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Er gilt als einer der bedeutendsten Architekten und Designer der Moderne und hat in beiden seiner Ehen partnerschaftlich mit seinen Ehefrauen Aino und Elissa zusammengearbeitet: Arte zeigt die Dokumentation „Alvar Aalto – Finnlands großer Architekt“ von Virpi Suutari.

Von Thomas Wagner.

Alvar Aalto und seine erste Frau Aino
Architektentraumpaar: Alvar Aalto und seine erste Frau Aino. © Aalto family/Euphoria Film. Foto: ARTE

Es ist die geheimnisvollste und schönste Szene der 2018 entstandenen Dokumentation „Alvar Aalto – Finnlands großer Architekt“ von Virpi Suutari: Gerade ist man als Zuschauer noch mit an Bord der Patris II auf der Fahrt von Marseille nach Athen und beobachtet die Crème de la Crème der modernen Architektur des IV. Congrès Internationaux d’Architecture Moderne (CIAM). Die um Le Corbusier und Generalsekretär Siegfried Giedion versammelten „europäischen Top-Architekten“ hatten Alvar Aalto (1898 bis 1976) in ihren Kreis aufgenommen und kreuzten gerade recht symbolisch in internationalen Gewässern. Dann wechselt die Szene. Plötzlich scheint dichter Nebel zu herrschen. Langsam begreift man, dass man von oben auf ein langgestrecktes Gebäude blickt. Was einem zunächst wie die Aufnahme eines Modells vorgekommen ist, entpuppt sich als das Sanatorium von Paimio in schneebedeckter Landschaft. Schemenhaft wie eine Fata Morgana taucht der Baukörper zu Posaunenklängen aus dem Zwielicht auf.

Ein Sanatorium für den „horizontalen Menschen“

Aalto hat den Wettbewerb für die weitläufige Anlage des Tuberkulosesanatoriums 1929 für sich entschieden. Eingeweiht wurde der mehrflügelige weiße Bau mit seinen sieben Stockwerken im Juni 1933. Die Terrasse, auf der die Kranken in frischer Luft genesen sollten, erstreckt sich unter einem etwas kurzen Flugdach über die gesamte Länge des Patientenflügels. Im Film bemerkt der Architekt Juhani Pallasmaa dazu, Aalto sei ein recht stilreiner Modernist gewesen, aber nur wenige Jahre lang. Mit dem Tuberkulosesanatorium und der (1935 fertiggestellten) Stadtbücherei von Vyborg habe er dann seinen eigenen Stil gefunden. „Da er“, so Pallasmaa, „kurz nachdem er mit der Planung begonnen hatte, selbst einige Tage im Krankenhaus verbrachte, wurde ihm klar, dass der Patient im Krankenhaus die Welt aus einem anderen Blickwinkel sieht, als ein gesunder Mensch.“

Er muss von sehr gewinnendem Wesen gewesen sein

Alvar der Mensch, Aalto der Architekt – der Film versucht beide zu porträtieren. Dabei schreitet er, von gelegentlichen Rückblenden abgesehen, chronologisch voran, folgt biografischen Ereignissen ebenso wie Aaltos sukzessiv entstehenden Bauten. „Als Mensch“, hebt die Architekturhistorikerin Nina Stritzler-Levine hervor, „war er sicher kompliziert; er muss von sehr gewinnendem Wesen, großherzig und intelligent gewesen sein, und hatte ausgezeichnete Menschenkenntnis. Er hatte wohl sehr viel Charme“. Über seine erste Frau sagt sie: „Aino Marsio-Aalto war die moderne Frau schlechthin: Mutter, Architektin, Designerin – und die Frau von Alvar Aalto. Sie hatte verschiedene Identitäten. In der Bewegung der Moderne gab es nur sehr wenige Paare, die Aaltos waren also recht ungewöhnlich – und, meiner Meinung nach, Pioniere.“

Maison Louis Carré in Bazoches-sur-Gyonnes
Die Maison Louis Carré in Bazoches-sur-Gyonnes, Frankreich, wurde von Alvar Aalto und seiner zweiten Frau Elissa für die Kunstsammler Louis und Olga Carré entworfen. © Euphoria Film. Foto: ARTE

