8 min read

Anna Alex ist Mitgründerin von Planetly, einem Unternehmen, das die Geschäftswelt dabei unterstützt, klimaneutral zu werden. Dort bündelt sie das Know-how von Expertinnen und Experten für Wirtschaft, Umwelt und Technologie. Wir sprachen mit ihr darüber was Design und Branding gegen die Klimakrise leisten können.

Interview: Martin Krautter. Redaktion: Jan Pfaff.

Frau Alex, Sie widmen sich unternehmerisch einem Thema, das die Abwendung einer Klimakrise zum Inhalt hat. Hatten Sie ein Schlüsselerlebnis, bei dem Sie gesagt haben: „Verdammt, ich muss mich irgendwie um die wichtigen Dinge im Leben kümmern“?

Mir ist schon bei meiner letzten Firma Outfittery bewusst geworden, dass Unternehmen, die Verantwortung für ihren CO2-Fußabdruck übernehmen und klimaneutral werden wollen, ein Problem haben. Ich hatte mich damals der Initiative „Leaders for Climate Action“ angeschlossen und dazu verpflichtet, den Fußabdruck meines Unternehmens und meinen persönlichen Fußabdruck zu kennen.

Planetly Mitgründerin Anna Alex
Planetly Mitgründerin Anna Alex. Foto Guido Castagnoli

Als ich mich dann aufgemacht habe, diesen Fußabdruck herauszufinden, habe ich aber keine Tools gefunden, die mich dabei unterstützen. Meine einzige Möglichkeit war es, mit einem Berater zu arbeiten, der mit einem Excel-Sheet hereinkam und uns jede Menge Sachen gefragt hat. Das bezog sich aber ausschließlich auf das bereits abgeschlossene Geschäftsjahr – ich hätte da gar nicht mehr gegensteuern können. Irgendwann hat er mir dann ein PDF überreicht und gesagt: „Das ist jetzt euer CO2-Fußabdruck.“ Und das war’s!

Ich dachte mir, das kann es doch jetzt nicht gewesen sein. Alle reden darüber, dass der CO2-Fußabdruck die wichtigste Kennzahl des Jahrhunderts für die Menschheit sei und die Unternehmen einen riesigen Hebel haben – dann müssen wir denen doch die richtigen Tools an die Hand geben, um das auch wirklich tun können! Verglichen damit, mit welcher Tiefe und Genauigkeit ich meine Marketingkennzahlen und meinen finanziellen Kennzahlen kenne, habe ich mich gefragt: Warum gibt es denn eigentlich nicht die gleichen Systeme, damit Unternehmen ihre Nachhaltigkeitskennzahlen verstehen? Als ich das Tool da draußen nicht gefunden habe, habe ich es selbst gebaut. Und das ist jetzt Planetly.

Es war eigentlich eine misslungene User-Experience, durch die sie gesagt haben: „Also das geht besser!“

Ja, genau.

Da sind wir genau beim Thema Design. Planetly ist ein B2B-Service. Wo spielt Design dabei konkret eine Rolle?

Ich bin eine große Verfechterin von Designkonzepten und glaube wahnsinnig stark an die Macht von Marken. Unser erster Schritt war es, ein anständiges Branding- und Designkonzept zu erstellen. Normalerweise kommt das in Start-ups immer erst so in Jahr drei. Allenfalls machen sie dann mal ein bisschen Performance-Marketing, weil sich das messen lässt. In der Start-up-Welt wird das ganze Designthema fast ein bisschen skeptisch beäugt, eben weil man es nicht so gut messen kann.

Ja, man kennt dann irgendwen; „der Sohn der Kollegin studiert gerade Grafikdesign“.

Genau. Und so für fünfzig Euro zaubert der dann ein Logo aus der Schublade. Wir haben uns von Anfang an viele Gedanken darüber gemacht, wie wir uns eigentlich positionieren wollen. Das geht vom Logo über unsere Farben: Wir nutzen ein sehr, sehr starkes Grün mit einem Verlauf, das sehr gut wiedererkennbar ist.

Und ein weiterer Aspekt, den ich auch unter Design und Marketing fasse, ist die Art und Weise, wie wir über das Thema Klimakrise und Klimaneutralität reden. Denn das kann auch sehr aktivistisch betrachtet werden; es gibt ja viele schreckliche Nachrichten und Ereignisse. Ich habe aber gesagt: wir urteilen nicht. Denn wenn ein Unternehmen sich auf den Weg macht, seinen Fußabdruck zu verstehen und zu verbessern, dann ist das genau richtig, unabhängig davon, wo es heute steht. Man muss nicht perfekt sein, um jetzt anzufangen und sich auf den Weg zur Klimaneutralität zu begeben.

Entscheidend ist der Gedanke des „Handeln-könnens“.

Ja, absolut. Und deswegen sehen wir uns bei Planetly als Lösungsanbieter.

