Innovativ die Lücke zwischen Fahrrad und Kleinstwagen füllen: Velomobile sind muskelkraftbetriebene Fahrzeuge mit einer geschlossenen Verkleidung. Ergänzt um einen Elektroantrieb versprechen aktuelle Modelle in Städten und urbanen Räumen nachhaltige Mobilität.
Von Thomas Wagner.
Innovationen regnen weder in regelmäßigen Abständen fruchtbringend aus dem Himmel der Kreativität herab auf die darbende Erde, noch tauchen sie wie Blitze aus dem Nichts auf. Oft verdanken sie sich auch einem Prinzip, das liegengelassen wurde, weil sein Potenzial noch nicht erkennbar war. Oder sie entstehen in Lücken, die das Etablierte gelassen hat, weil es keine hinreichenden Gründe gab, sie auszufüllen. Sobald sich Umstände und Rahmenbedingungen aber geändert haben, erscheint das links liegengelassene mit einem Mal nicht nur möglich, sondern attraktiv und vielversprechend.
In etwa so verhält es sich mit sogenannten Velomobilen. Seit Verkehrskollaps, Emissionswerte und Klimakrise die Frage neu gestellt haben, wie ein zukünftiger Mobilitätsmix aussehen könnte, haben die Fahrzeuge, die leichter als ein Auto und komfortabler als ein Fahrrad sind, enorm an Attraktivität gewonnen. Immer mehr Hersteller, kleine und große, entwickeln Konzepte und stellen Designs für ein Fortbewegungsmittel vor, das per Definition ein muskelkraftbetriebenes Fahrzeug mit einer geschlossenen Verkleidung ist, die im Optimalfall stromlinienförmig designt wurde und die Fahrerin oder den Fahrer vor Wind und Regen schützt. Lange galt die Verbindung aus einem Liegerad und einer leichten Außenhaut als skurriles Fortbewegungsmittel weniger Ökofreaks. Nun scheint die Zeit reif zu sein, dass in Kombination mit einem Elektroantrieb nicht nur Exoten entstehen, sondern ein ernstzunehmendes neuen Fahrzeugsegment.
Eine Alternative für Pendlerinnen, Pendler und Lieferdienste
Vor allem in Innenstädten oder Ballungsräumen präsentieren sich Velomobile als Alternative zum Auto – ob als Liefer- oder Handwerkermobil oder für Pendler/innen als komfortablere und sicherere Variante eines eBikes oder Pedelecs. Velomobile können mithelfen, in Großstädten den drohenden Verkehrskollaps zu verhindern und Städte überhaupt fußgängerfreundlicher und lebenswerter zu machen. Ein wendiges und emissionsfreies Fahrzeug, das wenig Platz braucht und vor Wind und Wetter schützt, passt nahezu perfekt in eine Gesellschaft, die umdenken muss. Klimaneutralität erreichen zu wollen, erfordert viele verschiedene Maßnahmen. Im täglichen Mobilitätsverhalten Energie und Emissionen einzusparen, ist eine davon. Noch sind nur wenige Modelle auf dem Markt, und doch lässt sich erkennen: Velomobile haben, je nach Nutzungskonzept, Design und Ausstattung, das Zeug dazu, die Mobilitätsgewohnheiten urbaner Nomad/innen nachhaltig zu verändern.
Auf drei oder vier Rädern durch die Stadt
Drei oder vier Rädern, ein oder zwei Sitze, eine geschlossene Hülle oder zumindest ein schützendes Dach, ein Kofferraum – manche Velomobile sehen auf den ersten Blick entweder wie rollende Zigarren aus oder wie Kleinstwagen, die bei Kochwäsche weiter eingelaufen sind. Allein, unter ihrer Karosserie befindet sich weder ein Verbrennungsmotor noch ein reiner Elektroantrieb. Hier kommt, und das ist das Besondere, eine Kombination aus Fahrrad und Elektromotor zum Einsatz. Der Witterungsschutz und die – für Bewegung und Kondition förderliche – Unterstützung durchs Treten machen die Kabinenräder komfortabel, stabil und sicher und erlauben im Vergleich zu Fahrrad und E-Bike, zum Teil auch zum Pedelec, sogar eine höhere Reisegeschwindigkeit – je nach Konzept auch eine wesentlich höhere Zuladung.
