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Women in Architecture Festival2021
© Anja Matzker

Women in Architecture 2021 ist das erste Festival zu Frauen in der Architektur in Berlin. Über vier Wochen lang fanden im Juni und Anfang Juli fast 100 Veranstaltungen an verschiedenen Orten in ganz Berlin statt: Ausstellungen, Filmreihen, Führungen, Symposien, Vorträge, Workshops und vieles mehr. ndion gibt einen Überblick über einige der Highlights der vergangen Wochen.

Von hicklvesting.

Women in Architecture: Ulrike Elbers
Women in Architecture: Ulrike Elbers © Andreas Heupel Architekten

Für alle, die sich fragen, warum ein solches Festival wichtig ist, ein paar Zahlen, Daten und Fakten vorab: Während 2006 erstmals gleich viele Männer und Frauen Architektur studierten und sich der Frauenanteil bis 2016 sogar auf 58 Prozent erhöhte, sprechen die Quoten in der Praxis und im akademischen Bereich eine vollkommen andere Sprache: Im Architekturbüro arbeiten lediglich 35 Prozent Frauen, und keines der 20 größten Architekturbüros in Deutschland wird allein von einer Frau oder einem Team aus Frauen geführt. Ein weiteres drängendes Problem ist der Gender Pay Gap: Das Einkommen von in Vollzeit angestellten Architektinnen liegt knapp 30 Prozent unter dem ihrer männlichen Kollegen. An den Universitäten sieht es beim Frauenanteil noch düsterer aus: in der Lehre liegt er bei lediglich 14 Prozent, und traurige fünf Prozent der Professuren-Lehrstühle werden von Frauen geleitet, wie Ursula Schwitalla in ihrer jüngst erschienen Publikation „Frauen in der Architektur. Rückblicke, Positionen, Ausblicke“ festhält.

Wenn man die Gleichstellung der Frau in eine architektonische Metapher formen möchte, ist die Baustelle also allemal angemessen – es bleibt noch viel zu tun. Das Festival will deshalb einen Raum für die Auseinandersetzung mit Werken von Frauen und dem längst überfälligen Umbau des Berufsbildes bieten.

Holz-Hybrid-Hochhaus ARUP in Münster
Der Holz-Hybrid-Hochhaus ARUP in Münster von Ulrike Elbers. © Andreas Heupel Architekten
Women in Architecture: Valentina Kumpusch
Women in Architecture: Valentina Kumpusch © Bundesamt für Straßen ASTRA

Eines dieser Projekte ist die Ausstellung „[Frau] Architekt*in im bauhaus reuse“- Pavillon am Ernst-Reuter-Platz, organisiert von der Architektenkammer Berlin, dem Institut für Architektur der TU Berlin und dem Architekturmuseum der TU Berlin. Zu sehen ist die Video-Lounge Frau Architekt des Deutschen Architekturmuseums Frankfurt, die Survival Lounge nach Sara Ahmed, das Projekt Berliner Architektinnen: Oral History, ausgewählte Diplomandinnen-Arbeiten aus den Jahren 1950-70, die fem*MAP BERLIN und die Ausstellung Queens of Structure.

Letztere stellt Projekte und Positionen von zwölf Bauingenieurinnen vor. In Interview-Portraits berichten sie über berufliche Entscheidungen und Auseinandersetzungen mit Stereotypen von Frauen in Ingenieursberufen, sie geben aber auch Ausblicke darauf, wie ein Selbstverständnis in ihrem Beruf aussehen sollte und stellen aktuelle Projekte vor. Mit dabei sind unter anderem Roma Agrawal von WSP, die den Bau des Londoner Hochhauses The Shard mitverantwortete, Ulrike Elbers von ARUP mit dem Holz-Hybrid-Hochhaus in Münster, Valentina Kumpusch mit der zweiten Röhre des Gotthardtunnels im Schweizerischen Tessin und Anne Burghartz von sbp mit der Verhüllung des Arc de Triomphe in Paris durch eine Carbon-Seilnetzfassade. Im historischen Teil der Ausstellung werden weibliche Pionierinnen vorgestellt, die ermutigende Wege aufzeigen, wie sich Frauen Schritt für Schritt Freiheiten für die Gestaltung eigener Berufs- und Lebensentwürfe erkämpften. Die Ausstellung ist im Tiefgarten des Architekturmuseums der TU Berlin zu sehen, verlängert bis 27. August 2021.

