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Cover des Ausstellungskatalogs Automania, herausgegeben von The Museum of Modern Art, 2021 (Ausschnitt)

Vom Individualverkehr zum Massenstau: Ein sehenswerter Animationsfilm aus den Sechzigern gibt der Ausstellung „Automania“ im Museum of Modern Art in New York nicht nur ihren Titel. Er führt auch drastisch vor Augen, wie sich der Fortschritt im ausufernden Autoverkehr selbst lahmlegt.

Von Thomas Wagner.

Seit es in den 1890er-Jahren die damals noch sehr staubigen Straßen zu erobern begann, hat das Automobil die Art und Weise von Grund auf verändert, wie wir uns fortbewegen, leben und arbeiten. Auch heute sind Autos für viele noch immer Sehnsuchtsobjekt und Statussymbol, Ausdruck eines modernen, weil mobilen Lebensstils – und ein ästhetisches, nicht selten erotisch besetztes Objekt. Mobil und schnell zu sein gilt als modern, langsam und sesshaft sein ist dagegen ein alter Hut. Es überrascht deshalb wenig, dass das Auto in einer auf permanentes Wachstum programmierten Gesellschaft zum ultimativen Fortschrittssymbol und unverzichtbaren Fetisch avancierte. Seit die italienischen Futuristi zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Automobil frenetisch die Verschmelzung von Mensch und Maschine feierten, wurden Städte und Häuser schnellstraßengerecht zugerichtet, Natur und Landschaft einem dicht geknüpften Netz aus Verkehrsadern geopfert. Die Schönheit der Nike von Samothrake ward da längst millionenfach von Blechkleidern übertrumpft worden, die dem rasenden Fortschritt auf den Leib schneidert wurden.

Der Rausch der Geschwindigkeit ist verflogen

Automania 2000. Bild aus Halas' und Batchelors Film von 1963
Halas und Batchelor. Filmstill aus Automania 2000. 1963. The Museum of Modern Art, New York. © 1963 Halas und Batchelor

Indes, die Zeit scheint gekommen, eine Revision unseres modus vivendi in einem alternativen Rahmen nicht nur abstrakt ins Auge zu fassen, sondern real den Wechsel zu alternativen Mobilitätsformen zu vollziehen. Plötzlich könnte weniger Auto mehr Mobilität bedeuten. Mag die neuzeitliche Mobilmachung des Personen- und Güterverkehrs auch eine radikal neue Wahrnehmungs- und Gestaltungsbedingungen geschaffen und in Gestalt des Automobils einen bleibenden Eindruck in unserer gebauten Umwelt hinterlassen haben, Massenmotorisierung, Erderwärmung und Klimakriese haben die Zweifel wachsen lassen. Auch das Bewusstsein für die sozialen, ökologischen und ethischen Dilemmata, die durch die Verbreitung von Autos rund um den Globus aufgeworfen werden, ist gewachsen. Parallel hat die Digitalisierung die physische Erlebnissucht ins Virtuelle verlagert. Mag der Rausch der Geschwindigkeit im täglichen Stau auch schnell verfliegen, nicht Einsicht und Vernunft bremsen den übersteigerten Willen zur Mobilität, sondern CO2- und Stickoxidwerte, Spritpreis und Pandemie.

Mit dem New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) zeigt jetzt ausgerechnet einer der bekanntesten Propagandisten des Modernismus eine skeptisch grundierte Schau zu den Folgen einer auf Automobilität programmierten Gesellschaft. Seine erste Autoausstellung „8 Automobiles“ hat das MoMA 1951 organisiert. Gezeigt wurden damals Modelle, die aufgrund ihrer „Exzellenz als Kunstwerke“ ausgewählt worden waren. Seitdem hat das Museum in seiner Designabteilung eine kleine Auto-Sammlung zusammengetragen, um die herum die aktuelle Präsentation nun organisiert worden ist. Den Titel „Automania“ entlehnt die Ausstellung dem britischen Animationsfilm „Automania 2000“ von 1963, ihrer verblüffendsten Entdeckung.

Wohin wird sich die Mobilität entwickeln?

