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Eva Marguerre, Marcel Besau, Sebastian Herkner und Christian Zanzotti wurden in der Vergangenheit als „German Design Award Newcomer“ ausgezeichnet. Oft wirkte der Newcomer-Award des Rat für Formgebung wie ein Turbo für die weitere Karriere. Am 26. Januar wird abermals ein Newcomer des Jahres gekürt. Hier stellen sich die aktuellen Finalist*innen vor.

Interviews von Rebecca Espenschied

German Design Award Newcomer, die Finalisten 2024: (v.l.) Nicolas König, Leonie Burkhardt, studio formagora (Finn Blankenberg, Esra Heuermann, Nick Potter), Justus Hilfenhaus, Sebastian Winter © GRAND VISIONS

Fünf Nachwuchsdesigner*innen haben es diesmal bis in die letzte Runde geschafft. Am 26. Januar wird der „Newcomer des Jahres“ bei der Preisverleihung des German Design Awards 2024 feierlich bekannt gegeben. Die fünf Finalist*innen für die Auszeichnung – Leonie Burkhardt, Justus Hilfenhaus, Nicolas König, das studio formagora (Finn Blankenberg, Esra Heuermann, Nick Potter) und Sebastian Winter – geben im Interview Einblicke in ihre Arbeit, erzählen, was sie geprägt hat und welche Wege sie in der Gestaltung einschlagen.

Auf die Frage, wie es ihr gelinge, zwischen Tradition und Innovation zu vermitteln, die Spannungsfelder Handwerk, Kunst und Design miteinander zu verbinden, antwortet die Newcomerin Leonie Burkhardt:

In meinen Augen bildet traditionelles Handwerkswissen das Fundament, um eine Technik oder ein Material weiterzuentwickeln und neu zu denken. In den letzten Jahren habe ich viel an Jacquard-Webmaschinen – industrielle Maschinen, die über Websoftwares programmiert werden – gearbeitet. Das sieht alles erstmal sehr kompliziert aus, aber letztendlich basiert alles auf dem gleichen Prinzip, das schon vor Jahrhunderten angewandt wurde: das rechtwinklige Verschränken von zwei Fadensystemen. In meinem Masterprojekt „Woven Forms“ ging es mir um die Fragestellung: Wie kann man Dreidimensionalität auf einem Gerät erschaffen, das dazu bestimmt ist, lediglich etwas Zweidimensionales zu kreieren? Ich sehe diesen Prozess als experimentellen Designresearch, dessen Endprodukt nicht unbedingt eine bestimmte „Funktion“ erfüllen muss. So verwischen die Grenzen zwischen Design, Handwerk und Kunst stark. Meiner Meinung nach braucht es eine Trennung zwischen diesen Themenfeldern auch nicht unbedingt.

Leonie Burkhardt © GRAND VISIONS

Du hast an unterschiedlichen internationalen Hochschulen studiert. Welche Erfahrungen waren für deine Arbeiten prägend?

Während meines Bachelorstudiums in Hamburg, habe ich mich für ein Auslandssemester in Bangkok, Thailand, entschieden. Zum einen habe ich während dieser Zeit ein erweitertes Verständnis meines Gebiets erhalten, denn Südostasien ist reich an Textilhistorik und -kultur. Zum anderen war es mein Fokus einen nicht-europäischen Blick auf Design aktiv zu erleben und mich mit einer anderen Kultur über Design und Handwerk auszutauschen. Für mein Masterstudium habe ich mich für eine Hochschule entschieden, die Praxis und Theorie in der Gestaltung vereint. An der „Swedish School of Textiles“ in Borås gibt es Werkstätten, die die Herzen von Textilinteressierte höherschlagen lassen. Zusätzlich herrscht dort ein starker Fokus auf der Theorie des Gestaltens. Die Kombination aus Machen und Denken bzw. Denken im Machen und Denken über das Machen, hat mich stark beeinflusst und zu einer besseren Gestalterin gemacht.

WOVEN FORMS
Kollektion von dreidimensional gewebten abstrakten Formen: Material- und Formforschung zu aktiven Garnen und mehrlagigem Weben, Foto: Daniela Ferro

Welche Themen beschäftigen dich zurzeit?

Gerade arbeite ich mit einem lokalen Strickunternehmen zusammen. Wir entwickeln unterschiedliche Ideen, wie man das dreidimensionale Denken auch im Strick weiterführen und die Qualitäten von Strick in der Thematik nutzen kann. Außerdem möchte ich im Bereich 3D-Weberei weiterforschen und dabei gerne die Gebiete Textil und Architektur zusammenbringen. Ich sehe Potenzial darin, Gewebe größer zu denken. Deshalb bin ich umso glücklicher beim German Design Award nominiert zu sein und so Menschen aus verschiedenen Fachrichtungen kennenzulernen.

