Eingeschossig, ins Grüne blickend, entspannt, modern: Er kommt ursprünglich aus Asien, ist für Franzosen ein Ferienhaus und in der DDR eine moderne Datsche. Hierzulande verbindet man ihn nach dem Zweiten Weltkrieg mit amerikanischer Coolness und Bauhaus-Eleganz, um sich vom Heimatstil der Nazizeit abzusetzen. Eine Dokumentation bei Arte klärt über den Bungalow auf.
Von Thomas Wagner.
Die Dokumentation „Bungalow“ von Stefanie Appel widmet sich einem global existierenden Haustyp. Was hat dieser mit einer bengalischen Hütte zu tun? Wie hat er sich entwickelt? Ein Bungalow, heißt es zu Beginn des Films, sei „mehr als ein Haus“. Bungalow sei „aufgeladene Bedeutung“. Zielsicher eilt der Kommentar weiter und konstatiert: In einem wurde – schon sieht man Pullman-Limousinen vorfahren und sich ein Blitzlichtgewitter entladen – sogar Weltpolitik gemacht. Dann folgt, was folgen muss: Der Hinweis, der Begriff Bungalow existiere auf allen Kontinenten, werde aber überall anders verstanden. Und je tiefer man in das Phänomen eintaucht, desto besser beginnt man zu verstehen, in wie viele Schichten selbst eine scheinbar so einfache Bautypologie aufgeblättert werden sollte – und wie stark sie von Erwartungen und deren gesellschaftlichem und historischem Kontext geprägt sind.
Ursprünglich stammt der Bungalow vom „bangolo“ ab, dem traditionellen bengalischen Bauernhaus, wie man es heute noch in Bangladesch findet. Das schlichte, oft mit Stroh gedeckte Haus, erklärt der Architekt Saif Ul Haque vom Architekturinstitut in Dhaka, sei „die Inspirationsquelle für den Bungalow“ gewesen. Etwas vorwitzig spitzt der Kommentar die Frage nach der Genealogie weiter zu: „Was aber hat eine Hütte in Asien mit einem elitären Flachdachbau zu tun“? Um sogleich wissen zu wollen: „Und was interessiert eine Band aus Wien an einem Einfamilienhaus, das in den 1960er-Jahren in Mode war?“
Bungalow Ost, Bungalow West
Es gehört zum unterhaltsamen, zuweilen etwas sprunghaften Strukturprinzip des Films, dass immer wieder Songs einstreut werden, in denen ein Bungalow vorkommt (der ironisch auf Buffalo Bill anspielende Beatles-Song „The Continuing Story of Bungalow Bill“ vom jagenden Muttersöhnchen ist leider nicht dabei). So lautet der Refrain eines Hits der österreichischen Band „Bilderbuch“ von 2017: „Komm vorbei in meinen Bungalow, by the rivers of cash-flow“. Weshalb das Bandmitglied Maurice Ernst dann auch die Musiker-Einsicht verkündet, Bungalow beherberge im wahrsten Sinne des Wortes so viele Möglichkeiten – und es klinge auch so „groß und geschwungen“. Groß und geschwungen? Das Wort? Der Bau?
Schwammdrüber, bringt ein Zeichentrickfilm aus der DDR von 1976 (Regie: Klaus Georgi) doch nicht nur Farbe und Humor ins zuweilen etwas didaktische Fragespiel, er zeigt auch, wie unterschiedlich der schlichte Flachbau von der Wunschproduktion in Deutschland Ost und Deutschland West interpretiert wurde. Obwohl (oder gerade, weil) die sozialistische Bungalow-Sehnsuchts-Datsche am Ende nicht viel anders ausschaut wie die Wohnung in der Platte, nur nach Einheiten getrennt horizontal ins Gelände gestreut, begreift man: Der ostdeutsche Bungalow ist ein Ferienhaus (wie der in Frankreich); der westdeutsche hingegen, so die Architekturhistorikerin Carola Ebert, „ist flach, eingeschossig, ins Grüne blickend, entspannt, modern“. Nach dem Zweiten Weltkrieg verband man ihn im Westen nicht nur mit amerikanischer Coolness und Bauhaus-Eleganz, man wollte sich, zu bescheidenem Wohlstand gekommen, auch stilistisch vom Heimatstil der Nazizeit absetzen. Sogar das Versandhaus Quelle bot einen erschwinglichen Bungalow in Fertigbauweise an.