Planetly kann die CO2-Werte des eigenen Unuternehmen genau erfassen
Planetly kann die CO2-Werte des eigenen Unuternehmen genau erfassen. © Planetly 2021, All Rights Reserved

Welche Learnings haben Sie eigentlich aus Ihrem ersten Start-up Outfittery noch in dieses ganz neue Gebiet mitgenommen?

Ich bin sozusagen von der Business-to-Consumer auf die Business-to-Business-Seite gewechselt. Der Unterschied ist nicht mehr so groß, wie man früher dachte. Letztendlich sind es Menschen, die in den Unternehmen die Entscheidung treffen, das Tool bedienen und intern damit umgehen müssen. Während früher der Anspruch an B2B-Lösungen relativ gering war – die waren irgendwie hässlich, hatten keine gute UX, mussten intern verwendet werden, weil die IT-Abteilung entschieden hatte – läuft das nicht mehr nach dem Motto „das rollen wir jetzt auf alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus.“

Also ich bin da völlig bei Ihnen, auch aus eigenen Erfahrungen in „Corporate Germany“.

(lacht) Genau. Der Fokus geht in der Softwareentwicklung heute immer mehr auf den User-Komfort. Es ist tatsächlich so, dass viel Software mittlerweile von unten eingeführt wird. Entweder fangen die Leute im Privaten mal an, eine Software zu benutzen, dann rollen sie das in ihrem kleinen Team aus und erst dann kommt es überhaupt auf eine Businessebene.

Der andere Teil kommt davon, dass die Leute jetzt einfach mehr Flexibilität möchten und selbst entscheiden wollen, welche Tools sie verwenden, um produktiv zu sein. Das erfordert ein sehr viel höheres Wissen darüber, was Nutzer und Nutzerinnen wollen und wie ich über UX, UI-Elemente schaffen kann, dass die Nutzung meiner Software auch Spaß macht.

Ist es dieses Eingehen auf die individuellen Wünsche und das maßgeschneiderte Liefern, das Sie bei Planetly umzusetzen wollen?

Es ist zum einen die Personalisierung. Es gibt aber auch noch einen zweiten wichtigen Trend: Personal Branding. Die Personen hinter den Marken werden immer wichtiger und haben mittlerweile eine größere Reichweite als die Marken-Accounts. Elon Musk etwa hat sechsmal so viele Follower wie Tesla. Ähnlich auch Bill Gates. Ich habe meine eigenen Follower-Zahlen auf LinkedIn mit denen von Planetly verglichen, da sind es immerhin doppelt so viele Leute. Wir verbinden uns lieber mit anderen Menschen, statt mit gesichtslosen Markenaccounts. Das ist natürlich auch eine große Herausforderung.

Detaillierter Überblick über Treibgasemissionen
Detaillierter Überblick über Treibgasemissionen. © Planetly 2021, All Rights Reserved

Gibt es etwas, wo Sie sagen, das ist bei vielen Unternehmen im Argen, da könnte Design tatsächlich helfen?

Klimaschutz muss ganzheitlich gedacht werden. Das schließt insbesondere bei Produkten die Design-Phase ein. In Zukunft werden wir uns nicht nur anschauen, welche Emissionen das Produkt hat, das ich herstelle, sondern auch, welche Emissionen das Produkt hat, was ich gerade erst designe. Und wie kann ich es so designen, dass es klimafreundlicher ist und umweltschonender ist? Beispiel elektronische Produkte: welche Materialien wurden verwendet? Welche Stand-By-Funktionen gibt es? Wie wird es eigentlich benutzt? Dort anzusetzen, gehört zentral zu einer ganzheitlichen Klimaschutzstrategie.

Also bräuchte es auch Simulationstechniken im Designprozess, um den Umwelt-Impact voraussagen zu können? Ist das noch eine Zukunftsvision?

Einige unserer Kund/innen fragen tatsächlich danach. Mit unserer Software kann man Forecasts abgeben und damit sozusagen auch Simulationen machen. Und es gibt auch einige andere Firmen, die sich mit dem Thema beschäftigen. Ich glaube, in der ganzen Design- oder auch Architekturphase wird sich das über die nächsten Jahre als ein wichtiges Element herauskristallisieren.

Dann gibt es das Negativbeispiel Greenwashing, heißt, dass Unternehmungen sich eigentlich nur an der Oberfläche umweltbewusst geben. Wie ernst ist es den Leuten, die sich an Sie wenden und Ihr Tool einsetzen wollen?

Man muss aufpassen, dass man da nicht zu schnell urteilt. Denn letztendlich ist es wichtig, dass sich alle Unternehmen auf den Weg begeben, klimaneutral zu werden und es nicht erst tun, wenn sie das Gefühl haben, sie seien schon perfekt. Ich achte immer auf drei Punkte, um zu verstehen, wie ernst es Unternehmen ist:

Erstens auf welchem Standard eine Klimabilanz berechnet wurde: Der wichtigste Standard ist das Greenhouse Gas Protocol, das ist ein Accounting-Standard wie in der Finanzbuchhaltung. Wenn auf Basis dieses Standards berechnet wurde, dann kann gar nicht so viel gemogelt werden.

