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Immer mehr Unternehmen setzen auf Materialien, die auf dem Wachstum von Mikroorganismen wie Algen, Pilzen und Bakterien beruhen. Diesen Trend bestätigte die jüngste Ausgabe der Biofabricate im Januar, die erstmals seit ihrer Gründung vor zehn Jahren nicht in New York oder London, sondern in Paris stattfand. Warum Paris wichtig für die Biotechnologie-Szene an der Schnittstelle zu Industrie und Design ist, erfahren Sie hier.

Von Karianne Fogelberg

v.l.n.r.: Suzanne Lee (Biofabricate), Kenji Higashi (Spiber), Inka Apter (Eileen Fisher Inc.), Christian Tubito (Kering Material Innovation Lab) auf dem BIOFABRICATE Paris Summit 2024 © BIOFABRICATE™,
Foto: Robert Leslie

Dass erdölbasierte oder tierische Werkstoffe immer häufiger Materialien weichen, die auf dem Wachstum von Mikroorganismen wie Algen, Pilzen und Bakterien beruhen, ist keine Zukunftsmusik mehr. Immer mehr Unternehmen setzen auf diese Materialien, um Umweltauflagen zu erfüllen und der steigenden Nachfrage von Verbrauchern nach nachhaltigen Produkten zu entsprechen. Zuletzt etwa hat Unilever das Biotechnologie-Start-Up für Premiumhaarpflege K18 gekauft. Diesen Trend bestätigte die jüngste Ausgabe der Biofabricate im Januar, bei der eine Reihe neuer industrieübergreifender Partnerschaften und Markteinführungen verkündet wurden. Dazu zählt auch die Zusammenarbeit zwischen Ligne Roset und MycoWorks, eine Premiere in der Möbelindustrie, aber dazu später mehr. Es war natürlich auch kein Zufall, dass das Branchenevent für aktuelle Entwicklungen in der Biotechnologie an der Schnittstelle zu Industrie und Design erstmals seit zehn Jahren nicht in New York oder London, sondern in Paris stattfand: „Den Biofabricate-Gipfel nach Paris zu bringen ist eine strategische Entscheidung für uns“, erklärte die Gründerin, Designerin und Biomaterial-Pionierin Suzanne Lee im Vorfeld. „In Paris ist sowohl die Luxusindustrie zu Hause als auch die aufkommende EU-Gesetzgebung zu Nachhaltigkeit. Beide treiben die Bio-Innovation an.“

Schulterschluss mit der Luxusgüterindustrie

Mit der Kering Gruppe als Hauptsponsor konnte die diesjährige Biofabricate einen ebenso namhaften wie einflussreichen Akteur gewinnen, der der biotechnologischen Materialbranche die Türen zu den Luxussegmenten der Mode- und Lederwarenindustrie öffnet. Zum Portfolio der Gruppe zählen unter anderem Gucci, Bottega Veneta, Balenciaga und Alexander McQueen und seit 2023 auch eine eigene Kosmetik-Sparte. Denn Paris ist nicht nur als Modestandort interessant. Die hier ansässige Kosmetikindustrie sucht ebenso nach biotechnologischen Alternativen, um die bisherigen erdölbasierten Inhaltsstoffe oder solche, die aus seltenen Pflanzen oder Tieren gewonnen werden, zu ersetzen. Solche innovativen Substanzen entwickeln etwa das deutsche Start-up Bioweg oder Curie Co in den USA, die beide bei der Biofabricate vertreten waren.

BIOFABRICATE Design Lab auf dem BIOFABRICATE Paris Summit 2024 © BIOFABRICATE™,
Foto: Robert Leslie

Mit Materialien, die auf natürlichen Wachstumsprozessen beruhen, lässt sich der CO2-Ausstoß ebenso wie die Abhängigkeit von knapper werdenden Ressourcen und schädlichen Giftstoffen reduzieren, alles Faktoren, die deutlich an Relevanz gewonnen haben. Mit näher rückenden Fristen zur Einhaltung von gesetzlich vorgeschriebenen oder selbst gesetzten CO2-Einsparzielen steigt bei Unternehmen das Interesse an praktikablen Lösungen, in die sie auch zu investieren bereit sind: „Mit unserem neuen ehrgeizigen Ziel, unsere absoluten Emissionen um 40 Prozent zu reduzieren, brauchen wir jetzt, mehr als jemals zuvor, innovative Akteure wie SQIM, um den Übergang zu einer nachhaltigeren Industrie zu beschleunigen” ,sagt Marie-Claire Daveu, Chief Sustainability und Institutional Affairs Officer bei Kering, im Zusammenhang mit der in Paris verkündeten Investition in das designorientierte Biotech-Start-Up SQIM, das bisher unter dem Namen Mogu firmierte und mit dessen Mycel-Leder man bei Balenciaga bereits arbeitet.

