Kimia Amir-Moazami forschte an der UdK Berlin an nachhaltigen Aufbewahrungsmethoden für Lebensmittel. Sie hat ein Projekt entwickelt, das den Verfall von Speisen anzeigt: den „Vorkoster“. Wir haben ihr vier Fragen dazu gestellt.
Interview: Stephan Ott und Jessica Krejci, IfDRA.
Design Research Preis 2021. Die Shortlist (1/3): „Vorkoster“ von Kimia Amir-Moazami
Kimia Amir-Moazami hat im Rahmen ihrer Bachelorarbeit an der UdK Berlin ein Produkt für die nachhaltige Aufbewahrung von Lebensmitteln entwickelt, das über eine pH-sensitive Folie aufzeigt, wenn diese verderben bzw. aufgebraucht werden sollten. Durch die Entkopplung von Verpackung und Verfalls- bzw. Mindesthaltbarkeitsdatum erhalten Nutzende die Möglichkeit, selbst gegen die großflächige Lebensmittelverschwendung vorzugehen. Durch das Hinterfragen eines bestehenden und für selbstverständlich erachteten Systems ist es Kimia Amir-Moazami gelungen, ein Konzept mit großem Umsetzungspotenzial zu entwickeln. Die Zusammenarbeit mit dem etablierten Forschungspartner Fraunhofer IAP (Institut für Angewandte Polymerforschung) zeigt dabei eindrucksvoll, wie die Verbindung von Design und Forschung den nachhaltigen Umgang mit Ressourcen auf einfache Art und Weise unterstützen kann.
Wie bist Du auf die Idee zu Deinem Projekt gekommen?
Ich habe nicht damit angefangen zu überlegen, wie ich Lebensmittelverschwendung verhindern kann, sondern mich grundsätzlich mit der Lebensmittelindustrie beschäftigt. Als Einzelperson hat sich bei mir aber schnell ein Gefühl der Überwältigung eingestellt. Daraufhin habe ich überlegt, was für konkrete Probleme es gibt, die in meinem Lebenskontext relevant sind: als eine im globalen Norden, in einem der reichsten Länder der Welt privilegiert lebende Person.
Die Lebensmittelverschwendung ist so ein Punkt, bei dem wir auch als Einzelpersonen Handlungsspielraum haben. Ich habe dann recherchiert, was es in der Vergangenheit für Methoden gab, mit denen man den Zustand von Lebensmitteln überprüfen konnte. Dabei hatte ich immer das Beispiel der Banane im Kopf, die selbst anzeigt, wenn sie reift und sich verändert und das auch nach außen trägt. Ich habe vorher außerdem ein Projekt zum Färben von Kleidung gemacht. Dabei ging es um die Frage, wie kann ich das Bedürfnis nach immer neuer Kleidung bereits in der Produktion mitdenken. Dafür habe ich mit natürlichen Farben gearbeitet, die über Säure-Basen-Waschungen ihre Farbe verändern. In der Recherchephase für den „Vorkoster“ habe ich gelernt, dass sich auch bei proteinhaltigen Lebensmitteln der pH-Wert im Verfallsprozess verändert. Und wenn sich der pH-Wert verändert, kann man das visualisieren.
Wie kam es dann zur Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut?
Ich habe selbst ein paar analoge, rudimentäre Tests gemacht, habe aber schnell gemerkt, dass ich an meine Grenzen stoße. Ich habe im gesamten Prozess der Abschlussarbeit immer wieder Meinungen von Expertinnen und Experten eingeholt und habe dann Kontakt mit dem Fraunhofer IAP – Institut für Angewandte Polymerforschung aufgenommen. Dort hatte ich das Glück, dass ich an eine Abteilung geraten bin, die sehr offen war. Nachdem ich vor Ort meine Ideen vorgestellt habe, wollte ich eigentlich nur mit deren Fachwissen Informationen einholen. Im Gespräch mit dem Leiter der Abteilung für Biofunktionalisierte Materialien und Biotechnologie, Dr. Ruben R. Rosencrantz, hat sich dann aber die Möglichkeit einer Zusammenarbeit ergeben, die nach Rücksprache mit seinem Team auch Wirklichkeit geworden ist. Generell war das ganze Team super offen und ich habe eigentlich mit allen über mein Projekt sprechen können, es war ein gegenseitiges Befruchten. Besonders Sany Chea, Doktorandin beim Fraunhofer IAP, hat mich bei der Entwicklung des „Vorkoster“ sehr unterstützt. Dabei war es auch für das Fraunhofer-Institut interessant mal ein angewandtes und schnell realisierbares Projekt zu machen, weil sich viele Forscher dort vorrangig mit sehr fachspezifischen Themen beschäftigen, die über lange Zeiträume entwickelt werden.
Hat sich Deine Arbeitsweise von den Prozessen des Fraunhofer-Instituts unterschieden?