Als zweites, wie viel Transparenz das Unternehmen über den Fußabdruck gibt und inwiefern das auch in die verschiedenen Aktivitäten des Unternehmens aufgeteilt wird. Daraus kann ich ablesen, wie tief das Unternehmen in die Lieferkette reingegangen ist.

Und der dritte Punkt ist dann, ob das Unternehmen auch Reduktionsziele veröffentlicht hat. Denn wir müssen einfach alle verstehen, dass wir nicht nur kompensieren und mit „business as usual“ weitermachen können: wir müssen alle reduzieren.


„Wir müssen alle verstehen, dass wir nicht nur kompensieren und mit „business as usual“ weitermachen können: wir müssen alle reduzieren.“

— Anna Alex


Planetly zeigt Möglichkeiten, den eigenen CO2-Fussabdruck zu verringern
Planetly zeigt Möglichkeiten, den eigenen CO2-Fussabdruck zu verringern. © Planetly 2021, All Rights Reserved

Idealerweise sind die Reduktionen und Zielsetzungen sogar nach Science Based Targets erfolgt, einer Initiative, die sie auf ihre Wissenschaftlichkeit überprüft – das ist sozusagen der Goldstandard in den Reduktionszielen. Wenn ein Unternehmen das getan hat, weiß ich schon, dass sie es sehr, sehr ernst meinen.

Diese Unternehmen nenne ich immer gerne Carbon Heroes. Dazu gehören der Economist, Hello Fresh, Home24, Kienbaum, und einige andere, die das Thema wirklich sehr gut und fundiert angehen.

Kommen wir mal in den persönlichen Bereich: Sie sind im Bekanntenkreis bestimmt inzwischen Nachhaltigkeitsexpertin. Wenn eine Freundin, ein Freund Sie fragt: „Hey, ich möchte etwas tun gegen die Klimakrise, ich möchte meinen CO2-Abdruck verringern“, was raten Sie in so einer Situation?

Unternehmen haben einen sehr viel größeren Impact als die einzelnen Individuen. Ich glaube, wir haben jahrzehntelang den Fehler gemacht, die Verantwortung für die Klimakrise auf den Schultern der Endkunden und -kundinnen abzuladen. Wir können nicht einfach sagen „die müssen sich ja die nachhaltigen Produkte aussuchen, sonst bewegen sich die Unternehmen überhaupt nicht“: für die Einzelnen ist es unglaublich schwer, festzustellen, was wirklich nachhaltig ist. Wenn ich in den Supermarkt gehen, weiß ich natürlich, dass eine Hafermilch nachhaltiger ist als andere Milch. Aber zum Beispiel sind konventionelle Landwirtschaft und Produkte aus konventioneller Landwirtschaft aus Klimaperspektive besser, als Obst und Gemüse aus biologischer Landwirtschaft, was wiederum mit den Anbaumethoden etc. zu tun hat. Das heißt: Es ist unheimlich komplex.


„Der größte Hebel, den auch die Einzelperson hat, ist, ihre Firmen und Arbeitgeber dazu zu bewegen, nachhaltiger zu sein.“

— Anna Alex


Natürlich kann man aufhören, Fleisch zu essen, natürlich kann man auf grüne Energie umschalten. Der größte Hebel, den auch die Einzelperson hat, ist, ihre Firmen und Arbeitgeber dazu zu bewegen, nachhaltiger zu sein. Und das kann man machen, indem man zum Beispiel beim nächsten All Hands Meeting mal die Hand hebt und fragt: „Was ist denn eigentlich unser CO2-Fußabdruck?“ Oder „Was ist denn eigentlich unsere Klimaschutzstrategie? Haben wir irgendwie vielleicht eine interne Green Group? – Und wenn nicht, würde ich die jetzt gerne mal ins Leben rufen und das Thema vorwärts pushen!“ Das ist eigentlich einer der größten Hebel, die jeder und jede Einzelne hat.

Wir danken Anna Alex herzlich für das Interview.


Deutscher Marken- und Designkongress „Change – new horizons“

Unter dem Motto „Change – new horizons“ finden sich am 11. November Expertinnen, Experten und Verantwortliche aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft auf dem interdisziplinären Deutschen Marken- und Designkongress 2021 im Stuttgarter Porsche Museum zusammen. Dabei geht es um die wirkungsvolle Umsetzung von Branding- und Designkonzepten und wie diese positiv zum Thema Nachhaltigkeit beitragen können. Moderatorin Dr. Ines Marbach führt durch ein spannendes Programm mit Vorträgen u. a. von BioNTech, Ecosia, Shift und Siemens Mobility.

Anmeldeschluss ist der 5. November 2021 Neben der Teilnahme vor Ort kann die Veranstaltung auch virtuell über Live-Stream besucht werden.


Mehr auf ndion

Weitere Beiträge zum Thema Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft.


Diese Seite auf Social Media teilen:

Print Friendly, PDF & Email