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Für Werner Sobek ist es eine Pflichtaufgabe der Menschheit in den kommenden Jahrzehnten: Emissionsfrei und mit weniger Material für mehr Menschen bauen. Nicht ohne Ambivalenzen betrachtet der weltweit geschätzte Ingenieur und Bauforscher im zweiten Band seiner Trilogie „non nobis“ die komplexen Randbedingungen des Bauens der Zukunft.

Rezension von Thomas Wagner

© Büro Übele

Dass sich etwas ändern muss, ist eine Tatsache. Wie das im Bauwesen gelingen kann, erweist sich aber als äußerst kompliziert. Wer in diesem Bereich die Zukunft gewinnen will, braucht jede Menge fundiertes Wissen und muss daraus die richtigen Schlüsse ziehen. Worauf lässt sich aufbauen? Was wird blockiert? Welcher Weg ist gangbar? Welcher führt in die Irre? In seinem Vorwort zum zweiten Band von Werner Sobeks Trilogie „non nobis – über das Bauen in der Zukunft“ stellt Ernst Ullrich von Weizsäcker einen aufrüttelnden Vergleich an: „Wenn man einen angemessenen baulichen Standard mit unserem eigenen gleichsetzt, müsste man 1.700 Gigatonnen an Baustoffen verbauen, um diesen baulichen Standard auch im Globalen Süden zu ermöglichen. Das wäre knapp die doppelte Menge der heute existierenden gebauten Umwelt! Eine solche dramatische Ausweitung wäre ein ökologisches Desaster. Wir müssen deshalb Wege und Mittel entwickeln, wie wir die Bedürfnisse von Milliarden von Menschen nach mehr gebauter Umwelt befriedigen können, ohne unseren Planeten an den Rand des Kollapses zu bringen.“ Die Pflichtaufgabe der Menschheit in den kommenden Jahrzehnten liegt somit auf der Hand: Lernen, für mehr Menschen mit weniger Material emissionsfrei zu bauen.

Flüchtet sich unsere Gegenwart in die Vergangenheit?

Eine der „Randbedingungen des Zukünftigen“, über die Werner Sobek nachdenkt, macht skeptisch: „Unsere Gegenwart ist durch eine massenweise Flucht in die Vergangenheit gekennzeichnet. Nie haben so viele Erwachsene so viele Märchenbücher gelesen, noch nie wurden mehr Retroartikel, noch nie wurden mehr Buntstifte an Erwachsene zum sonntäglichen Kolorieren von Ausmalbücher verkauft, noch nie wurden mehr Schlösser wieder aufgebaut oder in das Zentrum der Aufmerksamkeit gezerrt. Kommt diese Rückwendung in die Träume der Vergangenheit vielleicht auch daher, dass immer mehr Bürgerinnen und Bürger von einer Angst beschlichen werden, wenn sie an ihre eigene Zukunft und an die Zukunft ihrer Kinder denken? An eine Zukunft, die sie nicht mehr selbst gestalten können, sondern die wie etwas scheinbar Unausweichliches auf sie zukommt?“ Statt nostalgisch zu werden und sich lähmen zu lassen, so Sobek, gelte es, von dem auszugehen, was ist – und Fragen nach dem „Wie weiter?“ und nach dem „Wohin?“ zu stellen.

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Kann die Transformation überhaupt noch selbst gestaltet werden?

Der Bausektor ist für einen erheblichen Anteil am Ausstoß klimaschädlicher Gase, den Verbrauch kostbarer Naturmaterialen und giftige Abfälle verantwortlich. Im ersten Band seiner Trilogie ist der renommierte Ingenieur und Bauforscher mit Zahlen und Fakten gegen die Verschleierung der wahren Zusammenhänge im Bausektor vorgegangen. Im zweiten Band denkt er nun über die „Randbedingungen“ nach, denen ein Blick in die Zukunft unterliegt. Man könnte auch sagen: Sobek versucht zu beschreiben, unter welchen Voraussetzungen Zukunft noch selbst gestaltet und nicht nur erduldet und erlitten werden kann. Es geht ihm, wie er es formuliert, um „die Handlungskorridore, die der Menschheit verbleiben, um die Erderwärmung und die damit zusammenhängenden Ereignisse und Folgen auf ein Maß zu begrenzen, das auch in Zukunft menschliches Leben auf der Erde möglich macht“. Die vielfältigen Verflechtungen des Bauwesens mit den Sektoren Mobilität und Industrie, Landwirtschaft, Forstwirtschaft und anderen, machten „eine interdisziplinäre Betrachtungsweise unumgänglich“, die „Betrachtungshorizonte“ aber auch vielschichtiger, die „zu findenden Aussagen komplexer und komplizierter“. Sobek zeigt sich zwar überzeugt, eine interdisziplinäre Vorgehensweise sei „nach jahrzehntelangem Nichtstun“ der einzig mögliche Weg, um die „noch verbliebenen Handlungskorridore aufzeigen zu können“, schränkt die Reichweite seiner Perspektive aber ein: Die beschriebenen Randbedingungen und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen gingen „nicht von soziologischen, politischen oder wirtschaftswissenschaftlichen, sondern ausschließlich von natur- und ingenieurwissenschaftlichen Positionen aus.“

Das inverse babylonische Problem/ Wer kann das Ganze noch verstehen?