WOVEN BLOCKS
3D gewebte Blocks, die flach vom Webstuhl kommen und durch bestimmtes Aufschneiden und Befüllen mit textilem Abfall zu dreidimensionalen Building Blocks werden, Projekt in Kooperation mit Jojo Shone. Foto: Patty van den Elshout i.o.v. TextielMuseum
REED CARPET
Gewebte Matte aus gefärbtem und ungefärbtem Schilfrohr, das als Restmaterial in der thailändischen Landwirtschaft anfällt

Der Newcomer Justus Hilfenhaus, der in verschiedenen Produktwelten zu Hause ist und mit hoher Präzision Leuchten, Elektrogeräte oder Möbel entwickelt, antwortet auf die Frage, wie er es schaffe, Produkte zu gestalten, die über den gewöhnlichen Mehrwert hinausgehen:

„Hortus“ wandelt das, in der Landwirtschaft oft genutzte System der Hydrokultur, in ein ästhetisches und funktionales Objekt für zu Hause. © Justus Hilfenhaus

Der gewöhnliche Mehrwert beschreibt für mich die offensichtliche Funktion eines Produkts. Ich versuche jedem Objekt, das ich gestalte, einen über diesen gewöhnlichen Mehrwert hinausgehenden Nutzen aufzutragen. Hierbei geht es für mich nicht immer um eine weitere oder stark verbesserte Funktion. Mehrwert entsteht in meiner Arbeit auch durch symbolischen Charakter oder emotionale Bindung. So wird beispielsweise ein Regal zu mehr als nur Stauraum, ein selbst ladendes Küchenradio wird Symbol zum Energiesparen und ein Beistelltisch zum Helfer für ältere Menschen.

Deine Produkte sollen erfahrbar sein: Wie gelingt es dir, Produkt und Nutzer*innen in deiner Arbeit durch eine analoge Interaktion miteinander zu verbinden?

Ich denke, dass der Moment der Faszination der Anfang dieser Verbindung ist. Man sieht vielleicht etwas, das man nicht ganz versteht oder noch nicht gesehen hat und wird neugierig. Durch die Gestaltung von faszinierenden, eventuell visuell ungewöhnlichen Details versuche ich Betrachter*innen einzuladen, sich mit den Objekten auseinanderzusetzten. Diese Interaktion enthüllt dann die Besonderheit des Designs. Durch diese eigens erlangte Erkenntnis soll eine gewisse Art von Besitzerstolz bei Nutzer*innen erzeugt und eine emotionale Verbindung zum Produkt aufgebaut werden.

Justus Hilfenhaus © GRAND VISIONS

Gibt es Produktdesigner*innen, die dich inspirieren? Wenn ja, kannst du beschreiben, welche Arbeiten dich besonders faszinieren? 

Die Arbeit von Kim Collin und Sam Hecht (Industrial Facility) inspiriert mich sehr. Ich finde es faszinierend, wie in vielen Ihrer Designs die Intuition, ein Produkt zu benutzen, bis ins kleinste Detail durchdacht ist. Das Neudefinieren von Problemen und diese dann auf eine sehr simple und ästhetisch ansprechende, zeitlose Art und Weise zu lösen, sagt mir sehr zu. Diese Einfachheit machen die Produkte von Industrial Facility, wie ich finde, sehr zugänglich und extrem verständlich. Es sind clevere Lösungen, die durch gutes Design wie selbstverständlich scheinen.

Caparica
Mehr als nur ein Regal. Aus zwei werden drei. Aus drei werden fünf © Tamara Knapp

Er verfolgt mit seinen forschungsorientierten Arbeiten das Ziel, Strukturen in der gebauten Umwelt zu schaffen, die auf die natürliche Umwelt Bezug nehmen und mit ihr in Einklang stehen. Der Newcomer Nicolas König erklärt, wie er in der Gestaltung von Lebensräumen Antworten auf Fragen nach der Zukunft unseres Planeten findet:

Derzeit beschäftige ich mich intensiv mit dem Potenzial solarer Strahlung in unserer gebauten Umwelt, so ist beispielsweise das Projekt des Solargrills entstanden. Der Solargrill ist ein experimentelles Instrument für sonnenbedingtes Kochen, das die gängigen Konsum- und Kochgewohnheiten infrage stellt, die auf ständig verfügbare Energiequellen angewiesen und unabhängig von natürlichen Rhythmen sind. Viele meiner Projekte beschäftigen sich mit hybriden Zukunftsgeschichten – mit der Synergie von Natur und Technik. Ich glaube daran, dass wir das Potenzial unserer Umwelt behutsam nutzen sollten, anstatt gegen die Natur zu kämpfen oder sie irreversibel auszunutzen.