Der Bio-Hybrid: Eine neue Fahrzeugkategorie
Schon auf den ersten Blick fällt auf: Dieses Velomobil sieht gar nicht mehr nach Fahrrad, schon gar nicht nach Liegerad aus. Hier sitzt man eher aufrecht, es gibt einen Rücksitz, vier Räder und eine Zelle definierendes Dach. Das Kabinenrad wirkt denn auch, als entstamme es einer ganz neuen Fahrzeugklasse. „Vier Räder, ein Dach, elektrisch unterstützt“, dazu „stylisch, trendig und digital vernetzt“ – so beschreibt die Bio-Hybrid GmbH selbst ihr gleichnamiges Velomobil. Seit Dezember 2020 lassen sich die als Pedelec zugelassenen Fahrzeuge online bestellen. Ab einem Preis von 9.490 Euro können Käufer/innen zwischen zwei Modellen auswählen: Einem kompakten Zweisitzer und einem Pick-Up mit Ladefläche. Um der der Zukunft auch in digitaler Hinsicht gerecht zu werden, lässt sich das Bio-Hybrid-Mobil mit einer App verbinden, über die gefahrene Touren oder der Batteriestatus abgerufen werden können. Die portable Batterie mit 48 Volt Spannung und einer Kapazität von 1,2 kWh lässt sich an handelsüblichen Haushaltssteckdosen aufladen und unterstützt den Fahrer/innen bis zu einer Geschwindigkeit von 25 km/h. „Gefragt sind Fahrzeuge, die in einem vernetzten und systemischen Miteinander eine hohe Flexibilität bei geringem Flächenbedarf erreichen. Genau das bietet der Bio‑Hybrid“, so Gerald Vollnhals, der Leiter des Unternehmens.
Vor wenigen Tagen wurde gemeldet, dass die Bio-Hybrid GmbH beim Amtsgericht Nürnberg einen Insolvenzantrag gestellt hat. Was zeigt, dass der Weg zu Marktreife und Serienfertigung bei derart neuen Fahrzeugkonzepten recht steinig ist und selten geradlinig verläuft. Der Start der Serienfertigung, der nach der Trennung von Schaeffler unter neuem Eigner für Mitte 2021 geplant war, ist damit in Gefahr. Der Automobilzulieferer Schaeffler hatte Mitte Oktober 2020 sämtliche Anteile an seiner Tochterfirma an Micromobility Services and Solutions verkauft.
Ono Pioneers Edition: Der Paket-Transporter
Was die Transportvarianten unter den Velomobilen angeht, sogenannte e-Cargo Bikes, so setzt der Paketdienst Hermes im Rahmen eines zwölfmonatigen Langzeittests Fahrzeuge von Onomotion ein. Ein e-Cargo Bike ist ein Nutzfahrzeug, das rechtlich als Fahrrad gilt, sich jedoch aufgrund des Designs und der Funktionalität mit 220 Kilogramm Nutzlast an Kleintransportern orientiert. Das dreirädrige, pedalgestützte Modell der Pioneer Edition verfügt über zwei Elektromotoren und einen Wetterschutz. Ono bietet seinen Ono Pioneer Edition mit einem Leasing-Vertrag und flexiblen Laufzeiten an. Die Vereinbarung beinhaltet u. a. Wartung, Vollkaskoversicherung, eventuelle Verschleißreparaturen und Zugang zu Akkutausch-Automaten. Durch die Lieferung per e-Cargo Bike müssen nur noch sehr große und sperrige Pakete mit einem größeren Transporter zugestellt werden. Ziel sei es, so Hermes, dass ein Lastenrad einen Transporter mit herkömmlichem Dieselantrieb ersetzt.