„Time expired“ – Zeit abgelaufen – steht auf einer Parkuhr, die der amerikanische Künstler Vern Blosum 1962 gemalt hat. Bedeutet das, nicht stehen zu bleiben, sondern abermals zu neuen Ufern aufzubrechen und über bestehende Grenzen hinaus zu streben? Oder ist es mit der Automanie tatsächlich vorbei, die Zeit des Automobils abgelaufen? Wohin wird sich, bei einer Weltbevölkerung von bald 8 Milliarden Menschen, die Mobilität entwickeln? Wird der Individualverkehr (samt Einfamilienhaus mit Carport im Speckgürtel) mittels Elektroantrieb und autonomem Fahren überleben?

Wenn Autos immer länger werden

Der animierte Kurzfilm „Automania 2000“ von John Halas und Joy Batchelor ist nicht nur Namensgeber der Schau, sondern auch eine erhellende dystopische Vision. Was er 1963 in die damals noch fern erscheinende Zukunft des Jahres 2000 projiziert, spitzt die Realität einer wissenschafts- und fortschrittsgläubigen automobilen Gesellschaft drastisch zu. Moderne Zeiten: Im Jahr 2000 gibt es billigen Strom in Hülle und Fülle. Fische werden am Meeresboden durch einen Roboter eingesaugt und zu nahrhaften Pillen verarbeitet. Schade nur, dass sich um den Turm des Wissenschaftlers und die Wolkenkratzer der Stadt unglücklicherweise jede Menge Autos aufgetürmt haben, die seit Jahren nicht von der Stelle gekommen sind. Weshalb Kinder, da sie es nie anders gekannt haben, glauben, die Autostapel hätten schon immer existiert. Dabei hat alles damit angefangen, dass die Menschen immer längere Autos besitzen wollten und diese schon bald weltweit in Serie hergestellt wurden. Um den Bedarf zu befriedigen erfindet der Wissenschaftler schließlich einen Wagen, der sich selbst reproduzieren kann – und der am Ende alles verschlingt. Technische Innovation und Massenproduktion mögen Mobilität versprochen und zu einem ungeahnten Lebensstandard geführt haben, letztlich enden sie in festgefahrener Unbeweglichkeit und führen zum Kollaps der Zivilisation.


Zündkerzen für Liebesbenzin

Neben einigen Autos und einem Airstream-Wohnwagen präsentiert Automania Architekturmodelle, Filme (wie „The American Look“), Fotografien, Zeichnungen, Gemälde, Plakate und Skulpturen zum Auto – als physische Erweiterung des menschlichen Körpers, als technologisches Wunderwerk und als Ausdruck von Identität. Gezeigt werden u. a. Henri de Toulouse-Lautrecs Druck „L’Automobiliste“ von 1898, Lily Reichs Entwürfe für einen klappbaren Stahlrohr-Autositz aus den 1930er Jahren, Fotografien amerikanischer Autofabriken, ein VW Käfer, Frank Lloyd Wrights „Living City Project“ von 1958 und Richard Hamiltons „Glorious Techniculture“ von 1961-64. Francis Picabia, der schnelle Autos liebt und zusammen mit Marcel Duchamp eine Maschinenästhetik entwickelt, zeichnet Une Jeune Fille Americaine als nackte Zündkerzen, die das Liebesbenzin entzündet. Schließlich haben fünf Autos, vom Porsche 911 über die Citroen DS bis zum Smart, frech den Skulpturengarten des MoMa erobert. Und last but not least bezeugen Plakate wie Herbert Leupins „Trink Lieber Eptinger!“ und Klaus Staecks „Und neues Leben Blüht aus den Ruinen“, dass zur Automania stets auch die pointierte Kritik am Auto gehört.

Cover des Ausstellungskatalogs Automania
Cover des Ausstellungskatalogs Automania, herausgegeben von The Museum of Modern Art, 2021

Automania

Museum of Modern Art, New York

bis 2. Januar 2022

Link zur Ausstellung


I’m in Love with My Car: An Automania Driving Mix

Für alle, die das Lebensgefühl der Automania musikalisch genießen möchten, hat das MoMA eine Playlist mit Songs und Hits zum Thema Ato und Mobilität zusammengestellt: I’m in Love with My Car.


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