Wie werden eigentlich die Preisträger*innen des German Design Graduates Award ausgewählt? Zwei Mitglieder aus der diesjährigen Jury erzählen im Interview mit ndion.de, was den Jahrgang 2023 auszeichnet, nach welchen Kriterien sie die Einreichungen sichten und was sie selbst in der Juryarbeit lernen. Barbara Lersch arbeitet für die Hans-Sauer-Stiftung und ist Expertin für Social Design. Leif Huff ist bei der Agentur Fluid verantwortlich für Strategie und Innovation und unterrichtet an verschiedenen Designhochschulen.
Die insgesamt 9-köpfige Jury des German Design Graduates Award 2023 kürte Preisträgerinnen in den vier Kategorien Nachhaltigkeit & Zirkularität, Forschung & Transfer, Gesellschaft & Gemeinschaft und Inklusion. Alle ausgezeichneten Projekte sind Teil der German Design Graduates-Ausstellung „Dare to Design“, die insgesamt 47 Arbeiten von Absolvent*innen deutscher Hochschulen zeigt. Die Ausstellung war bis Sonntag, 8. Oktober 2023, im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg zu sehen.
Interview von Jasmin Jouhar
Barbara, Leif, Ihr wart beide nicht zum ersten Mal in der Jury für die German Design Graduates Awards. Ist euch beim Sichten des Jahrgangs 2023 etwas Besonderes aufgefallen?
Barbara Lersch: Die Einreichungen werden qualitativ besser, die Texte werden besser. Es wird von Jahr zu Jahr sichtbarer, dass es auch darum geht, die eigenen Prozesse zu beschreiben. Und nicht nur ein Endprodukt zu präsentieren. Und es gibt immer mehr Videos. Damit werden viele Arbeiten in ihrem Kontext veranschaulicht, das erleichtert es, sie zu verstehen. Auch wenn ich persönlich schon ein Fan vom Schriftlichen bin.
Leif Huff: Das kann ich bestätigen. Die Darstellungen werden kompletter, mehr Videos, Webseiten, Links, um weiteres herauszufinden über ein Projekt. Was mir auch aufgefallen ist: In der Kategorie „Nachhaltigkeit & Zirkularität“ gab es im vergangenen Jahr mehr reine Produkteinreichungen – ein Produkt als Lösung für einen zirkulären Prozess oder eine Nachhaltigkeitsfrage. Das war in diesem Jahr komplexer. Wir haben mehr systemische Lösungen gesehen, digitale Ansätze, UX- und UI-Konzepte, Dienstleistungen. Ich glaube, das ist ein gutes Zeichen. Weil es für die Gestaltung in der Kreislaufwirtschaft eben oft nicht reicht, lediglich ein Produkt zu entwickeln.
Welche Themen waren denn in diesem Jahr besonders relevant?
Barbara Lersch: Es gab einige Arbeiten, die die Perspektive von Minderheiten eingenommen haben, Arbeiten zu queeren und feministischen Themen oder für Menschen mit Behinderung. Einige andere Projekte beschäftigen sich mit den aktuellen großen gesellschaftlichen Herausforderungen, wie Wohnungsnot, Klima- oder Energiekrise. Das spiegelt die Ausstellung gut.
Was gibt es sonst noch in der Ausstellung „Dare to design“ zu sehen? Worauf können Besucher*innen ihr Augenmerk richten?
Leif Huff: Die Ausstellung kann den Besucher*innen zeigen, was Design alles sein kann. Wie kann Design helfen, die großen Fragen zu stellen und zu versuchen, Ansätze und Lösungen zu finden? Vielleicht kann die Ausstellung auch Hoffnung geben. Die habe ich jedenfalls, als jemand, der seit 30 Jahren in der Branche arbeitet. Ich glaube einfach daran, dass wir in dieser Zeit, die so viele Krisen zu bewältigen hat, mit Design etwas bewirken können. Aber für die Ausstellung sollte man Zeit mitbringen. Ich könnte mir vorstellen, dass sie für Nicht-Designer*innen überraschend, vielleicht auch überwältigend sein kann.
Barbara Lersch: Es geht um die Vielfalt, um die verschiedenen Zugänge. Aber es geht auch darum, dass man eine Idee bekommen kann, was Design für einen selber, für die eigene Lebenswelten, bewirken kann. Dass sich praktisch jedes lebensweltliche Thema mit der eigenen Designpraxis verbinden lässt. Man sieht, dass in einem Gestaltungsstudium eine große Kraft steckt.
Leif Huff: Vielleicht einen Punkt noch, den ich persönlich dieses Jahr besonders gespürt habe, auch in den Arbeiten aus Barbaras Gruppe (Gesellschaft & Gemeinschaft). Für mich als jemand, der schon lange als Designer arbeitet und Repräsentant einer bestimmten Generation ist, war es extrem spannend zu sehen, wie junge Menschen denken. Wie sie sich mit diesen aktuellen Themen auseinandersetzen, die uns ja alle betreffen. Das würde ich den Besucher*innen mitgeben: Hier wird die Denk- und Arbeitsweise der jungen Generation greifbar und nachvollziehbar.
