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Wenn Lieferketten unterbrochen und Energiereserven knapp sind – reale Szenarien hier und heute – dann reicht es nicht mehr, einzelne Materialien zu substituieren oder ausgewählte Prozesse in ihrer Effizienz zu steigern. Die BurgLabs an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle arbeiten daran, Materialkreisläufe und Produktionssysteme grundlegend neu zu denken. Damit leisten sie einen wichtigen Beitrag zu der dringend benötigten Transformation im Umgang mit begrenzten Ressourcen.

Von Karianne Fogelberg.

Wie können wir Wachstumsprozesse lebender Organismen nutzen, um Dinge herzustellen? Von woher beziehen wir Gips, wenn alle Kohlekraftwerke abgeschaltet sind? Lässt sich Stampflehm als robotergestütztes additives Fertigungsverfahren denken? Diese und weitere Fragen haben die BurgLabs an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle seit 2020 erforscht. Dass die erste Projektphase in eine Zeit krisenhafter Umbrüche fallen würde, war nicht vorherzusehen. Um so deutlicher tritt die Notwendigkeit solcher Ansätze hervor. „Die Zeit ist knapp, und ein ‚Klein-Klein‘ reicht nicht mehr“, schreiben die Professor*innen Mareike Gast und Christian Zöllner anlässlich der Ausstellung „BurgLabs present“. „Wenn wirklich grundlegende Veränderungen wünschenswert sind, ist die Mitarbeit von Gestalter*innen unverzichtbar.“ Machbarkeiten seien nicht nur „wissenschaftlich und technologisch zu erforschen“, sondern ebenso wichtig sei es, „Zukünfte zu skizzieren, um diese neuen Lebensweisen vorstellbar, anschaulich und diskutierbar zu machen.“

BurgLabs present
Ausstellung „BurgLabs present“ (31. August bis 5. September 2022 im Futurium Berlin), © Foto: Jana Luck

Potentiale der Designforschung für die Innovation

Die drei BurgLabs – BioLab, SustainLab und XLab – werden jeweils von interdisziplinären Teams geleitet und ermöglichen den Studierenden, zukunftweisende Technologien und Materialien gestalterisch und im Hinblick auf mögliche Anwendungen zu erforschen. Der Leiter des BioLabs, der Biologe Dr. Falko Matthes, sieht den Wert von Design aus der Perspektive eines Wissenschaftlers, der selbst viele Jahre in der Forschung tätig war, zuletzt beim Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung Gatersleben: „Man kann schnell Konzepte ausprobieren. Insbesondere in der Grundlagenforschung investiert man oft viel Zeit, bevor industrielle Anwendungsmöglichkeiten sichtbar werden. Mit Design hingegen entstehen bereits früh Artefakte, die sich anfassen und diskutieren lassen.“ Und dies ist nur ein Beispiel, wie sich naturwissenschaftliches und gestalterisch-künstlerisches Arbeiten, die auf den ersten Blick im Widerspruch zu stehen scheinen, sinnvoll und nutzbringend ergänzen können.

Im BioLab können Studierende nach einer Sicherheitseinführung selbständig mit der Materie und den Prozessen der Biotechnologie arbeiten. Einen eigenen Arbeitsort zu haben ist wichtig: „Früher waren die Gestalter*innen in Laboren immer Bittstellende“, so der Biotechnologe Johann Bauerfeind, wissenschaftlicher Mitarbeiter am BioLab. „Wenn sie mit Pilzen oder Mikroorganismen arbeiten wollten, waren sie darauf angewiesen, dass ihnen die Forschenden Zugang zu ihrem Labor und Wissen gewährten. Daran sind viele strukturell gescheitert. Es gab einfach nicht genügend Zeit oder Ressourcen, um einen Impact zu entwickeln. Mit dem BioLab“, so Bauerfeind, „drehen wir den Spieß um und holen die Kompetenzen von Biotechnologen und Biologen für sie an die Hochschule.“

Schuh aus dem Inkubator

Die Mitarbeitenden der BurgLabs unterstützen die Studierenden in der Realisierung ihrer Ideen, arbeiten aber auch an eigenen Forschungsfragen. Zusammen mit dem Designer Fabian Hütter, künstlerischer Mitarbeiter am BioLab in der ersten Projektphase, hat Bauerfeind etwa mit der Arbeit Habitat die Schnittstelle zwischen biologischen Materialien und industriellen Fertigungstechniken erforscht: Lassen sich Wachstumsprozesse von Mikroorganismen unter Hinzunahme industrieller Herstellungsverfahren gezielt lenken, um individualisierte, biologisch rückführbare Objekte herzustellen? Geforscht wird dabei einem Schuh-Modell, für dessen Sohle das Slip Casting-Verfahren als Vorlage diente, das aus der Porzellanfertigung bekannt ist. In ersten Versuchen ist es ihnen gelungen, das Wachstum verschiedener Mikroorganismen in die Dreidimensionalität zu bringen. Dieser Ansatz eröffnet neue Herstellungskonzepte. Beispielsweise können in ein- und demselben Prozess unterschiedliche Materialeigenschaften entstehen: „Durch die Verwendung einer höheren Temperatur lässt sich in ausgewählten Bereichen stärkeres Wachstum begünstigen“, erklärt Bauerfeind. „So können wir perspektivisch weichere und stabilere Zonen innerhalb derselben Sohle generieren.“

