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An der Transformation zu einer zirkulären Wertschöpfung sind Designerinnen und Designer sowie Architektinnen und Architekten wesentlich beteiligt. Neben interdisziplinärer Zusammenarbeit und ganzheitlicher Gestaltung ist vor allem verantwortungsvolle Haltung gefragt.

Von Martina Metzner.

Designerin Simone Post verarbeitet Textilreste zu Teppichen
Die niederländische Designerin Simone Post nimmt Produktionsüberschüsse des Textilproduzenten Vlisco und verarbeitet sie zu Teppichen. Bild: Simone Post

So wie wir aktuell mit Rohstoffen umgehen, kann es nicht weitergehen. Mehr als 90 Prozent der von uns verwendeten Stoffe landen auf dem Müll (und im Ozean) oder werden thermisch verwertet. Designerinnen und Designer sowie Architektinnen und Architekten können dabei helfen, dies zu ändern, denn sie haben eine großen Impact. Man bedenke nur, dass 80 Prozent der Umwelteinwirkungen eines Produktes im Design festgelegt werden. Vor allem in der Textil-, Bau- oder Elektrobranche, die am stärksten an den Materialflüssen der Erde und damit auch am CO2-Ausstoß beteiligt sind, herrscht deswegen aktuell große Selbstkritik. Sollte man am besten gar nichts mehr gestalten, wie es der Architekt und Professor Friedrich von Borries in seinem Projekt „Die Kunst der Folgenlosigkeit“ diskutiert? Besser gestalten, lautet die einhellige Antwort – und zwar zirkuläre, regenerative und resiliente Produkte und Systeme, die Ressourcen, Biodiversität und Klima schützen. So stellen sich Architektinnen und Architekten aktuell die Frage, ob sie nur noch mit Holz anstelle mit Beton arbeiten sollen, die Modebranche entdeckt das Second Hand-Geschäft und Designerinnen und Designer fragen sich, wie sie Produkte gestalten können, die nicht zum Wegwerfen anregen, sondern sinnvoll genutzt werden und lange halten.

New European Bauhaus stellt Weichen

Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass der Umbau vom linearen Take-Make-Waste- in ein zirkuläres Closing-the-Loop-Modell gesamtwirtschaftlich etwa 25 Jahre dauert. Und wir stehen erst am Anfang. Immerhin: Die politischen Weichen werden gestellt. Die Europäische Union erhöht das Marschtempo: Im Rahmen des Aktionsplans für eine Circular Economy, der 2020 neu justiert wurde, wurden bereits Richtlinien wie das Right to repair oder das Verbot von Einwegplastik auf den Weg gebracht, weitere werden folgen. Mit dem im Oktober 2020 lancierten New European Bauhaus adressiert die EU speziell Architektinnen und Architekten, Designerinnen und Designer, Künstlerinnen und Künstler, Studierende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Ingenieurinnen und Ingenieure, um den EU Green Deal gestalterisch umzusetzen. Eines der Kernziele der Initiative ist die Implementierung einer Circular Economy. „Wir brauchen ein Wirtschaftsmodell, das dem Planeten zurückgibt, was es ihm wegnimmt, durch eine Kreislaufwirtschaft, die mit erneuerbarer Energie betrieben wird,“ so EU Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen. In Deutschland gibt es eine Circular Economy Initiative, die jüngst eine Roadmap aufgestellt hat. Die Normungsorganisationen wie ISO und DIN arbeiten auf Hochtouren. All dies zeigt: Circular Economy wird zum neuen Standard. Die Aufgabe ist allerdings riesig, und wir müssen sie schnell und vor allem gemeinsam umsetzen.

Die Transformation zu einer Circular Economy greift deutlich tiefer in die Systeme ein als bisherige Nachhaltigkeitsmaßnahmen: Produkte und Dienstleistungen müssen völlig neu gestaltet, Material- und Energieflüsse, Produktion und Lieferketten neu zusammengebracht werden. Die Beziehung von Unternehmen, Produkt und Nutzerin oder Nutzer verändert sich grundlegend, wenn Nutzerin oder Nutzer sein Produkt reparieren lassen will, es mit anderen Nutzerinnen und Nutzern teilt oder nach Gebrauch wieder zurückbringen will. Alte Geschäftsmodelle werden durch neue abgelöst. Begriffe wie Lebenszyklusanalyse, Materialverfolgbarkeit und Nutzerverantwortung spielen plötzlich eine Rolle. Natürlich gibt es auch Hürden, etwa Rebound-Effekte, wenn etwa durch neue Angebote sogar mehr konsumiert wird – oder die viel zitierten Investitionskosten. Die Chancen sind umso größer – für Mensch, Natur und auch Wirtschaft.