Die Arbeit einer Jury beginnt lange vor der Preisverleihung. Könnt ihr erklären, wie ihr die vielen Projekte sichtet, die eingereicht werden?
Barbara Lersch: Es gibt zwei Phasen. Da ist einmal die persönliche Arbeit, die du alleine zu Hause am Schreibtisch machst. Und anschließend die Arbeit in der Gruppe der Jury. Bei der Arbeit am Schreibtisch versuche ich, meine Kontextkriterien anzuwenden. Sprich, ich komme aus der Stiftungsarbeit, ich bringe eine bestimmte Perspektive mit. Das heißt, ich bewerte nicht nur das Endprodukt, sondern die ganze Arbeit. Dazu gehört die Recherche, dazu gehört der Text, dazu gehören die Narrative und Prozesse, die gewählt werden. Aber zu einer guten Bewerbungen gehört es auch, nicht so viele Rechtschreibfehler in den Texten zu haben.
Leif Huff: Für mich es wichtig, einzutauchen, mir Zeit zu nehmen, um wirklich aufzufassen, was da alles ist. Ich habe ein System für mich entwickelt, dass ich die Projekte nach verschiedenen Beurteilungskriterien nacheinander durchgehe und entsprechend ordne. In der Diskussion in der Gruppe versuche ich dann herauszufinden, ob andere zu ähnlichen Einschätzungen gekommen sind. Sind gewisse Projekte bei ihnen auch sofort rausgefallen oder aufgefallen? In diesem Jahr gab es nicht so viele Übereinstimmungen. Aber das war eigentlich sehr erfrischend, dass es solche Diskrepanzen gab.
Und wie stellt man am Ende einen Konsens her darüber, wer ausgezeichnet wird?
Barbara Lersch: Da geht es heiß her! Meistens macht man eine Abstimmung, und wenn es keinen Konsens gibt, dann geht man eben in Diskussionen. Dann geht es hin und her. Ich finde es schön, andere Perspektiven zu hören, die ich aus meiner Expertise nicht habe. Als Jurorin lerne ich ganz viel!
Was könnten das für Perspektiven sein?
Barbara Lersch: Wenn ich zum Beispiel mit Leif spreche. Er blickt aus der Perspektive der Industrie auf die Dinge. Diese Perspektive spielt für mich normalerweise keine Rolle, ist aber für gewisse Projekte oder Fragen sehr relevant.
Leif Huff: Genauso umgekehrt. Es gab einen Moment in der großen Runde mit allen Juror*innen, als meine Gruppe unsere Projekte vorgestellt hat. Da kamen von dir Barbara, sehr kritische Nachfragen. Das hat eine ganz andere Qualität, als innerhalb einer homogenen Gruppe, wenn drei Industriedesigner*innen diskutieren.
Welche Funktionen kann ein Preis wie die GDG Awards haben, für die Ausgezeichneten persönlich, aber auch für die Disziplin Design allgemein?
Barbara Lersch: Auch da liegt die Kraft im Prozess. Auf jeder Stufe des Prozesses wird eine Wirkung erzeugt. Das fängt damit an, dass sich jemand überlegt, wie kann ich meine Arbeit so aufbereiten, dass ich sie einreichen kann? Da wird viel dabei gelernt. Dazu kommt der Aspekt der Vernetzung. In diesem Jahr gab es ein Abendessen mit allen Finalist*innen. Sie kennen sich vorher nicht, sie kommen von unterschiedlichen Hochschulen, haben aber alle ein intrinsisches Interesse an Gestaltungsaufgaben. Es war schön zu sehen, wie sie sich vernetzt haben. Natürlich hat der Preis auch eine Wirkung an den Hochschulen. Er schafft Sichtbarkeit und sagt: „Das ist relevant“. Und nicht zuletzt sind der Preis und die Ausstellung eine starke Repräsentation der vielen Designstudiengänge in Deutschland.
Letzte Frage: Täuscht mein Eindruck, oder macht euch die Arbeit in der Jury auch einfach großen Spaß?
Barbara Lersch: Dieser Auswahlprozess ist ein Geschenk, weil es die eigenen Perspektiven so öffnet. Außerdem gibt es ein schönes Miteinander in der Gruppe. Zudem ist es eine große Bereicherung, die Studierenden beim Wachsen zu begleiten. Wir als Stiftung sind ja seit Beginn an bei German Design Graduates dabei, und ich habe noch mit allen Studierenden, die wir ausgezeichnet haben, Kontakt.
Leif Huff: Mich inspiriert die Arbeit in der Jury. Und ich spüre auch eine Verantwortung, die Lehre zu formen und Feedback zu geben. Ich bin ja selbst auch in der Lehre tätig. Nicht zuletzt lerne ich Talente kennen, treffe die Menschen hinter den Arbeiten. Was können wir als Unternehmen tun, um ihnen und ihren Ideen eine Basis zu bieten?
Mehr auf ndion
Weitere Artikel zum Thema Design und weitere Interviews.
Diese Seite auf Social Media teilen: