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Von Andrej Kupetz

Jil Sander hat 2018 den German Design Award in der Kategorie Personality für ihr Lebenswerk erhalten – eine adäquate Ehrung für die »Queen of Less«, deren ganzheitliches Designverständnis bis heute einzigartig ist.

Die Mode ist kein deutsches Thema. Die Eleganz des Moments, das Flüchtige der Schönheit wollen nicht passen zu einer Kultur des steten Durchdringens und tiefen Durchdenkens, zu den Erfindern der Nachhaltigkeit und des Automobils. Selbst unsere lange und furchtbare militärische Vergangenheit hat zwar die Erbswurst und den Stahlhelm befördert, aber, im Gegensatz zum britischen Empire, keinen Raglanärmel, keinen Trench- oder Dufflecoat – also keine Übersetzung von Militärkleidung in einen zivilen Klassiker der Mode – hervorgebracht.

Portrait Jil Sander. Foto: Peter Lindbergh
Jil Sander © Peter Lindbergh. Quelle: Rat für Formgebung

Der französische Täschner Louis Vuitton hat mit seinem leichten Gepäck das elegante Reisen begründet, während zeitgleich der deutsche Tischlermeister Michael Thonet den konfektionierten Stuhl erfand, der sich massenhaft über die Welt verbreitete. Als die Bauhaus-Meister aus Stahlrohren Möbel bogen, revolutionierte Coco Chanel das Frauenbild durch Mode. In Deutschland erfanden wir die Markentechnik, das Fernsehen und die MP3-Technik, während die Moderne in der Mode immer noch aus Paris, später aus Mailand, New York oder London kam.

Jil Sander sagte einmal: »Ich bin Antimode.« Ist sie die bedeutendste Designerin unserer Zeit – aber auch die deutscheste? Man könnte es so sehen, ist ihr doch der Bezug zu ihrer Heimatstadt Hamburg immer wichtig gewesen. Doch in Wirklichkeit trifft das nur ansatzweise zu. Das Hanseatische an Jil Sander ist die Unfarbigkeit ihrer Mode. Das tiefe Blau, in das die Kieler Schneider Berger & Colani Ende des 19. Jahrhunderts die kaiserliche Marine kleideten, ist bei genauerer Betrachtung das einzige offensichtliche Zeichen einer regionalen Herkunft einer ansonsten durch und durch internationalen Marke.

Dass Jil Sander Deutsche ist, hat für den Erfolg der Marke nie große Relevanz gehabt und ist vielen ihrer zahlreichen Kundinnen in der ganzen Welt auch gar nicht bewusst. Und doch: Mit ihrem Selbstverständnis, für alle Bereiche ihres Werks eine eindeutige Haltung zu entwickeln, diese mit aller Konsequenz durchzusetzen und gegen alle Widrigkeiten zu verteidigen, das macht die Marke zu einer typisch deutschen Unternehmungserscheinung.

So wie die Brüder Arthur und Erwin Braun alles anders machen wollten, weil sie in ihrer Welt nichts vorfanden, das ihren Ansprüchen genügte; so wie es Marken wie Bulthaup, Dornbracht, Erco oder Apple nachtaten, wollte auch Jil Sander alles anders machen als das, was sie als junge Textilingenieurin und Moderedakteurin in ihrem Heimatland vorfand.

Betrachtung der Dinge in ihrem Kontext

Dabei hat sie immer nur für sich entworfen, für die konkreten Bedürfnisse einer starken wie verletzlichen, einer modernen wie aktiv gestaltenden Persönlichkeit. Eine größere Form der Nutzerzentriertheit ist nicht denkbar. Sie mündet zwangsläufig in eine Strategie, die die Dinge nicht isoliert, sondern in einem Kontext betrachtet. Für Jil Sander war es selbstverständlich, auch die Verkaufssituation für ihre Mode zu gestalten, die Fotografie, die Grafik, die Verpackung ihrer Produkte zu bestimmen.

Der Rat für Formgebung wirbt für ein ganzheitliches Designverständnis. Es geht uns um die bewusste Gestaltung aller sinnlich erlebbaren Aussagen eines Produktes oder einer Marke mit dem Ziel, die Bedürfnisse der Kunden besser und nachhaltiger zu adressieren.Die Grundlage für dieses Verständnis bilden die Begriffe Haltung – Identität und Authentizität – sowie Form – Gestaltung und Qualität. Sie implizieren, dass ganzheitliche Gestaltung das Ergebnis von gelebter Unternehmenskultur und gesellschaftlicher Verantwortung mit dem Ziel darstellt, die Lebensqualität der Menschen nachhaltig zu verbessern. Für die Persönlichkeitsauszeichnung German Design Award 2018 gibt es keine würdigere Preisträgerin als die deutsche Designerin Jil Sander. Sie ist ein Kosmos für sich.


Zuerst erschienen im Katalog des German Design Award 2018. Beitragsbild © Peter Lindbergh. Quelle: Rat für Formgebung

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