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Sie haben sich wie Piraten gefühlt und dem Großen Bruder IBM mit einem kleinen Rechner und einem Werbeclip die Schau gestohlen: Vor vierzig Jahren hat Apple den ersten Macintosh vorgestellt und damit unser Verhältnis zu Computern grundlegend verändert. Aus einer Business-Maschine wurde ein Alltagsgegenstand für User.

Von Thomas Wagner

Video (1984): Steve Jobs präsentiert den allerersten Apple Macintosh, Bild: IDG

Positiv denken, an Utopien glauben, die Gegenwart neu programmieren und ihr eine überraschende Wendung geben – Steve Jobs und Apple haben den Spirit des Silicon Valley sehr selbstbewusst zelebriert, als viele Tech-Freaks in ihren Garagen noch vom großen Erfolg träumten. „Am 24. Januar 1984 wird Apple Computer Macintosh vorstellen – und Sie werden sehen, weshalb 1984 nicht sein wird wie ,1984‘.“ Der Werbeclip, mit dem das ambitionierte Unternehmen seinen neuen Rechner vorgestellt hat, ist so außergewöhnlich wie gewagt. Die Regie des 750 000 US-Dollar teuren Spots führte kein Geringerer als Ridley Scott, der Filme wie „Alien“ und „Blade Runner“ gedreht hatte. In Anlehnung an George Orwells dystopischen Roman „1984“ spielt der kurze Streifen offen mit dem Pathos einer Revolte gegen den Big Brother: Kahl geschorene Männer in grauer Gefängniskluft lauschen den Worten des mächtigen Führers, bis eine Frau in knappem Sportoutfit, von Sicherheitskräften gejagt, in die Halle sprintet und einen Vorschlaghammer in den Bildschirm schleudert. Schluss mit Big Brother.

The Times They Are a-Changin

Der Spot, der in den USA zunächst während der Übertragung des Super-Bowl ausgestrahlt wurde, wirkte derart spektakulär, dass ihn die Fernsehsender im ganzen Land in den Abendnachrichten wiederholten. Und als der Macintosh auf der Apple-Hauptversammlung präsentiert wurde, rezitierte Steve Jobs einen Song von Bob Dylan: „The Times They Are a-Changin’“. Die Inszenierung wirkt bis heute nach: Auch vierzig Jahre später (in der Computerbranche eine Ewigkeit) umgibt den Ur-Mac noch immer der Nimbus einer revolutionären Innovation. Mochte das Revolutionstheater auch etwas bombastisch ausgefallen sein, aus der Perspektive von Apple sollte nichts mehr so sein wie zuvor. Kontrollgesellschaft hin oder her, der zelebrierte Antitotalitarismus ließ sich mit dem netten, freundlichen Mac geschickt umleiten. Ihm traute keiner zu, die Macht übernehmen und einen Krieg der Maschinen gegen die Menschen anzetteln zu wollen, was 1984 in „Terminator“ filmisch durchgespielt wurde. Der kleine Kasten, der einen mit „hello“ in Schreibschrift begrüßte, wurde zum Gegenbild stilisiert, das auf Spaß und Kommunikation programmiert war statt auf Angst.

© picture alliance/dpa/Apple

Vom Underdog zum Champion

Nicht übersehen werden darf: Als der erste Macintosh 1984 herauskam, war Apple ein Underdog innerhalb einer Branche, die gerade begann, sich zu verändern. Heute führt Apple die globalen Markenrankings an. Gerade hat das Unternehmen beim „Brand Finance Global 500“ mit einem Markenwert von 517 Milliarden US-Dollar den Titel als wertvollste Marke der Welt mit großem Vorsprung zurückerobert und seinen Markenwert um 219 Milliarden US-Dollar gesteigert, was einem Plus von 74 % entspricht. IBM, der „Große Bruder“ von damals, rangiert hingegen auf Platz 71. Nicht das One-Box-Design war entscheidend für die Wende, ebenso wenig die Mobilität. Der Erfolg blieb bei der Markteinführung zunächst sogar aus.

Die User ernst nehmen

Es sind zwei Eigenschaften, die den ersten Macintosh ausgezeichnet haben und die bis heute für den Erfolg der Firma eine wichtige Rolle spielen: Eine optische Benutzeroberfläche, die den User direkt angesprochen hat und die lästigen Tastaturbefehle der Business-Maschinen von „Big Blue“ mit dem legendären „hello“ überholt und altbacken aussehen ließ. Wer einen Mac nutzte, fühlte sich als User ernstgenommen. Was einem geboten wurde, erschien dialogisch und ästhetisch im Sinne sensomotorischer Wahrnehmungsschleifen. Es brauchte keine langen Befehlsketten und Pfadnamen mehr, um mit der Maschine interagieren zu können. Wer in diesen Jahren einen IBM-PC mit grün leuchtendem Monitor eingeschaltet und dem MS-Dos-Prompt „C:>“ begegnet ist, der weiß, wie anders das war. Cleveres Marketing besorgte den Rest und inszenierte die Rolle der Piraten-Crew, die den „Großen Bruder“ herausfordert, ebenso geschickt wie selbstironisch. Entworfen hat die Hardware des Macintosh von 1984 „frogdesign“ unter Hartmut Esslinger. Das Gehäuse erschien, wie schon das des Apple IIc, in gebrochenem Weiß, in Amerika als „Snow White“ bekannt. Es enthielt neben dem Motherboard einen Schwarz-Weiß-Monitor, ein Laufwerk und eine separate Tastatur. Der Ur-Mac stand aufrecht, war kompakt und dem User zugewandt. Er fühlte sich solide an, sah auf dem Schreibtisch nicht nach Arbeit aus und ließ sich intuitiv bedienen. Den Macintosh gab es in allerlei Updates fast zehn Jahre lang. Kommerziell sah die Sache anders aus: Der Ur-Mac verkaufte sich nicht so gut wie erwartet, er hatte zu wenig Power, zu wenig Software und ließ sich nicht erweitern.

