschsicht
Aus den Fasern von Ananasblättern, die als Ernteabfall anfallen, kann Papier oder eine Lederalternative hergestellt werden. Bild: eco:fibr

Abfälle kompostieren oder verwerten

Der Sneature aus 3D-gestrickten Hundehaaren und einer Pilzsohle lässt sich zu 100 Prozent kompostieren. Bild: Emelie Burfeind

Auch in das Feld der tierischen Naturmaterialien kommt Bewegung. Ausrangierte Wolle wird für Dämmung und Teppichboden eingesetzt, Seidenfasern für Sportschuhe und Stühle, Bakterien für biologische Färbungen und last but not least werden menschliche und tierische Exkremente und Haare wiederverwendet. Nachdem Sanne Visser 2016 aus menschlichen Haaren Wolle herstellte, ist es nun einer Designabsolventin der HfG Offenbach am Main gelungen, Tierhaare für Sneaker einzusetzen. Dazu arbeitet Emilie Burfeind mit dem Berliner Start-up Modus Intarsia zusammen, das die Unterwolle der Hunde sammelt und sie zu einem Wollgarn namens Chiengora aufbereitet. Aus 3D-Strick geformt und mit einer Sohle aus Pilzmyzelien versehen, ist der Sneature komplett kompostierbar. Eine Idee, die schon 2018 C&A mit seinem vollkompostierbaren T-Shirt hatte, die aber durch neue Entwicklungen wie jene von Burfeind, aber auch durch das Projekt Design to fade von Puma und Living Colour wieder an Fahrt aufnimmt.

Traditionelle Naturmaterialien neu entdecken

Mit Naturmaterialien bauen: Immer mehr Gebäude werden mit Lehmfertigteilen gebaut. Bild: Lehm Ton Erde, Emmanuel Dorsaz

Ins Schwärmen kommen viele, wenn es um fast vergessene, traditionelle Naturmaterialien geht, die durch die Industrialisierung aus dem Blickfeld geraten sind. Mit ihnen werden über die ökologischen Qualitäten hinaus auch atmosphärische verbunden. So setzt der britische Stoffhersteller Camira etwa auf Brennnesseln für seine Textilien, Designer wie Stefan Diez oder Uli Budde bauen Möbel aus Bambus oder Rattan, und Büro Belén oder Anastasiya Koshcheeva gestalten ihre Textilien und Lederalternativen aus Baumrinde. In diesem Zuge rückt für den Hausbau neben dem mittlerweile stark favorisierten Holz auch Lehm wieder in den Fokus. Eines der Leuchtturmprojekte ist der neue Alnatura Campus in Darmstadt von haascookzemmrich in Kooperation mit dem Lehmbauspezialisten Martin Rauch und den Energieexperten Transsolar, der 2018 eröffnete und seitdem unzählige Nachhaltigkeitspreise und noch mehr Aufmerksamkeit bekommen hat. Seine Besonderheit: Die Wände des mehrgeschossigen Baukörpers mit großem Atrium sind aus einer 70 Zentimeter dicken Stampflehmschicht gefertigt, die über eine Kerndämmung aus Schaumglasschotter verfügt. Die Lehm-Technologie ist so ausgeklügelt, dass die Räume nur über Geothermie beheizt und auch gekühlt werden. Und die europaweite Nachfrage nach dem Stampflehm ist mittlerweile so groß, dass seit kurzem Stampflehmblöcke vorgefertigt hergestellt und ausgeliefert werden.

Diese Materialien aus organischer Herkunft dürften erst der Anfang einer Welle an weiteren Entwicklungen sein, die wir in den kommenden Jahren in allen Branchen sehen werden – ob Mode, Lebensmittel, Design, Architektur und weitere. So lässt sich abschließen: War das vorherige Jahrhundert von den Innovationen synthetischer Materialien geprägt, wird das 21. Jahrhundert neben den smarten wohl den organischen gehören.


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