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Das Schweizer Unternehmen World of Pi bietet digitale, Web3-basierte Dienstleistungen für das Wirtschaften in Kreisläufen an – zugeschnitten auf die Möbel- und Designbranche. Stephan Hürlemann, Designer und Mitgründer, erklärt, worauf es bei der Transformation zur Kreislaufwirtschaft ankommt.

von Jasmin Jouhar

Die Gründer*innen von World of Pi: Lukas Fluri, Barbara Hutter, Stephan Hürlemann und Stephan Bachmann (v.l.n.r.) | Foto: Manuel Rickenbacher

Wie sieht der durchschnittliche Lebensweg eines Sofas aus? Es wird hergestellt, genutzt, entsorgt, in den meisten Fällen wohl verbrannt. Die im Möbelstück gebundenen Ressourcen sind damit verbraucht und verloren. „Das ist das alte, lineare Denken“, sagt Stephan Hürlemann. Wenn es nach dem Schweizer Designer und Architekten geht, beginnt der durchschnittliche Lebensweg eines Sofas künftig damit, dass dem Produkt noch in der Fabrik eine individuelle digitale Identität zugewiesen wird – fälschungssicher dank Blockchain-Technologie. Diese Identität begleitet den gesamten Lebensweg. Entsprechend registriert, wird das Sofa wie bisher an seinen Bestimmungsort gebracht und genutzt. Sollte es verschmutzt oder beschädigt sein, sind über die digitale Identität Informationen zu Pflege, Wartung und Reparatur zugänglich. Wird es nicht mehr gebraucht, kann es an den Hersteller zurückgegeben werden. Der wiederum kann es identifizieren, gegebenenfalls neu beziehen und noch einmal verkaufen. Oder der Eigentümer des Sofas verkauft es selbst weiter an einen anderen Nutzer. Dank der digitalen Identität kann der Käufer die Echtheit überprüfen. In jedem Fall bleiben die Ressourcen erhalten, die im Sofa stecken, der Kreislauf ist ein erstes Mal geschlossen. „Wir müssen Produkte als Rohstoff verstehen“, so Hürlemann. Der Zürcher hat mit weiteren Partnern World of Pi gegründet, das Web3-basierte Dienstleistungen für die Design- und Möbelbranche anbietet. Das Unternehmen möchte die Transformation der Branche hin zur Kreislaufwirtschaft vorantreiben. Zu den ersten Kunden zählen Zumtobel, Ruckstuhl und Puma.

„Wir müssen die Wertschöpfung vom Ressourcenverbrauch abkoppeln.“


– Stephan Hürlemann, Designer und Mitgründer von World of Pi

Mehr als nur ein digitaler Produktpass

Der Blockchain-basierte Identitätsausweis von World of Pi, in Anlehnung an die Kreiszahl „Pi” benannt, erfüllt die Anforderungen des digitalen Produktpasses (DPP) als Teil der ESPR der Europäischen Union. Das heißt, über das individuelle „Pi“ lassen sich alle Informationen zu Herkunft, Materialzusammensetzung oder Umweltauswirkungen auslesen – mit einem Chip oder QR-Code am Produkt. Doch der DPP ist nur einer der Bausteine des Konzepts von World of Pi, das Hürlemann gemeinsam mit Barbara Hutter, Stephan Bachmann und Lukas Fluri gegründet hat. „Wir brauchen ein System, das den Herstellenden ermöglicht, in Beziehung bleiben zu können mit ihrem Produkt und damit zu arbeiten.“ Dahinter steht die Überzeugung, dass das Wirtschaften in Kreisläufen bisherige, auf Neuproduktion ausgerichtete Geschäftsmodelle in Frage stellt. „Wir müssen die Wertschöpfung vom Ressourcenverbrauch abkoppeln“, so der Designer weiter. „Wir müssen mehr Wertschöpfung mit dem Bestand an Dingen erzeugen.“ Deswegen bietet World of Pi neben dem Produktpass auch andere Softwarelösungen an, etwa für Wiederverkaufsplattformen. Hersteller können damit über die eigene Webseite ihre gebrauchten Produkte ein zweites Mal veräußern und so weitere Einnahmen erzielen. Stephan Hürlemann hält den Möbel-Zweitmarkt für besonders zukunftsträchtig: „Das wird gerade groß, das beobachten wir.“

Nutzer*innen können die digitale Identität jedes Produkts anhand eines QR-Codes oder Chips mit ihrem Smartphone scannen. | Foto: © World of Pi