© Apple

hello (again)

Markenforscher und Soziologen mögen en détail ermessen, wie die Hinwendung zum User, geschicktes Marketing und einige weitere Faktoren dazu beigetragen haben, den PC aus der Geschäftswelt herauszulösen und ihn tatsächlich zu einem personal device zu machen, das in jeden Haushalt gehört. Es ist nicht übertrieben, dass Steve Jobs die Revolution später mit dem iPhone und in Verbindung mit dem Internet vollendet hat – mit allen gesellschaftlichen Konsequenzen, die sich, weit über Apple hinaus, daraus ergeben haben. Trotz Macintosh ging es aber zunächst mit Apple bergab. Nach einer Phase, die von konventionellen Geräten wie dem „Performa“ geprägt war, war es erst der iMac (Steve Jobs war 1985 aus dem Unternehmen gedrängt worden und 1997 zu Apple zurückgekehrt), der den Wiederaufstieg der Marke 1998 einleitete.

Steve Jobs und Macintosh Computer, Januar 1984
© Bernard Gotfryd

Der von Jonathan Ive entworfene Rechner wurde – zusammen mit dem iBook – nun vollends zum Lifestyle-Produkt, zu einer bunten Bubble in fünf poppigen Farben. Beim All-in-One-Design war es geblieben. Wie schon beim Macintosh steckt alles in einem Monitorgehäuse. Es gab außerdem eine – in Teilen ebenfalls transluzente – Tastatur und eine ergonomisch eher missglückte Maus. Bei der Vorstellung des iMac sprach Steve Jobs von der Heirat des Internets mit der Einfachheit des Macintosh. In seiner organoiden Form aus transluzentem Kunststoff und seinen Bonbonfarben stellte der iMac eine verspätete Hommage an die Zeit der Hippies und der Pop-Art dar. Mit ihm begann aber nicht nur das Zeitalter des Computers als Konsumartikel und Lifestyle-Produkt. Es entstand auch ein Produkt, das Funktion für jeden sichtbar mit Emotion verband.

Wahnbereitschaft und Magie

Die Macintosh-Story lehrt in Sachen Innovation freilich noch etwas anderes: In den Kindertagen des PC bedurfte es einer kräftigen Portion Magie, um aus einer simplen Rechenmaschine einen wirklich persönlichen Computer zu machen. Steve Jobs besaß nicht nur die nötige Wahnbereitschaft; er wusste auch, wie man motiviert und magisches Denken einsetzt. Nur so gelang es, einen Mythos zu kreieren. Ein Beispiel: Als es bei einer der Konferenzen darum ging, das Team, das den Macintosh entwickelte, zusammenzuschweißen, schrieb Jobs an die Tafel: „Lasst uns Piraten sein!“ Die Macht herauszufordern allein garantierte freilich noch keinen Erfolg. Auch ließ sich die düstere „no future“-Stimmung der 1980er Jahre durch verordnete Technikbegeisterung kaum aufhellen. Was die Perspektive veränderte und Computer nach und nach in fast alle Lebensbereiche integrieren half, war vermutlich das Versprechen, medial partizipieren zu können. (Nach der Maus und dem Click Wheel habe Apple, so Jobs später, mit der Multi-Touch-Oberfläche gleich mehrere revolutionäre Nutzerschnittstellen auf den Markt gebracht.) Zwar wurde die Transformation des modernen Ichs von einer Lesersubjektivität in einen „User“ erst mit der in den 1990er Jahren beginnenden allgemeinen Vernetzung durch das Internet vollendet. Den User in der digitalen Welt erstmals ins Zentrum gerückt, aber hat Apple mit dem Macintosh.

© Apple

Schwarze Scheiben als neuer Standard

Nun, da der Ur-Mac vierzig geworden ist, kann man sich fragen, wie es generell um das Design von Computern – oder besser: von personalisierten electronic devices bestellt ist. Smartphone, Smartwatch und Tablet bilden inzwischen den mobilen Standard. Ihre Gehäuse präsentieren sich durchgängig als dünne Rechtecke mit dunkel verglastem Monitorfeld, auf dem immer komplexere Programme laufen. Nicht zufällig werden die Betriebssysteme stationärer Rechner und Laptops immer mehr dem von Tablets und Smartphones angepasst. Und was die inzwischen ubiquitäre KI angeht, so lässt sie im Grunde jedes Gerät (bis hin zur Datenbrille) zu einer Schnittstelle schrumpfen, mittels derer die User einen Anschluss an die Simulation einer Welt herstellen. Solche Welten werden von Programmen erzeugt, deren Struktur andere erschaffen haben und deren Folgen sich nicht im Ansatz kontrollieren lassen.

Reist man in der Vorstellung zurück ins Jahr 1984, so reibt man sich staunend die Augen, welche Entwicklung seit damals durchlaufenen wurde. Auch wenn es nicht allein der Macintosh war – nach 1984 blieb nichts mehr wie es war. In den Dystopien der Zukunft, darin hat Orwell sich getäuscht, marschieren nicht nur graue (aus Sicht des Kalten Krieges kommunistische) Massen; im ubiquitären medialen Paralleluniversum zirkulieren vor allem bunte, immer häufiger von KI produzierte Illusionen. Während, so Neill Postman, George Orwell befürchtete, das, was uns verhasst sei, werde uns zugrunde richten, befürchtete Aldous Huxley, es werde das sein, was wir lieben.


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