Kolonialarchitektur und Moderne
Doch zurück zum „bangolo“: Im 19. Jahrhunderts haben britische Kolonialherren den Bautyp in ihrer Kolonialarchitektur aufgegriffen; das Wort Bungalow wurde zum Synonym für das Haus von Europäern in den Tropen. Ende des Jahrhunderts begannen die Briten den Bungalow dann als industriell gefertigten Bautyp (ohne Flachdach) in alle Welt zu exportieren, ironischerweise auch in die Kolonien, dem er entstammt. Hierzulande verläuft die typologische Rezeption zunächst über Mies van der Rohes „Barcelona Pavillon“ von 1929. Auf der Berliner Bauausstellung 1931 wird ein Erdgeschoßhaus, das dessen Prinzipien auf ein Wohnhaus überträgt, erstmals vorgestellt; und im selben Jahr nennt Richard Neutra eines seiner Häuser auf einer Zeichnung erstmals: Bungalow.
Kalifornische Leichtigkeit
Zur fixen Größe wurden Wort und Bautyp in Deutschland dann über die Rezeption des berühmten Programms der Case Study Houses, einem amerikanischen Experiment, das den Entwurf und die Errichtung von einfachen und kostengünstigen Modellhäusern vorsieht. Die ersten sechs wurden schon 1948 fertiggestellt und zogen mehr als 350.000 Besucherinnen und Besucher an; weitere folgten. Das Case Study House No. 22, Pierre Koenigs 1960 in den Hollywood Hills errichtetes „Stahl House“, wurde geradezu zum Inbegriff dessen, was Westdeutsche sich unter einem Bungalow vorstellen: Flachdach, großzügige Verglasung, ein Pool – und ein sensationeller Blick über das Häusermeer von Los Angeles. Als die Publikation über das Programm, an dem u. a. auch Richard Neutra und die Eames teilgenommen haben, zwei Jahre nach dem Original 1964 auf Deutsch erschien, waren alle diese Häuser plötzlich Bungalows – weniger bei Architekt/innen, aber bei Publizist/innen und Journalist/innen.
Der Traum vom kleinen Glück
Ob zur Straße verschlossener Pavillon, Case Study House, standardisierte sozialistische Datsche, französisch entspanntes Ferienhaus oder – Beispiel Berliner Hansaviertel – offenes, Innen und Außen verbindendes Großstadt-Haus, den Bungalow umweht der individualistische Wunschtraum vom kleinen Glück, fast möchte man sagen: vom richtigen Wohnen im Falschen. Eine luftige Wohnebene mit Blick ins Grüne, in Amerika oft (auch das ein Erbe des bengalischen Urtyps) versehen mit einer schattenspendenden Veranda. Sang Jack Hylton – in einem weiteren Song, der die Geschichte untermalt – 1933 also nicht ganz zufällig: „A Bungalow, a Piccolo and You“? Ist der Bungalow die Hülle eines zufriedenen Lebens und des Rückzugs ins Private?
Die Architekturhistorikerin Carola Ebert antwortet auf die Frage, ob diese Häuser „nun abweisende Spießer oder aufgeschlossene Hippies“ seien, so treffend wie diplomatisch: „Der Bungalow war der Idealist unter den Spießern“. Die Sehnsucht nach Transparenz auf demokratischer Ebene für alle reicht bis zu Sep Rufs Bonner Kanzlerbungalow von 1963, dem „Wohnzimmer des Staates“, in dem dieselben Möbel von Charles und Ray Eames stehen wie schon in den Case Study Houses. Dass das luftige „bangolo“, ganz ohne Klimaanlage, ein Konzept für eine nachhaltige Zukunft sein könnte, belegen am Ende Beispiele aus Asien wie der Bau einer „schwimmenden Schule“ in Bangladesch von Saif Ul Haque, der dafür mit dem Aga-Khan-Preis für Architektur ausgezeichnet wurde.
Bungalow
Dokumentation, Dauer 26 Min.
Regie: Stefanie Appel
Arte, Sonntag, 18. Juli, 11:45
In der Mediathek verfügbar bis 15. Oktober 2021
Weitere Artikel rund um Architektur auf ndion
Diese Seite auf Social Media teilen: