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Als Lichtplanerin gestaltet Ulrike Brandi Architektur und Stadträume mit Licht – und gehört in diesem Feld zu den prägenden Persönlichkeiten dieses Berufszweigs. Ein Gespräch mit Ulrike Brandi über ihr neues Buch, das Lichtplanung in größere Zusammenhänge stellt.

Interview von Thomas Edelmann

Ulrike Brandi im Gespräch mit Thomas Edelmann in ihrem Hamburger Büro. Bild: Autor

Dein neues Buch heißt „Licht, Natur, Architektur. Ganzheitliche Lichtplanung verstehen und anwenden.“ Worum geht es?

Um das wunderbare und schöne Thema Licht und damit auch den Beruf Lichtplanung. Der steht im Spannungsfeld zwischen vielen verschiedenen Wissenschaften und praktischen Berufen, sodass ich dachte, ich muss sie alle einmal zusammenbringen und zueinander in Beziehung setzen, wie sie in diesen Beruf einfließen.

Was können wir fürs Licht aus der Natur lernen?

Sehr viel! Licht ist ein natürliches Phänomen, das sich aufgrund einiger rudimentärer Randbedingungen verhält. Da gibt es einige wenige physikalische Gesetze, die von Belang sind. Das geht von der Reflexion über die Transmission zur Absorption bis hin zur Lichtbrechung. So interagiert Licht mit verschiedenen Materialien, daraus aber hat die Natur ihren großen Reichtum an verschiedenen Lichtatmosphären und Lichtsituationen entwickelt. Und genau das finde ich spannend. Mit einer sehr reduzierten, man könnte sagen „Toolbox“ einerseits ein Feuerwerk der Attraktionen zu schaffen oder sehr nuancierte, feine Lichtsituationen.

Vor über 20 Jahren erschien dein erstes Buch zur Lichtplanung, ein gewichtiges Fachbuch. Die neueste Publikation kommt klein, kompakt, fast beiläufig daher. Wie kam es dazu, dass dieses Werk so ganz anders wurde?

Bei meinem ersten Buch, das 2000 erschien, habe ich im Grunde auf ein Dilemma reagiert. Da bemerkte ich, dass es Handbücher gab, die dem Elektroingenieur Lichttechnik beibrachten. Für die Lichtplaner, die so wie ich darauf spezialisiert sind, Licht zu entwerfen und damit auch von der Gestaltungsseite kommen, war das ein No-Go. Ein solches Buch legte man schnell wieder weg, sobald es mit den ersten Formeln losging. Dann gab es zu dieser Zeit bereits ein paar prachtvoll aufgemachte Bildbände, die Resultate zeigten. Eine Aneinanderreihung von Fotos, wie das von manchen Architekturpublikationen geläufig ist. Ein fertiges Haus, toll fotografiert. Doch man weiß nicht, wie es weitergeht. Vor allen Dingen weiß man nicht, wie es entstanden ist. Also welche Planungsprozesse und welches Wissen gehören dazu, um zu so einer Lichtplanung zu kommen? Und das war, was mich reizte: Ich wollte die Schönheit eines Prachtbildbandes übernehmen, andererseits aber wollte ich alles technische und physikalische Wissen so zuordnen, dass eben auch junge Leute oder Architekt*innen, die mit Lichtplanern zusammenarbeiten verstehen, was wichtig ist in diesem Planungsprozess. Dazu kommt, dass ich gerne eine Sprache entwickle, in der verschiedene Disziplinen miteinander sprechen können. Lichtplaner*innen stehen zwischen den Ingenieur*innen und den Architekt*innen und sprechen die Sprache der Techniker*innen, zugleich aber auch die Sprache der Gestalter*innen. Das ist eine schöne Schnittstelle.

Auf den ersten Eindruck wirkt das neue Buch stark verdichtet und es erschließt sich leicht. Die zehn Kapitel sind mit vertrauten Begriffen überschrieben. Zugleich sind da unterschiedliche Informationsebenen, visuelle wie textliche. Magst du ein paar der wiederkehrenden Elemente des Buches kurz vorstellen?