Besser Teilen als Besitzen

Verbrauch senken ist auch Circular Economy: Swapfiets-Fahrräder kauft man nicht, sondern leiht sie
Die dänischen Swapfiets-Fahrräder kauft man nicht, sondern leiht sich im Sinne von Product-as-Service durch eine monatliche Gebühr. Bild: Swapfiets

„Formales verliert im Kontext eines wesentlich ganzheitlich gedachten Designverständnis an Relevanz“, sagt Designer Stefan Diez, der Anfang 2021 in Anlehnung an Dieter Rams zehn Thesen für zirkuläres Design formuliert hat. Sie stellen eine Essenz vieler Circular Design-Konzepte dar. Darin fordert Diez, dass ein gutes Produkt lange nützlich und reparierbar sein müsse. Dass man System und modulare Design-Konzepte vorziehen, regenerative Materialien und wenig Energie verwenden solle. Gute Produkte sollten platzsparend zu transportieren sein, so Diez, darüber hinaus innovativ und faszinierend. Ein Produkt solle von vielen genutzt werden, sagt der Designer – und spricht damit Konzepte wie Sharing oder Product-as-a-Service an, bei dem etwa der Hersteller der Besitzer bleibt – für viele der absolute Königsweg der Circular Economy. Auch soziale Aspekte bedenkt Diez, Arbeit solle „erfüllend“ sein. Und schließlich – und da steht Diez stark in der Tradition von Rams – sei ein gutes Produkt „so wenig Produkt wie nötig“. Ergänzen sollte man, dass digitale Technologien wie Internet-of-Things oder Building Information Modelling dabei unverzichtbare Tools und Wegbereiter sind. Schließlich ist es die Zusammenarbeit über gewohnte Disziplinen und Branchen hinweg, die eine zirkuläre Gesellschaft erst möglich machen.

Recycling-Material reicht nicht

Das zirkuläre Modell hat seine Wurzeln in den 1970er Jahren, als der Club of Rome „Die Grenzen des Wachstums“ publizierte, sich die Grünen in der Politik etablierten und Victor Papanek mit „Design for the Real World“ an die Verantwortung von Designenden appellierte. In diesem Kontext formulierte der niederländische Politiker Ad Lansink die drei Rs, um von der Wertzerstörung zur Werterhaltung zu kommen. Dabei werden die positiven Effekte von Reduce, über Reuse, bis hin zu Recycle immer schwächer, weil die Stoffströme immer größere Kreise ziehen müssen. Die Welle der letzten Jahre, in denen eine Vielzahl von Produkten aus recyceltem Material vorgestellt wurden, ist zwar gut, reicht aber noch lange nicht. Reuse-Ansätze, die das Produktleben entweder durch Reparatursysteme oder durch Sharing-Modelle erhöhen, sind deutlich umweltfreundlicher. Und noch viel zu wenig beschäftigen wir uns mit Reduce, sagt Prof. Magnus Fröhling, Spezialist für Circular Economy an der TU München.

Während man bis in die 1990er Jahren Kreislaufwirtschaft vor allem im Kontext von Abfallmanagement betrachtet hat, versteht man unter Circular Economy heute ein viel weitgreifenderes System. Ansätze wie Industrielle Ökologie, Performance Ökonomie, Cradle to Cradle oder Biomimikry arbeiten dabei mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Methoden. Ohne sich einer Denkschule komplett zu verpflichten, treibt die Ellen MacArthur Foundation aus Großbritannien weltweit die Diskussion maßgeblich voran. 2014 hat sie zusammen mit dem World Economic Forum und McKinsey einen ersten Report verfasst, „Towards a Circular Economy“, auf den weitere, branchenspezifische folgten. Ellen MacArthur bringt ihre Erfahrungen als Profi-Weltumseglerin ein: Die Erde, so hatte MacArthur erkannt, funktioniere wie ihr Segelboot – bei beiden müsse man mit den Dingen auskommen, die man an Bord habe.