Nicolas König © GRAND VISIONS

Fiktive Szenarien finden sich ebenso in deinem Portfolio wie ganz pragmatische Projekte. Was ist für dich ausschlaggebendes Kriterium, um sich bestimmten Themen zu nähern?

Angetrieben von der schieren Fülle an Informationen, die uns heute zur Verfügung steht, nehmen meine Projekte teils Umwege durch fiktionale Erzählungen. Es geht darum, immer wieder neue Sprachen zu entwickeln, die die anfänglich verschwommene Kernaussage einer Untersuchung klären, formulieren und visualisieren können. Das funktioniert mal besser durch fragmentarische Modelle, durch Bilder oder Pläne – am Ende wachsen diese Elemente dann zusammen. Im Prozess bedarf es Humor, Mut, Hoffnung und einer Art kreativer Unschuld. Zwischen gezieltem Chaos und geordneter Ruhe liegt die Idee.

Fulfillment Paradox: Die tiefgreifenden Widersprüche, die im Streben nach endlosem Wachstum und Beschleunigung in Zeiten des Umweltchaos entstehen, wenn unsere Sehnsucht nach sofortiger Einkaufsbefriedigung mit den weitreichenden Folgen des beschleunigten Strebens nach logistischer Erfüllung kollidiert, werden beleuchtet. © Nicolas König

Du warst für ein Auslandsemesters an der Royal Academy of Fine Arts in Kopenhagen. Inwiefern war das für deine Arbeiten prägend?

In Skandinavien weiß man, dass es für kreative Gedanken eines ausgewogenen Lebens bedarf. Gleichzeitig haben sie ein faszinierendes Verständnis kollaborativen Arbeitens, das mich sehr geprägt hat: Ich glaube an die Fruchtbarkeit des gemeinsamen Schaffens und Denkens. Der Großteil meiner Projekte entsteht kollaborativ.

Solar Grill: Der ominöse, weit entfernte Kernreaktor hat mit seinen schmeichelnden Strahlen unsere Nahrung vorbereitet. Jetzt hilft er uns bei der Zubereitung unserer Mahlzeiten. © Nicolas König

Für das Newcomer-Trio aus Finn Blankenberg, Esra Heuermann und Nick Potter, die zusammen das „studio formagora“ bilden, stehen Empowerment und Kooperation ganz weit vorne. Wie also nutzen sie ihre unterschiedlichen Stärken in in der Zusammenarbeit?

Wir sind unterschiedliche Persönlichkeiten, haben verschiedene Interessen, Gestaltungsansätze, Beweggründe und Ziele. Es kann manchmal schwierig sein, das zu vereinen. Uns ist wichtig, dass jeder sich in der Zusammenarbeit weiterentwickeln kann. Im Gestaltungsprozess versuchen wir dafür Platz zu finden und arbeiten bei Entscheidungen stets nach dem Konsensprinzip. So diskutieren wir und erarbeiten aus der Unterschiedlichkeit Ergebnisse, die eine hohe Qualität haben.

„studio formagora“ – Finn Blankenberg, Esra Heuermann und Nick Potter © GRAND VISIONS
Mehrwegbeutelbaum: Die Mehrwegbeutelbäume stehen nun als Sammelstelle für gebrauchte Jutebeutel in Einkaufsläden. Wer seine Tasche vergessen hat, kann sich eine leihen. © studio formagora

Ihr möchtet den sozial-ökologischen Wandel vorantreiben. Was bedeutet für euch verantwortungsvolles Design, welche Kriterien legt ihr dafür an?

An den geopolitischen Veränderungen, an der Klimakatastrophe, an Protestbewegungen und vielem mehr sehen wir, dass es nicht ausreicht, bloß das Produkt zu entwerfen. Wir müssen auf Lieferketten, Umwelteinflüsse, Produktionsbedingungen, Energieverbräuche, Verteilungsgerechtigkeit und vieles mehr achten. Das überblicken wir als Gestalter*innen oftmals besser als viele andere. Daher sehen wir es als unsere Verantwortung, aber auch unsere Chance, gestaltend in den gesamten Prozess einzugreifen. Das schaffen wir nicht allein, aber vielleicht als Moderator*innen multiprofessioneller Teams. Ganz wichtig ist für uns dabei: Wir wollen für Menschen und ihre Bedürfnisse gestalten. Nicht für eine Wachstumslogik, die seit Jahrzehnten an die planetaren Ober- und Untergrenzen gestoßen ist.