Was ein großer Unterschied zu der Forschung im Fraunhofer-Institut war, ist die Sicht auf die Dinge. Ich habe natürlich nicht dasselbe Fachwissen, wie die Menschen dort; das ist aber vielleicht auch gut, weil ich mit einem anderen Blick auf die Prozesse geschaut habe. Ich liebe es, dass das Design mir persönlich ermöglicht, mich mit fast jedem Thema auseinanderzusetzen und ein Interesse dafür zu entwickeln – wie ein Blick durch eine andere Brille auf die Welt. Ich beschäftige mich mit einem Thema, finde ein Problem und entwickle dann eine Lösung und die sollte möglichst kommunikativ und zugänglich für eine breite Öffentlichkeit sein. Und das ist auch etwas, was für mich Produkte auszeichnet, und warum ich ein Produkt entwerfen wollte. Denn Produkte erzählen uns durch ihre Benutzung, warum sie existieren, also auch das Thema, das ihnen zugrunde liegt. So findet eine Art von materieller Realisierung statt und ein abstraktes Thema wird im besten Fall in die Praxis transferiert.
Wieso hast Du Dich für Entkopplung von Verpackung und Ablaufdatum entschieden?
Zunächst fände ich die weitere Etablierung und Verbreitung von sogenannten Unverpacktläden toll. Das auf die Verpackung gedruckte Haltbarkeitsdatum steht aber häufig damit in Konflikt. Da wir daran so gewöhnt sind, vertrauen wir diesem Datum auch besonders und eben nicht mehr auf unsere eigenen Sinne. Hier wollte ich Abhilfe schaffen und Alternativen aufzeigen. Ein weiterer Aspekt, warum ich diese Entkopplung für sinnvoll halte, war, dass ich in der Recherche herausgefunden habe, dass es schon vor zehn Jahren Projekte gab, die sich damit beschäftigt haben, wie man Kühlkettenunterbrechungen auf Verpackungen sichtbar machen kann, um besser zu verstehen, wie lange etwas noch haltbar ist. Diese Ideen sind teilweise schon marktreif gewesen, wurden aber von der Lebensmittelindustrie nicht angenommen. Denn verlängerte Haltbarkeitszyklen bedeuten immer auch weniger Produktion. Dieses Wissen um den Fokus der Lebensmittelindustrie hat eine Entkopplung für mich um so wichtiger gemacht, um unabhängig zu bleiben.
Experten-Statement Daniela Bohlinger
„Ich halte es für einen richtigen Ansatz von dieser Vorkennzeichnung wegzugehen und sich neue Ansätze zu überlegen, um Lebensmittelverschwendung zu vermeiden. Das ist ein großer Beitrag zu einem nachhaltigen Leben. Ich denke, die ganze Kennzeichnungspflicht wird sich sowieso in der Zukunft verändern. (…) Wenn Studierende erstmal das Wachstums infrage stellen, heißt das ja nicht automatisch, dass sie ein Unternehmen in den Konkurs führen wollen, sondern hin zur richtigen Lösung. Wir brauchen nicht mehr Produkte, sondern cleverere Produkte. (…) Kimia Amir-Moazami bleibt mit ihrem Entwurf innerhalb der ganzen Wertigkeit und der Wertschöpfungskette, sie will nicht nur ein Material substituieren, sondern es geht ihr um den Wert der Lebensmittel selbst. Diese Mischung aus Produktdesign und Science finde ich total clever. (…) Ich finde es wichtig, junge Designerinnen und Designer, die einen anderen Weg einschlagen wollen, zu honorieren und zu sagen, das ist richtig so, du darfst diesen Forschungsweg gehen, trau dich. Wie brauchen Forscherinnen und Forscher und neugierige junge Leute, die sich mit dem Existierendem kritisch auseinandersetzen und nach neuen Lösungen suchen.“
Daniela Bohlinger, Head of Sustainability BMW Group Design und Außerordentliche Professorin für Nachhaltigkeit am Umeå Insitute of Design, Schweden
Die German Design Graduates
In diesem Jahr finden die German Design Graduates zum dritten Mal statt. Die nicht-kommerzielle Initiative zur Förderung des Designnachwuchses zeichnet dabei Absolvierende deutscher Designstudiengänge aus. In diesem Rahmen vergibt das beim Rat für Formgebung angesiedelte Institute for Design Research and Appliance (IfDRA) erneut einen Preis für Designforschung. Damit möchte das Institut vor allem Einreichungen auszeichnen, die sich an der Schnittstelle von Theorie und Praxis bewegen und durch deren Kombination und Integration in den Designprozess zukunftsrelevante Resultate entstehen. Aus drei für die Shortlist nominierten Projekten wurde am 1. Oktober 2021 bei der offiziellen Verleihung im Kunstgewerbemuseum in Berlin die diesjährige Gewinnerin gekürt.
Wir freuen uns, Kimia Amir-Moazami den mit 1.000 Euro dotierten Forschungspreis für ihre Abschlussarbeit „Vorkoster“ zu verleihen und wünschen ihr viel Erfolg für ihre berufliche Zukunft.
Homepage der Universität der Freien Künste Berlin.
Der „Vorkoster auf der Website des German Design Graduates.
Website des Institute for Design Research and Appliance (IfDRA)
Mehr auf ndion
In den zwei Beiträgen auf ndion stellen wir Ihnen die beiden anderen Arbeiten der diesjährigen Shortlist zum diesjährigen Design Research Preis des IfDRA vor.
Weitere Beiträge zum Thema Design und Artikel rund um Themen des IfDRA.
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