Kreislaufwirtschaft als Geschäftsfeld

Seit einigen Jahren wächst ein ganzer Geschäftszweig rund um digitale Dienstleistungen für die Kreislaufwirtschaft, befördert unter anderem von den Nachhaltigkeitsregularien der EU. Neben World of Pi gibt es andere junge Unternehmen, die ähnliche Services anbieten. Etwa Narravero aus Münster, das Lösungen für digitale Produktpässe erstellt und unter anderem mit Designunternehmen wie Designfunktion und Keuco zusammenarbeitet. Produkte nachzuverfolgen hat sich das niederländische Unternehmen Circularise zur Aufgabe gemacht. Das Ziel sind transparente, zirkuläre Lieferketten. Zu den Kunden gehören Firmen aus der Auto-, Elektronik und Chemieindustrie. In der Luxusindustrie haben sich die Konzerne LVMH, OTB, Prada Group und Richemont zur Initiative Aura Blockchain Consortium zusammengeschlossen. „Wir streben danach, die Erfahrung beim Kauf, Besitz, Verkauf, Wiederverkauf und Recycling von Luxusgütern zu verbessern“, heißt es auf der Webseite. Im Bausektor wiederum hat sich Madaster als Plattform etabliert, die alle verfügbaren Daten eines Gebäudes sicher zusammenführt, Materialpässe erstellt und bei der Bewertung des CO2-Fußabdrucks und des Recyclingpotenzials unterstützt. Die Technologie für solche Anwendungen gäbe es schon länger, sagt Stephan Hürlemann. Das Entscheidende ist, die Anwendungen zugänglich und verständlich zu machen, so der Designer weiter.

Die Recommerce-Plattformen von World of Pi belohnen Herstellende für die Langlebigkeit ihrer Produkte. | Foto: © World of Pi
Die Transformation von der Wegwerfwirtschaft zur Circular Economy ist unvermeidlich. Deswegen bietet World of Pi neben dem Produktpass auch andere Softwarelösungen an, etwa Wiederverkaufsplattformen. | Foto: © World of Pi

„Das gängige Design-Businessmodell ist unpassend, da es Einkommen nur durch den Verkauf neuer Produkte generiert und falsche Anreize schafft.“


– Stephan Hürlemann, Designer und Mitgründer von World of Pi

Herausforderung für Gestalter*innen

Die Kreislaufwirtschaft wird aber nicht nur die Geschäftsmodelle von Produzenten herausfordern, davon ist Stephan Hürlemann überzeugt. Auch Designer*innen müssten jetzt hinterfragen, wie sie in Zukunft Geld verdienen können. Denn Gestalter*innen sind wie Herstellende bislang daran interessiert, möglichst viel zu verkaufen. Schließlich erzielen sie ihr Einkommen meist über Lizenzgebühren. „Das gängige Design-Businessmodell ist unpassend, da es Einkommen nur durch den Verkauf neuer Produkte generiert und falsche Anreize schafft“, sagt der Designer. Er selbst verspürte zunehmend Unbehagen an der bisherigen Arbeitsweise, etwa, wenn er eine Anfrage bekam: „Ein neues Produkt sollte nur entwickelt werden, wenn ein überzeugender Grund vorliegt; die Möglichkeit allein rechtfertigt es nicht.“ World of Pi sei für ihn eine Chance, seine Kompetenzen als Designer zu nutzen, ohne ein neues Produkt zu entwickeln. Aber er zeigt sich generell optimistisch, was die Möbelbranche angeht: In den „letzten drei, vier Jahren“ habe sich die Herangehensweise dramatisch verändert. Während in der Produktentwicklung Fragen von Nachhaltigkeit früher kaum eine Rolle gespielt hätten, würde heute alles auf den Prüfstand gestellt, Gewicht, Material, Rezyklierbarkeit. Und so zeigten sich viele Unternehmen offen, wenn sie ihnen die Services von World of Pi vorstellten. „Wir haben sehr schnell und oft Gespräche auf C-Level“, sagt Hürlemann. Doch der Weg zum zirkulären Wirtschaften ist weit, es braucht Zeit. „Die Transformation muss jetzt beginnen. Die Firmen, mit denen wir sprechen, verstehen das.“ 

World of Pi befähigt Herstellende, die Nutzungsdauer ihrer Produkte zu verlängern und dabei neue Geschäftsfelder zu erschliessen. | Foto: © World of Pi

Über die Autorin

Jasmin Jouhar arbeitet als freie Journalistin in Berlin. Zu ihren Themen gehören Design und Marken, Architektur und Innenarchitektur. Sie schreibt für eine Vielzahl deutschsprachiger Fach- und Publikumsmedien, darunter die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Online-Plattform Baunetz, die Magazine Schöner Wohnen und AD. Daneben moderiert sie Branchenevents und verantwortet Corporate Publishing-Projekte. Jasmin Jouhar engagiert sich mit Coachings, Workshops und Vorträgen in der Förderung des jungen Designs. 

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