Der öffentliche Raum, Begegnung und Handwerk sind Kernelemente eurer Arbeit. Wie definiert ihr partizipative Gestaltungsprozesse und setzt diese um?

Echte Partizipation bedarf, dass wir als Designer*innen unsere alleinige Entscheidungsmacht, unser Exklusivrecht, abgeben und stattdessen einen demokratischen Prozess etablieren. Damit das aber wirklich sinnvoll ist und Mehrwerte schafft, müssen alle Beteiligten befähigt werden, Entscheidungen fundiert zu treffen. Das bedarf Kontinuität, Zeit und Mittel. Der Entwurf profitiert dabei massiv von dem Wissen der Menschen vor Ort und der Iteration. Wir dürfen also nicht den Fehler machen zu denken, Partizipation sei mit einer Infoveranstaltung getan. Es ist ein langwieriger, aufwendiger Prozess, der immer eine Ergebnisoffenheit voraussetzt. Aber das Besondere dabei: Ein partizipativer Gestaltungsprozess kann ein sozialer Prozess sein – Begegnungen oder auch Freundschaften entstehen. Menschen werden außerdem befähigt, sich aktiv in die Gestaltung ihrer eigenen Umwelt einzubringen. Und oftmals ist das noch ein Privileg: Sprache, Zeit, Kapazitäten oder Wissen können Hürden sein, um an öffentlichen Partizipationsprozessen teilhaben zu können.

Der Newcomer Sebastian Winter engagiert sich im Bereich Kommunikationsdesign und Digital Design. Mittels Creative Coding will er die Interaktion fördern und einen Dialog eröffnen, um komplexe Inhalte, vor allem im Bereich Bildung und Wissenschaft, möglichst leicht zugänglich zu machen. Über die Grundlagen seiner Arbeit als Interaction Designer sagt er:

Drei Grundlagen oder Thesen kommen mir in den Sinn: Kommunikations-Design sollte nicht statisch sein, sondern auf Nutzer*innen reagieren. Relevante Inhalte sind essenziell – Kooperationen im Bildungs- und Wissenschaftsbereich sind dafür eine gute Quelle. Ständig Neues lernen und das eigene Wissen weitergeben – so bleibt die eigene Perspektive und die Arbeit frisch.

Sebastian Winter © GRAND VISIONS

Du verwendest Creative Coding, um Interaktion anzuregen und einen Dialog zu eröffnen. Was fasziniert dich hieran?

Bereits eine einfache Interaktion verstärkt die Wahrnehmung der Nutzer*innen und prägt sich ihnen dadurch ein. Personalisierungen, beispielsweise die Verwendung des Standorts, platzieren die Nachricht in den unmittelbaren Kontext der Nutzer*innen und erhöhen so die Relevanz der Information. Im Gegensatz zu analogen und linearen Medien eröffnet daher die Arbeit selbst einen Dialog mit den Nutzer*innen. Das fasziniert mich immer wieder aufs Neue.

Leben vor der Stadt: Zu jedem Thema gibt es Informationen in verschiedener Komplexität – vom wissenschaftlichen Artikel bis zur Bildstrecke.© Sebastian Winter

Worin siehst du für dich und deine Arbeit die größten Herausforderungen heute und künftig im Bereich Mediendesign?

Man kämpft um Aufmerksamkeit inmitten einer Flut an Informationen. Zeitgleich wächst der Bedarf an qualitativer Kommunikation. Voraussichtlich wird die eigene Arbeit schwieriger, aber gleichzeitig auch wertvoller. Wie auch immer – ich freue mich auf die Zukunft.

Die Hitzeinsel Stuttgart: Im Sommer kann sich die Hitze in unseren Städten stauen und dabei unsere Lebensqualität mindern. © Sebastian Winter

Der Newcomer-Award des Rat für Formgebung ist eine einmalige Auszeichnung und fördert junge Designer*innen, die durch außergewöhnliche Leistungen und kreatives Talent auf sich aufmerksam machen. Oft wurde der „German Design Award Newcomer“ zu einem Meilenstein in den Karrieren erfolgreicher Designer*innen, wie Eva Marguerre, Marcel Besau, Sebastian Herkner und Christian Zanzotti belegen. Neben der Auszeichnung bietet der Rat für Formgebung allen Finalist*innen bei unterschiedlichen, exklusiven Anlässen die Gelegenheit, führende Köpfe der designorientierten Wirtschaft kennenzulernen und wichtige Kontakte zu knüpfen.

Wer mehr über die Newcomer, ihre Ansichten und Projekte erfahren möchte, findet die Interviews in voller Länge unter www.german-design-award.com/newcomer.


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