Frikar von Podbike: Windschnittig und funktional
Was das Design angeht, verfolgt der norwegische Hersteller Podbike einen anderen Ansatz als Bio-Hybrid. Sein Velomobil namens Frikar ist erkennbar eine Mischung aus Auto und Liegefahrrad. Entsprechend flach und futuristisch kommt die windschnittige Kapsel daher. Das als Pedelec zugelassene Frikar wird von einem E-Motor angetrieben, der die Fahrerin oder den Fahrer beim Treten bis zu einer Geschwindigkeit von 25 km/h unterstützt. Mit einer Batterieladung soll eine Strecke von 60 bis 90 km zurückgelegt werden können. Eine beachtliche Distanz, die das Velomobil seiner konsequenten Leichtbauweise und dem geringen Luftwiderstand seiner Karosserie verdankt. Alles zusammengenommen macht das Frikar E-Bike von Podbike zu einem idealen Pendler-Fahrzeug. Nach mehreren Jahren der Entwicklung und ausführlichen Praxistests ist Anfang 2021 die Serienproduktion angelaufen. Exemplare des Frikar sollen im Laufe des Jahres an Kunden in der EU ausgeliefert werden. Die elektrischen Liegeräder mit Glaskuppel können für einen Preis von etwa 5.000 Euro auf der Seite des Herstellers vorbestellt werden.
Future Mobility Concept von Canyon: Urbaner Kleinstwagen
Besonders nahe am Design eines Microcars bewegt sich der Fahrrad-Hersteller Canyon mit seiner Studie zu einem Premium-Velomobil. Für die Entwickler der Koblenzer Radschmiede stand deshalb im Vordergrund, dem Kabinenrad ein möglichst zeitloses Design zu verpassen. Mit dem Future Mobility Concept ist das gelungen. Im Profil wirkt das Gefährt wie ein besonders stylischer und urbaner Kleinstwagen. Erst wenn man die nur 83 Zentimeter schmale Front sieht, könnte man darauf kommen, dass es sich bei dem Fahrzeug um ein Elektro-Fahrrad handelt. Das Konzept-Mobil von Canyon unterscheidet sich aber nicht nur durch sein Design, sondern auch durch seinen Antrieb von anderen Velomobilen: Er bietet deutlich mehr Elektro-Power als seine als Pedelec zugelassenen Geschwister. So soll das Rad seine Tret-Unterstützung nicht bereits bei 25 km/h einstellen, sondern Geschwindigkeiten von bis zu 60 km/h ermöglichen. Dafür verfügt es über zwei Elektromotoren mit jeweils 1000 Watt Leistung und eine Batterie mit etwa 2 kWh Kapazität, was für rund 150 km Reichweite sorgen soll. Wann das futuristische Fahrzeug auf den Markt kommt, ist bisher noch unklar.
Nicht alle Projekte schaffen es bis in die Serie
In die Kategorie per Muskelkraft betriebener Fahrzeuge fällt auch das in Spanien entwickelte mö von Evovelo, ein Velomobil, das Solarenergie mit Wadenstärke kombiniert. Der kleine Stadtflitzer braucht also keine Steckdose zum Nachladen. Leider wurde, wie der Hersteller nun mitteilt, die Weiterentwicklung nach acht Jahren eingestellt. Das Projekt steht zum Verkauf. Zwei Personen haben im puristischen Innenraum des mö Platz und können nebeneinander in die Pedale treten. Im Hinterrad ist ein 1500 Watt starker Elektromotor verbaut, der die Fahrer bis zu einer Geschwindigkeit von 45 km/h unterstützt. Mit den Lithium-Akkus hinterm Sitz und den Solarzellen auf dem Dach, schafft das mö bis zu 70 Kilometer. Die Karosserie des mö, das unter 5.000 Euro kosten sollte, besteht überwiegend aus Sperrholz und kratzfesten Plastikfenstern und hätte als Baukasten-Set bestellt und ohne Spezialwerkzeuge selbst zusammengebaut werden können.
Das PEBL: Nette kleine Kugel
Mag die kleine rollende Kugel noch so niedlich aussehen, Scheibenwischer, Tempomat und Hupe sind bei diesem Velomobil mit an Bord. Das PEBL, von Betterbike als „A Micro Car Ebike“ bezeichnet, hat mit elektrischer Unterstützung eine Reichweite von bis zu 160 Kilometern und kann schneller als 40 km/h fahren. Zwei Erwachsene oder eine erwachsene Person und zwei Kinder haben hintereinander darin Platz. Mit dem „Full Enclosure Package“ kommt das PEBL mit Regenschutz und Vinyl-Fenstern zum zusammenrollen. In der ECO-Variante ist ein Dach mit Solarzellen inklusive. Die günstigste Version des PEBL kostet umgerechnet circa 9.700 Euro.
Das Qlio-Velo: Nostalgie pur
Dass es zukunftstaugliche Mobilität auch mit einem kräftigen Schuss Nostalgie gibt, zeigt das Modell von Qlio. Seine Technik stammt aus dem Jahr 2020, seine äußere Gestalt könnte ein Jahrhundert früher entstanden sein. Glaubt man den Ankündigungen, soll das Qlio Velomobil komfortabler und sicherer sein als die Konkurrenz. Zwei hintereinander angeordnete und ledergepolsterte Sitze prägen den Innenraum. Dazu gibt es Gurte, eine Lüftung bzw. Heizung, einen tragbaren Bluetooth-Lautsprecher und eine Rückfahrkamera. Der Elektromotor soll die Arbeit an den Pedalen bis zu 120 Kilometer weit unterstützen. Das Velomobil kann mit maximal 45 km/h als Pedelec zugelassen werden. Es soll vier Motorvarianten mit einer Stärke von 250 bis 1000 Watt geben. Die günstigste Variante soll etwa 5.500 Euro kosten. Da das Qlio-Team für den Start der Produktion noch Unterstützung braucht, wirbt es auf seiner Website um Crowdfunding.
Twike: Das etwas andere Elektromobil
Am längsten auf dem Markt, aber näher am Auto als am Fahrrad, ist das Twike, auch wenn es in vielen Details noch an ein verkleidetes Liegefahrrad erinnert. Das Twike gibt es seit 1986. Der Name setzt sich aus Twin und Bike zusammen, was auf die ursprüngliche Idee hinter diesem Fahrzeug verweist: Das Dreirad ist im Prinzip ein überdachtes Tandem mit zwei nebeneinander installierten Sitzen. Im Innenraum des Dreirads, das mittels eines hölzernen Steuerknüppels zwischen den Sitzen gelenkt wird, haben denn auch zwei Personen Platz. Mit der kleinsten Akku-Variante fährt das Twike 3 knapp 100 km/h schnell und schafft bis zu 160 Kilometer Reichweite. Nach Angaben des Herstellers wurden vom Twike 3 rund 1000 Fahrzeuge ausgeliefert.
Wie es noch schneller und noch deutlicher in Richtung kleinem Elektromobil gehen kann, zeigt das Nachfolgermodell: das Twike 5, von dem 2019 beim Genfer Autosalon zum ersten Mal ein Prototyp vorgestellt wurde. Das (auf 500 Exemplare limitierte) Twike 5 soll (in der höchsten Ausbaustufe) bis zu 190 km/h schnell fahren, eine Reichweite von bis zu 500 Kilometern ermöglichen und noch dieses Jahr auf den Markt kommen. Für den Hauptantrieb sorgt ein 150 Kilowatt und bis zu 290 Newtonmeter starker Synchronmotor. Im Großstadttempo können die beiden Insassen bis zu 20 % Energie beisteuern, wenn sie kräftig in die Pedale treten. Der Preis für ein Twike 5 soll zwischen 39.900 Euro (Reichweite bis 250km) und 49.900 Euro (bis 500km) liegen. Schon beim ersten Blick auf die Pkw-Reifen und den Alu-Rahmen wird deutlich: mit einem Fahrrad-Dreirad hat dieses 495 Kilogramm schwere Fahrzeug nur noch wenig gemein.
Was deutlich macht: In die Lücke zwischen Fahrrad und Auto passen viele Konzepte.
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