Circular Ecomony: Schema der Kreislaufwirtschaft
Im biologischen Kreislauf lassen sich Wertstoffe wieder in die Natur rückführen, im technischen Kreislauf sollten Produkte und Stoffe so lange wie möglich zirkulieren. Bild: Ellen MacArthur Foundation

Von Cradle to Cradle bis Circular Design Guide

Circular Economy: Cradle to Cradle Lab in Berlin
Das C2C Lab in Berlin wurde von Cradle to Cradle zusammen mit Drees & Sommer und der RBSGROUP nach zirkulären Prinzipen saniert und dient nun als Kompetenzzentrum. Bild © Cradle to Cradle e.V.

In Deutschland kennt man vor allem Cradle to Cradle, eine Denkschule, die der Chemiker Michael Braungart mit dem Architekten William McDonough um die Jahrtausendwende etablierte und die heute über ein weitreichendes Netzwerk verfügt: Während die NGO vor allem Bildungsarbeit betreibt, zertifiziert das Cradle to Cradle Institute Produkte nach eigenen Prinzipen. Das Konzept konzentriert sich stark auf Materialien und Design, unterscheidet zwischen biologischen sowie technischen Kreisläufen und achtet zudem auf Materialgesundheit. Seit 2016 wurden damit weltweit über 8.000 Produkte zertifiziert, über 300 Partner aus der Wirtschaft haben sich den Leitlinien von Cradle to Cradle verpflichtet.

Daneben werden es immer mehr Akteure und Initiativen aus Wissenschaft, Politik, Gesellschaft und Wirtschaft, die das Thema in die Öffentlichkeit bringen, ausbilden, beraten und Netzwerke bieten, wie CRCLR in Berlin, die digitale Circular Society der Hans Sauer-Stiftung, das globale Netzwerk LAUNCH oder die Circular Economy Stakeholder Platform der EU. Speziell für Design bietet etwa das Umweltbundesamt und das Fraunhofer Institut IZM den EcoDesignCircle und die Lernfabrik Ökodesign an, um Designerinnen und Designer aus dem baltischen Raum zu vernetzen. Eine weitere wichtige Referenz ist der Circular Design Guide, den die Ellen MacArthur Foundation zusammen mit IDEO herausgebracht hat und der Design Thinking mit Circular Economy verknüpft. Das von der Stiftung zusammen mit McKinsey herausgebrachte ReSOLVE-Rahmenwerk gibt wiederum eine gute Orientierung für zirkuläre Geschäftsmodelle.

Circular Economy braucht Kulturwandel

Bei aller Euphorie um Circular Economy muss man auch die Grenzen sehen – etwas, dass Kreisläufe nie komplett geschlossen werden können. Und eine Circular Economy allein wird den Wandel zu einer nachhaltigen Gesellschaft, in der der Mensch sein Verhältnis zur Natur neu bestimmen muss, nicht alleine schaffen. Dazu braucht es einen grundlegenden Kulturwandel, der nicht nur technisch zu bewerkstelligen ist. In diesem Kontext ist die Circular Economy allerdings ein wesentlicher Schritt in eine grünere Zukunft, an dem sich alle beteiligen müssen, damit sie gelingt.

"D2 Office System" besteht aus sortenreinen Materialien
Das Möbelsystem „D2 Office System“ von Stefan Diez zusammen mit Gonzalez Haase AAS für Wagner Living besteht aus sortenreinen Materialien, die durch Verbindungselemente zusammengesteckt werden. Bild: Bureau Borsche
Aquafil in Arizona bereitet alte Teppiche auf
In der Recycling-Fabrik von Aquafil in Arizona werden alte Teppiche, unter anderem für das regenerierte Polyamid Econyl, wiederaufbereitet. Bild: Aquafil

Quellen


Mehr auf ndion

Als Partner des „New European Bauhaus“ erforschen Unternehmen aus dem Netzwerk des Rat für Formgebung, wie Europa bis 2050 klimaneutral werden kann. Mehr zum New European Bauhaus.

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