4 Min Lesezeit

Marke, Macht und Steine: Seit Jahren wird juristisch darum gestritten, ob ein spezieller Lego-Stein Markenschutz genießt oder nicht. Werden technische Faktoren stärker gewichtet als solche des Designs? Ist der klassische Lego-Stein deshalb nicht geschützt?

Ein Kommentar von Thomas Wagner

© Shutterstock

Die bunten Lego-Steine kennt fast jeder. Die farbigen Klemmbausteine – rechteckig, kantig, glatt, mit Noppen auf der Ober- und mit hohlen Gegenstücken auf der Unterseite –, gehören zu den bekanntesten Spielzeugen. Generationen von Kindern und Erwachsenen haben mit den handlichen Klötzchen ihre Baukünste erprobt, kühnen, aber auch absurden Phantasien eine Gestalt gegeben. Ignorieren wir für den Moment die materialtechnischen und ökologischen Fragezeichen, so gilt: Als Spielzeug ist Lego der Stoff, aus dem Träume entstehen. Dabei haben Produktlinien für spezielle Zielgruppen das Angebot der Marke längst über den klassischen Stein hinaus erweitert. Es gibt ausgeklügelte Modellbau-Sets zu Gebäuden (der Eiffel-Turm kostet mehr als 600 Euro), Schiffen (natürlich die Titanic) Flugzeugen und Rennwagen, zu Blumen, Tieren – und nicht zu vergessen, im Rahmen des Merchandisings Figuren, Schlösser und mehr aus dem Disney-Universum und der epischen Filmserie „Star Wars“.

Rechtsprechung und Designpolitik

Lego ist ein Milliardenunternehmen. Im Geschäftsjahr 2022 erzielte die LEGO Group einen weltweiten Umsatz von rund 64,6 Milliarden Dänischen Kronen, umgerechnet etwa 8,7 Milliarden Euro. Juristisch indes erweist sich der erfolgreiche Noppenstein mitsamt seinen Filiationen seit Jahren als Zankapfel. Das schier endlos erscheinende juristische Hin und Her könnte man getrost spezialisierten Markenrechtler*innen überlassen, würde sich hinter den wechselnden Gerichtsentscheidungen nicht eine Frage verbergen, die Designprozesse als solche betrifft. Natürlich geht es bei den Klagen und Gegenklagen im Kern um viel Geld und Marktmacht. Berührt werden dabei aber auch Aspekte der Gestaltung, die weit über den Lego-Stein und den aktuellen Rechtsstreit hinausreichen und allgemeine Fragen des Designs berühren. Etwa die, wie eng oder weit der Begriff der Gestaltung in Abgrenzung zu rein technischen Lösungen juristisch gefasst werden sollte.

©2023 The LEGO Group. All rights reserved LEGO and the LEGO logo are trademarks and/or copyrights of the LEGO Group

Worum geht es im aktuellen Rechtsstreit?

Wie vielfach berichtet wurde, hat Lego in einem mehrjährigen Rechtsstreit mit einem Konkurrenten vor dem Gericht der Europäischen Union (EuG) in Luxemburg gerade abermals einen Erfolg erzielt. Das EuG bestätigte den Schutz eines speziellen Bausteins, den Lego nutzt, um den Nachbau bestimmter Bausätze zu erschweren. Der dänische Spielzeughersteller hatte die flache Platte mit nur einer Noppenreihe in der Mitte 2010 als sogenanntes Geschmacksmuster eintragen lassen; dagegen hatte die deutsche Konkurrenzfirma „Delta Sport Handelskontor“ beim EU-Markenamt EUIPO die Löschung der Eintragung des speziellen Lego-Steins beantragt. Das Markenamt gab dem Antrag 2019 zunächst statt. Lego zog dagegen vor das Europäische Gericht, das die Entscheidung des EUIPO im März 2021 aufhob und ein neues Verfahren anordnete. In einer zweiten Entscheidung wies das EUIPO den Antrag des Konkurrenten sodann mit der Begründung zurück, für den besonderen Baustein gelte eine bestimmte Ausnahme, die den Schutz von modularen Systemen ermöglicht. Dagegen zog 2022 wiederum die Firma Delta Sport vor das EuG; diese Klage wurde nun abgewiesen. Das Gericht begründete seine Entscheidung mit einer Ausnahmeregelung zum Schutz modularer Systeme, insbesondere deren Neuheit und Eigenart. Die aktuell unterlegene Firma kann nun noch vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegen das jüngste Urteil vorgehen.