Zweite Röhre des Schweizer Gotthardtunnels von Valentina Kumpusch
Die zweite Röhre des Gotthardtunnels im Schweizerischen Tessin, entworfen von Valentina Kumpusch. © Bundesamt für Straßen ASTRA

Der Sprung vom Studium ins Berufsleben

Die Architekturgalerie Berlin zeigte Notes on Architecture (I´m Here), ein Projekt von Verena von Beckerath, Architektin und Professorin für Entwerfen und Wohnungsbau an der Bauhaus Universität in Weimar, in Zusammenarbeit mit Jessica Christoph und Hanna Schlösser. Im Zentrum stehen hier Abschlussarbeiten, die auf Auseinandersetzungen mit individuellen und kollektiven Formen der Architekturproduktion beruhen – und das in einer immer noch stark vom Mythos des „Starchitect“ definierten Berufsfelds, also einem (meist weißen) männlichen Architekten, der mit scheinbar genialem Gestus die Planung ganzer Großprojekte auf sich vereint. Die konkrete Fragestellung: Wie können die im Studium diskutierten Erkenntnisse und Reflexionen im professionellen System Architektur tatsächlich implementiert werden? Den Hauptteil bilden Interviews mit Absolventinnen der vergangenen Jahre, die anhand ihrer Erfahrungen Einblicke in eine mögliche Praxis geben. Anlässlich der Eröffnung am 24. Juni 2021 erschien die gleichnamige Publikation, zudem sprachen Anne Femmer, Oda Pälmke und Elena Schütz.

Für eine Gender-gerechte Architektur: Wohnprojekt San Riemo in München

Wohnprojekt San Riemo von der Straße
© Florian Summa

Architektur kann Dinge ermöglichen, und andere Dinge verunmöglichen. Architektur ist deshalb nicht nur ein Spiegel, der gesellschaftliche Ungleichheiten repräsentiert, sondern sie schafft überhaupt erst die räumlichen Voraussetzungen dafür, ist also zugleich Medium. Wie eine Gender-gerechte Architektur aussehen kann, zeigt das Gemeinschaftsprojekt San Riemo der beiden Architekturbüros Summacumfemmer aus Leipzig und Büro Juliane Greb aus Gent.

San Riemo ist ein fünfstöckiges Wohnhaus für rund 100 Menschen, das im Auftrag der 2015 gegründeten Wohnungsbaugenossenschaft Kooperative Großstadt in München–Riem entstanden ist und kürzlich fertig gestellt wurde. Alle Etagen bauen auf dem gleichen Grundmuster auf. Im Kern sind Küchen und Bäder untergebracht, darum herum gruppieren sich die verschiedenen Raumeinheiten. Der Clou: Alle Räume sind durch das in der Decke durch Unterzüge vorgegebene Grundraster auf genau 14 Quadratmeter definiert. Wo und ob überhaupt Wände existieren, und in welche Richtungen die Türen sich öffnen, bleibt aber den individuellen Bewohnerinnen und Bewohnern überlassen. Die Schaltung der Räume funktioniert über Türen, es müssen also keine Wände extra eingerissen oder neugebaut werden.

Dies führt zu mehreren Besonderheiten, wie Anne Femmer, die zusammen mit Florian Summa das Büro Summacumfemmer gegründet hat, bei einer Round Table-Veranstaltung an der TU Berlin erläutert: Zum einen entsteht maximale Flexibilität in der Raumdisposition, so können große, fließende Raumeinheiten entstehen oder bei Bedarf wieder aufgeteilt werden. Zweitens sind die Funktionen der Räume dank der stets gleichen Größe nicht vordefiniert, ein Zimmer kann Kinderzimmer, Fitnessraum oder Büro sein. Damit sollen Vorstellungen der heteronormativen mitteleuropäischen Kleinfamilie – Vater, Mutter und 1-2 Kinder – durchbrochen werden. Noch weiter gedacht können sich, drittens, auch mehrere Parteien zu einem Cluster zusammenschließen – der Grundriss sieht damit diverse Lebensentwürfe als gleichwertig. Die Schaffung einer aktiven Gemeinschaft war auch im Erdgeschoss zentraler Gestaltungsimpuls, hier findet sich eine Reihe gemeinsam genutzter Angebote wie Bibliothek, Werkstatt, Küche, Abstell- und Wäscheraum.

Wo bleiben die Männer?

Dass die große Mehrheit der Interessierten weiblich ist, wirft die Frage auf, wie man es schafft, bei der Thematisierung gesamtgesellschaftlicher Probleme wie der Gleichberechtigung strukturell benachteiligter Personengruppen wie Frauen, People of Color, homo- und transsexuellen Personen oder Menschen mit Behinderung alle Menschen zu erreichen und in einen produktiven Diskurs zu bringen. Sicher ist: Das erste „Women in Architecture“-Festival sollte nicht das letzte gewesen sein. 


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