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Vier Kategorien, je 2.500 Euro Preisgeld: Die Initiative German Design Graduates des Rat für Formgebung hat Absolvent*innen deutscher Hochschulen ausgezeichnet. Wir stellen die Projekte vor, die noch bis 8. Oktober in einer Ausstellung in Hamburg zu sehen sind.

Von Jasmin Jouhar

Dare to Design 2023, Foto: Jakob Boerner

Zigarettenstummel, invasive Pflanzen, eine queer-feministische Bibliothek und Sextoys für die Eigeninsemination: Die mit dem German Design Graduates Award 2023 ausgezeichneten Abschlussarbeiten deutscher Designhochschulen beschäftigen sich mit denkbar unterschiedlichen Themen. Eins aber haben die vier Projekte gemeinsam: Sie stehen exemplarisch für die engagierte, empathische Haltung vieler junger Designer*innen heute. Die Projekte sind noch bis zum 8. Oktober 2023 im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg zu sehen, als Teil der Ausstellung „Dare to Design“. Die Ausstellung wurde von der Initiative German Design Graduates (GDG) organisiert, gezeigt werden insgesamt 47 Abschlussarbeiten von 23 deutschen Hochschulen, darunter alle Finalist*innen und die Preisträger*innen der von den GDG ausgelobten Awards. Die Preise wurden in vier Kategorien vergeben und sind mit je 2.500 Euro dotiert. Die neunköpfige Fachjury aus der Designbranche kürte nicht nur die Gewinner*innen, sondern wählte auch die in der Ausstellung gezeigten Arbeiten aus.

Die Preisträgerin in der Kategorie Nachhaltigkeit & Zirkularität: Leila Wallisser

Der Gegenstand von Leila Wallissers Masterarbeit „Toxic Legacies“ an der Kunsthochschule Weißensee liegt buchstäblich auf der Straße: Zigarettenstummel, oft achtlos weggeworfen, dabei sehr giftig. Wallisser machte sich auf die Suche nach Lösungen, wie sich der Rauchermüll recyceln ließe. Und führte mit nicht ganz ernst gemeinten Produkten wie einer Seife mit Zigarettenasche und mit Tabakresten gefärbten Textilien Strategien des Greenwashing im Recycling vor. Zu der in der Kategorie Nachhaltigkeit und Zirkularität ausgezeichneten Arbeit gehört auch eine multimediale Kampagne, die das Greenwashing humorvoll bis ironisch kritisiert. Der Preis bedeutet Wallisser sehr viel: „Ich habe lange gezweifelt, ob ich mit meinem Projekt tatsächlich genug bewirke in dieser schwierigen Situation, in der wir uns heutzutage befinden“, sagt die Designerin. Die Auszeichnung gebe ihr neue Energie, sich weiterhin für dieses Thema einzusetzen. Das Preisgeld möchte sie in ihr nächstes Projekt investieren.

Leila Wallisser, Foto: Jakob Boerner

Die Preisträgern in der Kategorie Forschung & Transfer: Beatriz Oria Lombardía

In der Kategorie Forschung & Transfer zeichnete die Jury Beatriz Oria Lombardía und ihre Masterarbeit „(non-) local lab“ an der Bauhaus-Universität Weimar aus. Mithilfe von gestalterischen Werkzeugen erforschte Oria Lombardia den Umgang mit invasiven Pflanzen (Neophyten) in Thüringen und schlug einen Perspektivwechsel vor: Statt Gewächse wie den japanischen Staudenknöterich einfach zu entfernen, sollen sie genutzt werden, etwa als Färbemittel oder um Papier herzustellen. Die Masterarbeit hat auch einen partizipativen Anteil, die Designerin gab ihr Wissen in einer Workshop-Reihe weiter. Der GDG Award ist für sie die „Anerkennung für viele Monate harter Arbeit und eine Art Bestätigung, dass ich in dem, was ich studiert habe und von nun an beruflich weitermachen möchte, gut bin“, so Oria Lombardía. Zurzeit erarbeitet sie gemeinsam mit einer Wissenschaftlerin, die zu Neophyten forscht, ein weiteres Workshop-Angebot zum Mitmachen.

Beatriz Oria Lombardía, Foto: Jakob Boerner

Die Preisträgerin in der Kategorie Gesellschaft & Gemeinschaft: Anna Unterstab

Anna Unterstab zeigte sich überrascht, dass ihre Masterarbeit „Bücheria“ ausgezeichnet wurde. Die Preisträgerin in der Kategorie Gesellschaft & Gemeinschaft ist sich nicht sicher gewesen, „ob mein sehr offener, erweiterter Designbegriff in diesem Rahmen auf Anklang stoßen wird, da ich ja kein klassisches Produkt gestaltet habe. Um so mehr freue ich mich über den Preis und verstehe ihn auch als eine Anerkennung für die Arbeit, die von allen Beteiligten in das Projekt geflossen ist und oft unsichtbar bleibt.“ Unterstab hat für ihren Abschluss an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg das Konzept einer feministischen, queeren Stadtteilbibliothek im Hamburger Viertel Wilhelmsburg entwickelt. Bereits seit einem Jahr betreibt sie die Bibliothek auch – ehrenamtlich gemeinsam mit einem Team. Die „Bücheria“ bietet nicht nur Lesestoff: Mit Veranstaltungen wie „Open Mic“-Nächten, Schreibworkshops und Lesungen soll die Nachbarschaft ins Haus geholt werden. Im Moment sind Unterstab und das Team auf der Suche nach weiteren Mitstreiter:innen.

Anna Unterstab, Foto: Jakob Boerner

Die Preisträgerin in der Kategorie Inklusion: Juliane Kühr

Auch Juliane Kühr hat mit ihrer Bachelorarbeit „Vruit“ an der Hochschule der Bildende Künste Saar eine oft marginalisierte gesellschaftliche Gruppe in den Fokus gestellt. Die Designerin hat ein Set von Sextoys für die Eigeninsemination entworfen und medizinische und rechtliche Informationen dazu zusammengestellt. Gerade queere Personen oder Alleinstehende können sich die klinische Befruchtung nicht leisten oder werden davon ausgeschlossen. „Vruit“ soll sie dabei unterstützen, ihren Kinderwunsch selbstbestimmt zu verwirklichen. Bislang ist das Set noch ein Prototyp, aber dank einer Förderung der Hochschule für Wirtschaft und Technik des Saarlandes kann Kühr jetzt weiter an dem Konzept arbeiten und einen zweiten Prototypen entwickeln. „Außerdem plane ich die körperlichen und rechtlichen Themen, über die ‚Vruit‘ informiert, weiter zu vertiefen und diese mit Expert*innen abzustimmen“, so die Designerin. Sie hofft, dass sie durch den GDG Award „einen Dialog über zukunftsfähige Reproduktionstechnik und -rechte sowie über Design und dessen Rolle für eine gerechte und gleichgestellte Gesellschaft“ anstoßen kann.

Juliane Kühr, Foto: Jakob Boerner

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