Weshalb ist der klassische Lego-Stein nicht geschützt?

Soweit, so verwirrend – und etwas kafkaesk. Zunächst gilt es festzuhalten: Bei alledem geht es nicht um den klassisch rechteckigen Lego-Stein. Dessen Schutz als eingetragene Marke hatte der EuGH bereits 2010 mit der Begründung abgelehnt, dessen Form ergebe sich aus der technischen Funktion und könne deshalb nicht geschützt werden. Woraus folgt: Geschützt ist derzeit nur ein spezieller Stein, der den Richter*innen für ein modulares System unverzichtbar erscheint. Nicht geschützt indes ist der klassische Lego-Stein, obgleich es doch in den 1950er Jahren der Systemgedanke war, der den bunten Spiel-Steinen zum Erfolg verhalf. Nur zur Erinnerung: In der Gestaltungslehre des Bauhauses und der HfG Ulm wurde der Systemgedanke bereits auf Architektur und Design übertragen. Der Ansatz des Systemdenken ist hier mehr als die technische Entwicklung von Dingen, es ist im weiten Sinn eine Art, die Welt zu gestalten. Derart historische und gestalterische Argumente und Entwicklungen scheinen jedoch juristisch wenig zu zählen. Wenn Universalität und Modularität bei den klassischen Lego-Bausteinen als unerreicht gelten, weshalb wird juristisch dann mit zweierlei Maß gemessen und nur im aktuellen Rechtsstreit zu Gunsten des Schutzes modularer Systeme entschieden?

©2023 The LEGO Group. All rights reserved LEGO and the LEGO logo are trademarks and/or copyrights of the LEGO Group

Verwirrende juristische Kriterien

„Neuheit und Eigenart“ werden als Kriterien genannt, die erfüllt sein müssen, damit die Ausnahmeregel für modulare Systeme greift. Weshalb spielt dann dieselbe Regel bei den klassischen Steinen, die ganz offensichtlich ein System bilden, keine Rolle? Es gab sie nicht, als sie erfunden wurden; und in der Natur kommen sie auch nicht vor. Hinzu kommt: Der juristische Begriff des Geschmacksmusters bleibt seltsam blass, was den „Geschmack“ (ein ästhetisches, historisches und soziales Moment) angeht; hervorgehoben wird das „Muster“ oder „Modell“, das der Gestaltung der äußeren Form dient.

Gestaltet wird mehr als die äußere Form

Wird hier, um nur einen Aspekt herauszugreifen, mit einem Designbegriff operiert, der nicht mehr zeitgemäß erscheint? Kurz gesagt: Je umfassender gestalterische Prozesse in die gesamte Produktion hineinwirken, desto weiter entfernt sich das Gestalten vom Styling. Als Nicht-Jurist drängt sich einem hier der Eindruck auf, dass Gesetzgebung und Rechtsprechung hinsichtlich eines historisch erweiterten Designbegriffs noch erheblichen Nachholbedarf haben. Sich vielfach auf technische Kriterien zu berufen, ist nachvollziehbar, der Bedeutung heutiger Gestaltungsprozesse aber nicht mehr angemessen. Design-Entscheidungen, das sollte nicht übersehen werden, sind weder von technischen Aspekten noch von ästhetischen, ethischen, ökologischen, sozialen, markenstrategischen und gesellschaftspolitischen zu trennen. Es ist an der Zeit, all das stärker im Rechtssystem zur Geltung zu bringen. Damit nicht nur der alte Stoßseufzer bleibt, vor Gericht und auf hoher See sei man in Gottes Hand.


Mehr auf ndion

Weitere Artikel zum Thema Marke.


Diese Seite auf Social Media teilen:

Print Friendly, PDF & Email