Sobek versucht einen Spagat: Einerseits setzt er auf detaillierte natur- und ingenieurwissenschaftliche Erkenntnisse, andererseits kritisiert er, dass „die gesamte Wissenschaft, in vollkommener Abkehr von den Idealen Platons und seiner Akademie, nicht das Ganze zu verstehen versucht, sondern sich, hochkompetent, in das Einzelne verabschiedet“. Wer aber soll, so Sobek, das Ganze dann noch verstehen? Die aktuelle Situation der Menschheit vergleicht er mit dem Turmbau zu Babel: „In Babel ging es ja nicht nur um die Kompetenz zur Beschaffung ungeheurer Mengen geeigneter Baustoffe, um die Organisation einer Baustelle nie gesehener Größe, um die Organisation der Arbeitenden, deren Nahrungsmittelversorgung, deren soziale Einbettung oder um die statische Bewältigung eines Bauwerks nie gesehener Höhe. Es ging darum, das Ganze zu verstehen als Voraussetzung zur Organisation seiner Umsetzung.“ Angesichts der Klimaerwärmung stehe die Menschheit quasi „vor einem inversen babylonischen Problem“, das nur noch durch eine „in allen Sprachen gemeinsam vorhandene Terminologie, wenn nicht überwunden, so doch zumindest gedämpft werden“ könne. Woraus Sobek den Schluss zieht: „Im vorliegenden Buch geht es nicht um Methoden, mit denen man Türme nie da gewesener Dimensionen errichten kann, sondern darum, was die Grundlagen für eine gemeinsame Arbeit an der Zukunft sind. Es geht um das Verstehen des Ganzen.“

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Die Lücke zwischen Wissen und Handeln

Das Bild, das Sobek zeichnet, fällt nicht gerade hoffnungsfroh aus: Obwohl die heraufziehende Katastrophe bereits deutlich erkennbar gewesen sei, hätten sich die Wissenschaftler*innen in ihren Fachdisziplinen vergraben, habe die Politik die Probleme nur in wenigen Ländern und dort auch mit wenig Mut angepackt, hätte sich die Bevölkerung immer größere Autos und Ähnliches gekauft. Mahner seien als „Alarmisten“ oder „Negativisten“ verunglimpft worden; internationale Kongresse hätten faktisch nur zu enttäuschend kleinen Schritten geführt. Eine Ausnahme bilde das Abkommen der UN-Klimakonferenz in Paris 2015, dessen Umsetzung aber in vielen Ländern immer noch auf sich warten lasse. „Selbst jetzt“, so Sobek, „da die Beschleunigung der Erderwärmung, des Bevölkerungswachstums, des Ressourcenverbrauchs und der Zerstörung unserer Umwelt nicht mehr zu übersehen ist, geschieht faktisch nichts, um die heranziehende Katastrophe zu vermeiden. In einer der am besten informierten Gesellschaften der Menschheitsgeschichte hat das Wissen um die Zukunft nichts mit dem Handeln der Menschen für eine gemeinsame Zukunft zu tun.“ Ergo: Es mangelt nicht an Wissen, sondern daran, die notwendigen Schritte zu unternehmen.

Es fehlt ein Szenario, wie die Welt 2050 aussehen könnte

Doch steckt, wer auf planvolles Handeln setzt, in der Zwickmühle: Er muss einerseits auf detaillierte Daten und Fakten vertrauen, vermag andererseits das Ganze aber nicht zu erfassen. Apokalyptischen Vorstellungen von einem Armageddon oder Fantasien eines „Reset“ erteilt Sobek zwar ebenso eine Absage wie jenen, in einer „postzivilisatorischen Welt“ wären die Probleme und Folgen verschwunden. Gleichwohl stellt er resigniert fest: „Es gibt bis heute kein einziges in der öffentlichen Diskussion befindliches Szenario darüber, wie die Welt nach 2050 aussehen könnte.“ Woran es fehle, sei „eine große Erzählung darüber, wie die Menschheit mit dem Klimawandel leben könnte“.