Arbeit und Partnerschaft

Alvar ließ den Raum selbst sprechen, Aino brachte Licht, Stoffe und Atmosphäre hinzu. Die beiden waren ein Team, schufen nicht nur Gebäude, sondern mit ihren gemeinsam gestalteten Bugholzmöbeln auch eine vollkommen neue Möbelsprache – einen erfrischenden Gegenentwurf zu den Stahlrohmöbeln der Bauhaus-Ästhetik. Die Möbel wurden schnell international populär. Der erste, der sie in Amerika förderte, war Lawrence Rockefeller. Überhaupt waren Aalto-Möbel in den USA bis in die späten 1940er Jahre die erfolgreichste Marke für moderne Möbel. Eine Ausstellung 1938 im MoMA machte Alvar und Aino im ganzen Land bekannt; durch die New Yorker Weltausstellung 1939 erreichte ihre Popularität dann beispiellose Ausmaße. Später – Aino starb 1949 – teilte Alvar Leben und Arbeit mit seiner zweiten Frau Elissa, auch sie Architektin und Designerin.

Alvar Aaltos modernen Interpretationen von romanischen Foren oder venezianischen Amphitheatern
Mittels Materialien wie Glas, Holz, Beton und Ziegel ließ der finnische Meisterarchitekt Alvar Aalto seine modernen Interpretationen von romanischen Foren oder venezianischen Amphitheatern entstehen. © Euphoria Film. Foto: ARTE

Bauen mit, nicht gegen die Natur

Aalto hat nie gegen die Natur, er hat immer in und mit ihr gebaut. Legendär sind seine geschwungenen Decken, die das Organische anstelle des Konstruktiven betonen und die atmosphärische Energie gleichsam im Raum festhalten, indem sie den Blick abbremsen und in den Raum zurücklenken. An der Raumgliederung und den Materialien, die er verwendete, wird deutlich: Aalto biederte sich der Natur nicht an, strebte aber danach, das Rational-Konstruktive als einen Grundzug der Moderne mit dem Organisch-Naturhaften zu versöhnen. Künftige Bewohner oder Nutzer, ist im Film zu hören, sollten sich in den von ihm geschaffenen Räumen so willkommen und wohl fühlen wie möglich – woraus sich fast von selbst ein Programm einer menschenfreundlichen Architektur ergibt.

Im Ganzen betrachtet erweist sich die Dokumentation ebenso als profunde biografische Skizze wie als Einführung in das Werk von Alvar Aalto und die Teamarbeit mit seinen beiden Ehefrauen. Mehr als kurz beleuchtet werden die einzelnen Aspekte freilich nicht. Oft eilt der Film in kurzen Sequenzen durch die Zeit, als durchquerte man ein prall gefülltes Leben wie man von einem Stein zum anderen über einen rauschenden Bach springt. Gerade noch herrscht Krieg mit Russland, Alvar sortiert Fußlappen und sein Freund Rockefeller spendiert Finnland auf Alvars Bitte hin 100.000 Dollar (Alvar spricht von 1 Million) – schon werden der Wohnungsbau der Nachkriegszeit und das Institut für Standardisierung erwähnt, um im nächsten Moment schon weiterzueilen. Erhellend sind die Schlaglichter aber trotzdem. „Architektur und Leben“, heißt es zum Schluss, „war für die Aaltos eins. Nicht nur in ihren Entwürfen, sondern auch in ihrem Alltag; Architektur war das, was sie ausmachte“.

Bibliothek in Vyborg
In den 1930er Jahren entwarf der finnische Architekt Alvar Aalto eine Bibliothek in Vyborg, Russland, die heute seinen Namen trägt. © Euphoria Film. Foto: ARTE

Alvar Aalto – Finnlands großer Architekt ist noch bis zum 11. März 2021 in der Arte Mediathek verfügbar.

Alvar Aalto und seine erste Frau Aino
© Aalto family/Euphoria Film
Foto: ARTE

Dokumentation, 52 Min.

Online vom 3. Februar 2021 bis 11. März 2021

TV-Ausstrahlung
Mittwoch, 10. Februar 2021 um 22:00 Uhr Erstausstrahlung

Sonntag, 14. März 2021 um 06:00 Uhr

Sonntag, 21. März 2021 um 07:20 Uhr

Zum Film in der ARTE-Mediatek


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