Ich habe lange getüftelt, bis ich wusste, wie die Struktur des Buches aussehen wird, nämlich in Form dieser zehn Aspekte. Die Grundstruktur der Kapitel widmet sich Themen, die wir vielleicht auch in Kontexten als wichtig empfinden. Zudem stehen sie alle in Beziehung zueinander. Letztendlich beziehen sie alle sich immer wieder auf Natur. Und jeden der zehn Begriffe habe ich unter verschiedenen Gesichtspunkten beschrieben. Dabei war mir wichtig, diese kleine physikalische Toolbox an den Anfang zu stellen und zu fragen: Sehen wir doch mal was passiert, wenn ein Lichtstrahl auf ein Material fällt? Oder wenn er durch ein Material hindurchfällt? Denn bereits da schulen wir unser Auge in Bezug auf genaue Beobachtung. Das kommt also in jedem dieser Kapitel vor. Gleichzeitig ist mir wichtig, einen zentralen Aspekt jedes Kapitels zu vertiefen. Da es nicht möglich ist, hier das gesamte medizinische und biologische Wissen auszubreiten, konzentriere ich mich jeweils auf einen bestimmten Aspekt, zum Beispiel die Chronobiologie, die für unseren Beruf sehr wichtig ist. Dann versuche ich anhand eines Projektes, nur ganz knapp, mit einem Bild und einer halben Seite Text, darzustellen, wie sich das zuvor dargestellte Thema auswirken kann.

Das finde ich besonders gelungen: Nach ausführlichen thematischen Darstellungen mündet jedes Kapitel in eines deiner Projekte, aber wie du sagst, sehr knapp und präzise charakterisiert. Nachdem man den Kontext erfasst hat, sieht man dieses Projekt vielleicht mit anderen Augen. Wie kam es zu dieser Abfolge?

Die Idee entstand während des Schreibens, im Gespräch mit meinen Lektorinnen bei Birkhäuser und auch hier mit meinen Kolleginnen. Geschrieben habe ich, während ich zugleich an Projekten arbeitete. Nach wie vor halte ich es für wichtig, in der Lichtplanung klare Konzepte zu haben und Themen zu benennen. Nicht, weil ich einem Projekt etwas aufoktroyieren oder nochmal meine eigene Lichtmelodie spielen möchte. Vielmehr besteht ein integrierter Bestandteil eines Architekturprojektes, darin dessen eigene Lichtmelodie oder Stimme des Lichtes zu finden. Das sind subtile Dinge, zumal Licht ja nicht etwas materiell objekthaft Sichtbares ist, sondern eher unterbewusst wahrgenommen und von den meisten gar nicht benannt wird.

Ich würde gern etwas ins Detail gehen: So geht es im Kapitel „Kultur“ um den Halo-Effekt. Da sehen wir, mit einem Foto der Sonne in einem Abendhimmel über einer Gebirgslandschaft dargestellt, ein Phänomen aus der Natur, diese Art Aura oder Heiligenschein der Sonne. Darunter ein weiteres Foto von der Elbphilharmonie. Es ist ein Ausschnitt, der die Decke der Plaza zeigt. Dann erfahren wir, dass es um das Licht und nicht um die Leuchte geht. Ein Standard-Spruch aller Lichtplaner*innen. Wobei die Leuchte, von Herzog & de Meuron gestaltet und von böhmischen Glasbläsern hergestellt, ja eben doch auch sehr charakteristisch ist.

Zuerst erfahren wir, was der Halo-Effekt der Lichtbrechung in der Atmosphäre ist. Dann gibt es zwei Zitate. Üblicherweise stammen solche Zitate fast immer von Männern. Hier sind es überwiegend, aber nicht ausschließlich Frauen, die zu Wort kommen. So die Architektin Anu Puustinen aus Finnland, die vom „Alleinsein mit der Natur“, spricht. In einem weiteren Zitat erinnert sich Zaha Hadid an die „Schönheit der Landschaft, wo Sand, Wasser, Schilf, Vögel, Gebäude und Menschen irgendwie zusammenflossen“, eine Beobachtung, die sie „nie verlassen“ habe. Auf den nächsten Seiten werden Lichtvorlieben in unterschiedlichen Kulturen dargestellt. Wo das Layout, eben noch luftig wirkt, ist es nun sehr verdichtet. Du kannst es sicher besser beschreiben…

Nein, das ist eine gute Zusammenfassung!

Es folgt eine Darstellung des Tageslichts als Mittel „Rückversicherung über die Zeit“, als literarisches Einsprengsel folgt ein Abschnitt aus einem Roman von Juli Zeh. Und beim Thema des „ortsspezifischen Lichts“ beziehst du dich auf Maler*innen der Niederländischen Schule während des Goldenen Zeitalters, wie sie im Dokumentarfilm „Dutch Light“ dargestellt wurden. Auf diese eher feuilletonistische Eröffnung folgen praktische Tipps für Lichtplaner*innen „Den Ort achten und auf die Nutzer*innen hören – Tipps zur Konzeptentwicklung“. Also wird es dann auch pragmatisch. Nur sind das jetzt nicht Ratschläge, „so und nicht anders habt ihr es zu machen“, sondern Hilfen zum Nachdenken, würde ich das nennen…

… oder zum Fragenstellen!

Ja, und schließlich geht es um Planungsvoraussetzungen für Bürogebäude. Gegenübergestellt finden sich da Vorgaben nach DIN und Empfehlungen von Ulrike Brandi. Was hat es damit auf sich?

Die Normen oder die EU-Standards werden von vielen Planern als Fesseln betrachtet, insbesondere wenn es darum geht, etwa Mindestbeleuchtungsstärken einzuhalten. An manchen Stellen sagen wir: Lasst uns die Standards dadurch einhalten, dass wir unterschiedliche Lichtquellen miteinander kombinieren. In einer Eingangshalle empfinde ich die Vorgaben der Standards als zu niedrig. Da komme ich aus dem hellen Sonnenlicht in einen Raum hinein und muss merken: Ich bin hier willkommen und es ist hell und das Licht empfängt mich.

Abschließend werden im Kapitel „Kultur“ die „Differenzierten Lichtabsichten“, wie du sie auf der Plaza der Elbphilharmonie realisieren konntest, dargestellt. Das ist der Bereich zwischen den Foyers der Konzerthalle und der Aussichtsplattform, der sein eigenes Licht erhielt. Was ist die Besonderheit?

Generell ging es darum, was dieser Raum mit seiner geschwungenen Decke vermittelt, die sich ja zum Tageslicht öffnet. Was vermittelt er in Bezug aufs Licht? Die Halo-Ringe dort sind aus unterschiedlichen Gründen entstanden. Zum einen ist da die Erinnerung an das Naturphänomen. Unser großes Ziel war, die Decke aufzuhellen. Wenn ich aber nur nach unten strahle, auf den roten Backsteinboden, dann wirkt die weiße Decke plötzlich rosa. Und das empfand ich als kitschig und dem Gebäude nicht angemessen. Auch war es nicht das, was sich die Architekt*innen für diesen Ort vorstellten. Und daher kam der Gedanke an die reflektierenden Ringe. Die Lichtkugeln sind sehr raffiniert und bringen das Licht wieder zurück an die Decke. Zudem bewirkt der silberne Ring um die Leuchte, der das Licht zurück reflektiert, dass ich eine gute Entblendung habe. Denn man möchte ja nicht in die hellen LEDs oben in der Decke hineinschauen. Bei der Plaza ist letztlich die Bewegung wichtig, die wir Menschen machen. Das Licht wirkt als inspirierende Geste: Du bist hier, jetzt geh‘ hinaus auf diesen Umgang und schau in die Nacht oder auch an den Tageshimmel und genieße diese wunderbare Aussichtsituation in der Stadt!

Wir haben es bereits angesprochen: In deinem Buch erfährt man Grundsätzliches übers Sehen, über physikalische Gesetze, über menschengemachte Normen. Für wen hast du es geschrieben? Wer sind die Adressat*innen?

Am liebsten alle, die sich für Architektur oder für das Thema Licht interessieren. Tatsächlich adressiert es die Fachleute, die über praktisches und theoretisches Wissen hinaus ihre Arbeit einordnen möchten. Es ist für alle am Bau beteiligten Fachleute, Architekt*innen, Bauherr*innen und alle Fachingenieur*innen, mit denen ich zusammenarbeite. Es wendet sich aber auch an all jene, die ein großes gesellschaftliches Interesse am Thema Nachhaltigkeit haben, das so sehr strapaziert ist. In dem Buch versuche ich, damit genauer umzugehen. Dazu gehört, dass sehr viele Aspekte da hineingehören. Und es ist geschrieben für jene, die ein bisschen blättern und schwelgen wollen, in einem Buch zu dem schönen Thema Licht. Ich habe es bewusst so konzipiert, dass man es nicht von vorne bis hinten durchlesen muss, sondern dass man mal hier und mal da schauen kann. Und entsprechend sind die Rückmeldungen, die ich erhielt. Das macht Spaß.

Die meisten Projekte, die hier vorgestellt werden, beziehen sich auf öffentliche Räume oder sind, wie die Einsatzzentrale einer Feuerwehr, im weitesten Sinne am Gemeinwohl orientiert. Was hat es damit auf sich?

Ich habe schon immer einen hohen sozialen Anspruch. Es macht mir am meisten Spaß und ist auch der Sinn meines Lebens, dazu beizutragen, dass alle Menschen gemeinsam eine schöne Umgebung haben, dass wir unter gerechteren Verhältnissen leben, als wir das im Moment tun und vielleicht auch Räume haben, in denen wir uns wohlfühlen, uns sowohl entspannen können als auch tolle, freudige gemeinsame Situationen erleben können. Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen feierlich, aber ich habe einen sozialen und auch einen politischen Anspruch und kann dem in meiner Arbeit tatsächlich nachgehen.

Vor ein paar Jahrzehnten musste man erklären, wozu Lichtplanung gebraucht wird. Du hast diese Mittlerposition zwischen Technik und Gestaltung beschrieben. Der Anspruch des Gestaltens mit Licht war etwas Neues. Ist das heute selbstverständlicher geworden? Ist dieses Buch der Versuch, uns allen Lichtplanung auf neue Weise nahezubringen?

Inzwischen ist vieles selbstverständlicher, aber Lichtplanung ist ja eine Spezialisierung. Die Kompetenz für gutes Licht in einem Gebäude lag ursprünglich bei den Architekt*innen. Die haben die Fenster und Tageslichtöffnungen geplant und dann für wunderschöne Belichtungen in Gebäuden gesorgt. Mit dem Aufkommen des elektrischen Lichts war plötzlich eine andere Profession zuständig für das künstliche Licht. Das war ein gravierenderer Einschnitt in die Architektur, als wir üblicherweise annehmen. Auf die Elektroingenieur*innen folgten die Lichtplaner*innen, weil man dann bemerkte, dass Ingenieur*innen nach Zahlen schauen und Rasterleuchten an die Decke metern. Das will keiner mehr. Wir brauchten wieder jemanden, der neben den Zahlen die gestalterische Seite im Blick hat. Ich möchte wieder Lust wecken, sich zu engagieren. Das bedeutet Zeit und Geld zu investieren, damit wir mit all unserem Wissen als Spezialisten zusammenkommen, um gemeinsam zu agieren. Für die Planung von Kunstlicht sind Lichtplaner*innen selbstverständlicher geworden. Dass sie auch für Tageslicht kompetent sind, ist erst sehr rudimentär in den Köpfen. Das empfinde ich als großes Manko. Denn Tageslichtplanung sollte bereits ganz zu Beginn eines Architekturentwurfs dabei sein, um wirksam zu werden.

Ein anderer Punkt ist, dass wir heute sehr auf Energieeffizienz von Gebäuden achten und unsere Gebäudehüllen so verändern, dass wir nur noch an Wärme, Kälte und Isolierung denken und nicht mehr daran, wie viel Tageslicht eigentlich in die Gebäude hineinkommt. Das ist etwas, was Lichtplaner vermeiden. Durch mein Buch möchte ich aufrütteln. Denn wir brauchen auch in diesem Punkt eine ganzheitliche Betrachtung.

Ulrike Brandi: Licht – Natur – Architektur –

Ganzheitliche Lichtplanung verstehen und anwenden.

Verlag: Birkhäuser, Basel 2023, 159 Seiten

ISBN 978-3-0356-2408-2 (deutschsprachige Printausgabe), 52,00 Euro

e-ISBN (PDF) 978-3-0356-2417-5 (deutschsprachiges E-Book), 52,00 Euro

ISBN 978-3-0356-2415-1 (englischsprachige Printausgabe), 52,00 Euro


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