Wenn Sobek wiederholt betont, die Ursache, wegen der sich die Menschheit in der heutigen Situation befinde, sei „weniger ein technisches als vielmehr ein soziales und damit in hohem Maß ein politisches Problem“, weshalb, um die Klimakatastrophe abzuwenden, „diese Ursachen und nicht deren technische Begleiterscheinungen diskutiert“ werden müssten, so entsteht der Eindruck, der Autor schleiche um die entscheidende Frage herum wie die Katze um den heißen Brei: Sobek benennt die im aktuellen ökonomischen und gesellschaftlichen System verankerten Ursachen, bezieht sie aber, mangels eines Gesamtbildes, nicht in seine Überlegungen zur Transformation des Bauschaffens ein. Zwar habe die Baubranche „in einigen Ländern der Welt“ damit begonnen, Ressourcenverbrauch, klimaschädliche Emissionen und Abfallaufkommen zu reduzieren; noch aber, so Sobek, fehle auch im Bauwesen „das große Bild“. Dass man sich hier von einer eurozentrischen Perspektive verabschieden muss, liegt auf der Hand. Aber ist es sinnvoll, das Problem über neue Standards und Methoden von „Weltgeltung“ angehen zu wollen, auch wenn diese „nicht nur Standards für die Armen, die Hungernden und die ohne Chancen in unsere Welt Hineingeborenen“ sein sollen? An den beiden „übergeordneten Vereinbarungen“, die Sobek für die Entwicklung dieser Standards vorschlägt, ist außer ihrer Abstraktheit wenig auszusetzen: „die unbedingte Wertschätzung des Anderen als eines Menschen von gleicher Würde und das nicht diskutierbare Primat des Erhalts der Natur“.

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Strategien zur Lösung multidisziplinärer technischer Probleme

In Sobeks Betrachtungen ist von einer Vielzahl von „Randbedingungen“ und „Korridoren“ die Rede, innerhalb derer sich zukünftige Handlungsoptionen ergeben. Er widmet sich neuen globalen Baustandards, bewertet die Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre und das Ziel einer Netto-Null-Gesellschaft im Jahr 2050. Er betrachtet einzusparende Emissionsmengen und Emissionen, „die in der Herstellungs- sowie der Um- und Rückbauphase entstehen und die knapp die Hälfte aller durch das Errichten und Betreiben von modernen Gebäuden entstehenden Emissionen umfassen“. Mittels fünf Szenarien will er eine Diskussion darüber eröffnen, „inwieweit es möglich ist bzw. sein wird, alle heute Lebenden sowie die zukünftig Geborenen mit einem angemessenen baulichen Standard zu versorgen“. Dabei führen die Analysen und Berechnungen ein derart komplexes Geflecht aus Bestehendem, Erwartbarem und Wünschbarem vor Augen, dass einem ob der Aufgabe, die es anzupacken gilt, schwindelt. Bei alledem analysiert Sobek das gesellschaftliche Ganze aus der Perspektive eines Ingenieurs, wobei er eine gesteuerte (von wem?) und differenzierte Handlungsfähigkeit voraussetzt, deren Fehlen er zugleich beklagt.

Wer kann das Bild der Zukunft zeichnen?

Sobek ist weder Träumer noch Visionär oder Prophet. Seine nüchterne Sprache klingt oft technokratisch, vermeidet aber grundlosen Alarmismus. Irritierend wirkt seine Vorstellung, es bedürfe erst eines „wissenschaftlich präzisen Gesamtbildes“, um einen Wandel anstoßen zu können: „Die Menschheit“, so Sobek, „kann heute das Bild nicht zeichnen, das sie benötigt, um zu verstehen, worum es geht. Dies ist beschämend, aber es ist zugleich auch ein Spiegel unserer Gesellschaft.“ Bräuchte es, um die Zukunft zu gewinnen, stattdessen einen beherzten Sprung ins Ungewisse? Inklusive des Vertrauens, Misslungenes rasch korrigieren zu können? Kommt, wer darauf wartet, bis alle Fakten beisammen sind und sich ein vollständiges Bild der Lage zeichnen lässt, nicht notgedrungen zu spät? Sobek betont, es sei nicht die Absicht des Buches, ein düsteres Bild der Zukunft zu zeichnen. Im Gegenteil. Er sehe den vorliegenden Band als „ein Hoffnung stiftendes Buch“. Wobei er Hoffnung im Sinn der „docta spes“ Ernst Blochs verstanden wissen möchte. Was für Sobek bedeutet: „eines wissenschaftlich basierten, auf verstandenen Fakten und Zusammenhängen gründenden Vorgehens zur bewussten und auch gekonnten Erschließung von Zukunft“.

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Fast trotzig fügt er hinzu: „Glauben Sie niemandem, der Ihnen einreden will, Zukunft sei nicht planbar.“ Architekten und Ingenieure machten ihr ganzes Leben lang nichts anderes. Sie wüssten darum, „eine komplexe Planung unter permanenter Anpassung an sich verändernde Randbedingungen wie auch Ziele zu leisten“. Doch waren und sind es nicht zuallererst Architekten und Ingenieure, die das Bauwesen zu dem gemacht haben, was (neben anderen Faktoren) zu Flächenversiegelung, Energieverschwendung, Erderwärmung und Klimawandel geführt hat? Dass der Speer, der die Wunde schlug, sie auch zu heilen vermag, gehört (bis zum Beweis des Gegenteils) in den Bereich des Mythos.

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Werner Sobek

non nobis – über das Bauen in der Zukunft
Band 2: Die Randbedingungen des Zukünftigen.

348 S., geb., ca. 114 Abb. & Grafiken, Format: 22,5 x 21,5 cm,

AVEdition, Stuttgart 2023

ISBN 978-3-89986-384-0

49,00 Euro


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