Dip Moulding des Schuhleistens: Beim Tauchen setzt sich eine Schicht aus Hydrogel und Nährstoffen auf dem Schuhleisten ab – ein idealer Nährboden, © Foto: Jana Luck
Inspiriert vom Slip Casting: Die Schuhsohle wächst in der Nährlösung in einer Wachstumskammer, © Foto: BurgLabs
Schuhleistenform in der Wachstumskammer: Der eigentliche Schuhschaft entsteht erst durch das Bewachsen dieser Schicht mit den Organismen, © Foto: BurgLabs
Der Hohlraum zeigt den in Form gewachsenen Organismus: Der Holhraum entspricht der Materialstärke der künftigen Schuhsohle, © Foto: BurgLabs

Nachhaltigkeit methodisch schärfen

Im SustainLab arbeiten die Designerin Ina Turinsky und der Umweltwissenschaftler Henning Frančik disziplinübergreifend zu nachhaltigen Prozessen und deren Gestaltungsmöglichkeiten.
Wie im BioLab geht es auch ihnen darum, die Perspektiven von Design und Wissenschaft enger miteinander zu verzahnen. Dabei steht das SustainLab zum einen vor der Herausforderung, den inflationär verwendeten Begriff der Nachhaltigkeit zu schärfen: „Für uns ist es wichtig, systematische Methoden zu entwickeln, um den Begriff Nachhaltigkeit zu entschlüsseln“, erklärt Turinsky. „Was meinen wir im konkreten Fall damit? Geht es zum Beispiel um Stoffströme, die zurück in den Kreislauf geführt werden? Oder darum, ein lokales Material zukunftsfähig zu machen?“ Gleichzeitig streben sie „eine Enthierarchisierung der verschiedenen Herangehensweisen“ an, indem sie systematisch-methodisches Vorgehen ebenso wertschätzen wie experimentellere Arbeitsweisen. Letztere sind nicht immer quantifizierbar oder unmittelbar verwertbar, sie können aber ebenso wichtige Impulse und Erkenntnisse stiften.

Gips aus Klärschlamm

In der Arbeit (un)certain flows haben Turinsky und Frančik beispielsweise mit einem mathematischen Modell die aktuellen Stoffströme von Gips analysiert und darauf aufbauend Zukunftsszenarien entwickelt, wie sich Gips 2050 gewinnen, nutzen und rückführen lässt. Zusammengearbeitet haben sie dabei mit dem in der Region ansässigen Gipswerk Rump & Salzmann in Uehrde und der Mitteldeutschen Umwelt- und Entsorgung GmbH. Aktuell werden hierzulande 60% der Gesamtproduktion von Gips aus einem Nebenprodukt gewonnen, das bei der Stromerzeugung in Kohlekraftwerken anfällt, der sogenannte Rauchentschwefelungsgips. Wenn diese Quelle mit dem Kohleausstieg versiegt, könnte man – so ein Szenario – Gips aus Abwasser bzw. Klärschlamm gewinnen und so Entsorgungsprozesse mit der Produktion neuer Stoffe verknüpfen und Kreisläufe schließen. Parallel zu den spekulativen Szenarien, die uns in eine Zukunft versetzen, in der Gips bereits aus alternativen Quellen generiert wird, zeigen Diagramme, wie sich die jeweiligen Stoffströme innerhalb des Materialsystems dadurch verändern könnten.

Stampflehm als digitales Verfahren

Während (un)certain flows in der Verknüpfung von Ansätzen aus spekulativem Design und Stoffstromanalyse eher „quantitativ, logisch, stringent und funktional“ ist, wie Frančik konstatiert, haben sie in der Arbeit prog/rammed earth ein ergebnisoffeneres Vorgehen gewählt. In Zusammenarbeit mit dem Architekten Simon Maris aus dem XLab haben sie die jahrhundertealte Bautechnik des Stampflehms untersucht und neue formale sowie funktionale Typologien für Stampflehm erforscht, die von digitalen Fertigungsverfahren wie dem Selektiven Laser Sintern inspiriert sind. In Anbetracht der enormen Mengen an Bodenaushub jedes Jahr in Deutschland hält Stampflehm als lokaler und kreislauffähiger Werkstoff große Potentiale bereit, und ihre Arbeit eröffnet in diesem Kontext neue Perspektiven auf die Nutzung lokaler Sedimente.

BurgLabs: Die Multiplikatoren der Zukunft

Das laborübergreifende Arbeiten, das sich bei prog/rammed earth bewährt hat, soll in der kommenden Förderphase an den BurgLabs intensiviert werden. Gleichzeitig ist eine noch engere Verzahnung mit regionalen Unternehmen und Forschungseinrichtungen geplant. Beispielhaft hierfür ist das Anfang 2023 beginnende Forschungsprojekt insectmatter, welches das BioLab und SustainLab mit ihren jeweiligen Kompetenzen und Perspektiven ebenso wie regionale Partner aus Wirtschaft und Forschung einbeziehen wird. Bei alledem steht auch weiterhin die Ermöglichung von Studierendenprojekte im Fokus der BurgLabs. So ist u.a. geplant, am Designhaus Halle, dem Existenzgründerzentrum der Burg, weitreichendere Gründungsangebote zu schaffen, um den Transfer in die Anwendung zu leisten. Denn wie BioLab-Leiter Matthes sagt: „Die Studierenden sind die Multiplikatoren der Zukunft.“


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