SQIM auf dem BIOFABRICATE Paris Summit 2024 © BIOFABRICATE™, Foto: Robert Leslie

Attraktive Förderstrukturen der EU

Hier kommt die EU ins Spiel. Denn sie fördert die Transformation von einer erdöl- zur biobasierten Wirtschaft nicht nur durch ihre Gesetzgebung und die Etablierung richtungsweisender Umweltstandards, sondern auch mit finanziellen Mitteln. Mit dem European Circular Bioeconomy Fund“ (ECBF) hat die Europäische Kommission einen „Private Venture Fund“ aufgelegt, der aktuell 300 Millionen Euro verwaltet und Firmen mit Sitz in den 27 Mitgliedstaaten sowie in „EU Horizon 2020“-assozierten Staaten fördert. Davon profitiert auch SQIM. Die jüngste erfolgreiche Finanzierungsrunde ermöglicht es der Firma, die vertikale Fertigung auszubauen und seine beiden Produktfamilien „Mogu“ und „Ephea“ weiter am Markt zu etablieren. Wie viele Start-ups in der Branche steht SQIM aktuell vor der Aufgabe, seine Technologien und Produktionskapazitäten auf einen industriellen Maßstab zu bringen. Investitionen spielen dabei, neben förderlichen regulatorischen Rahmenbedingungen, eine Schlüsselrolle, wie Suzanne Lee, Designerin und Gründerin von Biofabricate, zuletzt in einem Interview mit der World Intellectual Property Organization (WIPO) hervorhob. Erst wenn größere Volumen produziert würden, kommen Produkte aus Algen, Bakterien und Pilzen von limitierten Auflagen im Luxussegment in den Mainstream.

Premiere in der Möbelindustrie

Diesen Weg beschreitet jetzt das französische Familienunternehmen „Ligne Roset“, das in Paris bekannt gab, signifikante Anteile des Produktionsvolumens der Biotechnologiefirma MycoWorks erworben zu haben. Nach eigenen Angaben wird Ligne Roset als erster Möbelhersteller mit dem unter der Marke „Reishi“ eingetragenen Mycel-Leder arbeiten. „Wir haben jahrelang auf ein natürliches, nachhaltiges Material gewartet, das unseren Qualitätsstandards und den Ansprüchen unserer Kunden gerecht wird“, sagt Antoine Roset, Marketing Director Groupe Roset, zu diesem Schritt: „Wir glauben, Reishi ist die Antwort.” Das Material lässt sich in Dichte, Gewicht und mechanischen Eigenschaften individuell an Kundenanforderungen anpassen. Dabei behält es die Qualität eines natürlich gewachsenen Materials, das sich wie Leder verhält und anfühlt, aber mit einer geringeren Umweltbelastung einhergeht. Erst im Herbst hat MycoWorks seine erste eigene industrielle Produktionsstätte in South Carolina eröffnet, die künftig Ligne Roset beliefert. Ein weiterer begünstigender Faktor ist, dass der Biotech-Pionier seit 2022 neben seinem Sitz in San Francisco ein Büro in Paris unterhält. Der Ankündigung gingen monatelange Materialtests in der in Frankreich ansässigen Produktion voraus, um das Material in puncto Haltbarkeit und Performance an die Erfordernisse der Möbelindustrie anzupassen. Eine limitierte Kissenedition namens „Teneo“ kam bereits 2023 in den Handel. Demnächst sollen Entwürfe aus der Kollektion, darunter auch Klassiker wie das Togo-Sofa mit seinen einladenden Knautschfalten (Entwurf Michel Ducaroy), in Mycel-Leder erhältlich sein.

Mycel-Leder © Reishi
Ligne Roset © Mathieu Bonnevie

Neuer Standard über alle Segmente hinweg

Zu den Ausstellern in Paris zählte unter anderem auch das britische Unternehmen „Colorifix“, das Textilien mit Bakterien färbt und damit eine saubere und energiesparende Alternative zu petrochemischen Farbstoffen bietet, die die Textilindustrie zukunftsfähig machen kann. Modelabels wie „H&M“, „Pangaia“ und „Vollebak“ verwenden Colorifix bereits. Dass Biofabrikation nicht nur ökologische und wirtschaftliche Einsparpotenziale, sondern auch neue Gestaltungsmöglichkeiten ermöglicht, zeigt die gemeinsame Initiative VivioBiome, die der Anbieter von Barfußschuhen, „VivoBarefoot“, und das israelische Start-up „Balena“ in Paris bekannt gegeben haben. Im Rahmen der Zusammenarbeit soll die weltweit erste 3D-gedruckte, individualisierbare Schuhsohle aus biobasierten Materialien entwickelt werden, die sich in einem industriellen Verfahren kompostieren lässt.

© Colorifix

Die Botschaft der diesjährigen Biofabricate ist unmissverständlich. Ob Mode, Kosmetik, Mobilität, Interieurs oder der Bau – es wird in Zukunft keinen Wirtschaftszweig geben, in dem biotechnologisch erzeugte Materialien keine Rolle spielen werden. Es ist lediglich eine Frage der Zeit, wie schnell sie sich etablieren werden. Wirtschaftsunternehmen, Gesetzgeber, Investoren und Hochschulen (ndion vom 19. Dezember 2022) arbeiten intensiver denn je daran.

BIOFABRICATE-Gründerin und CEO Suzanne Lee auf dem BIOFABRICATE Paris Summit 2024
© BIOFABRICATE™, Foto: Robert Leslie
BIOFABRICATE Paris Summit 2024
© BIOFABRICATE™, Foto: Robert Leslie

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