Wie gehen wir in Zukunft verantwortungsvoll mit Ressourcen um? Welchen Beitrag kann visionäres Design dabei leisten? Mit diesen Fragestellungen beschäftigen sich immer mehr Start-ups, Nachwuchsdesignerinnen und -designer sowie Produktentwicklerinnen und -entwickler weltweit und entwickeln nachhaltige Materialien.
von hicklvesting.
Unter Verwendung neuartiger Materialien mit intelligenten, zum Teil schadstoffbindenden Eigenschaften, entstehen immer mehr Alternativen zu herkömmlichen Herstellungsprozessen. Mit neuen Entwicklungsansätzen und Produktionsweisen adressieren sie vor allem große Hersteller: Seien es biologisch abbaubare, kompostierbare oder kreislauffähige Produkte – es ist Zeit, bisherige Vorgehensweisen infrage zu stellen und in innovative Lösungen zu investieren! Wir sind einigen Materialentwicklungen nachgegangen.
#Pflanzenkohle
Beim Nachwuchswettbewerb „ein&zwanzig“ des Rat für Formgebung haben Massimo Scheidegger und Nora Giuliana Iannone das Pflanzgefäß „Future Artifact – Charby“ vorgestellt. Indem sie Pflanzenkohle in den Fasergussprozess integrieren, entsteht ein leichtes, einfach zu produzierendes Material, das ideale Nährstoffbedingungen schafft. Die eingesetzte Pflanzenkohle ist in der Lage, das Hundertfache der CO2-Masse des Fassungsvermögens zu speichern – ein inspirierendes Beispiel dafür, wie einfach CO2 für viele Generationen konserviert werden kann. Bei Bio- oder Pflanzenkohle handelt es sich um eine kohlenstoffreiche Substanz, die bei der Verbrennung von Biomasse ohne Sauerstoff entsteht und verhindert, dass Kohlenstoff als CO2 entweicht. Im Unterschied zu herkömmlichen Materialien wird diese nicht nur kreislaufgerecht hergestellt, sie lässt sich in bestehende Fertigungsprozesse einbinden und erfordert auch bei der Wiederverwendung keine neuen, aufwendigen Verfahren.
Zu den großen Verursachern von Treibhausgasemissionen gehört die Modebranche, die Schätzungen zufolge für 10 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich ist. Das ist laut dem Europäischen Parlament mehr, als internationale Flüge und Seeschifffahrt zusammen verursachen. Die Appelle an neue ökologische und soziale Standards in der Produktion von Textilien nehmen damit stetig zu. Dementsprechend wächst in Unternehmen auch das Spektrum an Entwicklungsprozessen, die von der Aufbereitung von Abfallprodukten, der Implementierung neuer technologischer Prozessschritte bis zum Einsatz moderner Wasser-Rückkühler und der Inbetriebnahme eigener Kläranlagen reichen.
Jüngst sorgte das kalifornische Start-up Rubi Laboratories für Aufmerksamkeit, indem es behauptete, Kohlendioxid in umweltfreundliche Zellulosetextilien verwandeln zu können. Mit kohlenstoffnegativen Zellulosetextilien soll es gelingen, einen umweltfreundlichen Viskoseersatz herzustellen, der CO2 aus der Atmosphäre bindet. Die entstehenden Stoffe sollen kohlenstoffnegativ, wasserneutral und biologisch abbaubar sein. Ob das Syntheseverfahren tatsächlich die Modeindustrie revolutionieren und wie die Firma verspricht, eine Lösung für die immense CO2-Belastung des Planeten sein kann, wird sich zeigen.
#Myzel
Das Biomaterial Myzel ist ein weiterer Grundstoff der Zukunft, der vom Wurzelsystem der Pilze gebildet wird. Es ernährt sich von landwirtschaftlichen Abfällen und bindet den Kohlenstoff, der in der Biomasse enthalten ist. Ein Londoner Start-up arbeitet mit Myzel, um Gebäude zu dämmen – mit willkommenem Nebeneffekt: Es ist von Natur aus schwer entflammbar. Das Biomaterial ist schnell wachsend und kann kostengünstig produziert werden. Verpackungen, Lampen, lederähnliche Produkte und Accessoires können aus diesem ‚smarten‘ Grundstoff entwickelt werden. Die diesjährige „einundzwanzig“ Award-Winner Emilie Burfeind präsentiert mit „Sneature„, einem Wortspiel aus „Sneaker“ und „Nature“, einen biologisch abbaubaren Turnschuh mit einer Sohle aus Pilzmyzel. Ihr Entwurf trägt der Tatsache Rechnung, dass ein beträchtlicher Anteil der weltweiten Emissionen durch die Bekleidungsindustrie verursacht wird. Die kurze Lebensdauer dieser Produkte verstärken deren negative Bilanz. „Sneature“ ist das Ergebnis eines ausgefeilten Upcycling-Prozesses von Abfallmaterialien. Der Turnschuh besteht aus einer Chiengora -Membran – der ausgekämmten Unterwolle langhaariger Hunde -, einem Übergangsbereich aus Naturkautschuk und einer Sohle aus Pilzmyzel.
#Bananenfaser
Dass sich Bananenpflanzen als Alternative für synthetische Fasern eignen, konnte bereits der Schweizer Hersteller Qwstion unter Beweis stellen. Er fertigt Taschen, Rucksäcke und Accessoires aus dem robusten, wasserabweisenden Material, das aus nachhaltiger Land- und Forstwirtschaft gewonnen wird. Mit der Leuchte „Nuclée“ verweisen Dorian Étienne und Cordélia Faure von der diesjährigen „ein&zwanzig“-Shortlist neben den funktionalen Eigenschaften auch auf eine besondere Ästhetik der Bananenpflanze. Gleichzeitig verdeutlichen sie, dass das Naturmaterial nur in der westlichen Welt ein neuartiger Werkstoff zu sein scheint. An der Ostküste Taiwans lernten die beiden Designer vom Volksstamm der Kavalan, der Bestandteile der Bananenstaude für die traditionelle Herstellung von Kleidung nutzt, Wissenswertes über die vielseitigen Pflanzen. Die französischen Gestalter entdeckten die besondere Ästhetik des Fruchtfleisches, das häufig als Produktionsüberschuss ungenutzt blieb. Im Licht offenbart das Naturmaterial mit seinen Gewebestrukturen eine faszinierende Grafik. So entstand im interkulturellen Austausch eine spezielle Veredelungstechnik, die das Pflanzengewebe stabilisiert und vielseitig einsetzbar macht.
#Holz
Holz zählt zu den wichtigsten kohlenstoffnegativen Materialien, solange es aus kontrollierten Quellen stammt und durch Aufforstung für Nachwuchs gesorgt wird. Ein ausgewachsener Baum kann der Atmosphäre im Laufe eines Jahres 22 Kilogramm CO2 entziehen. Die Umweltbelastung liegt in der Regel beim Transport und der Verarbeitung. Insbesondere die Abfallmenge, die in der Holzindustrie problematisch ist, stellt die Branche vor große Herausforderungen. Wie können Verschnitt und Sägemehl intelligent dem Kreislauf wieder zugefügt werden? Zukunftsorientierte Unternehmen verarbeiten bereits Holzabfälle in wertvolle Biokohle. Bei Matthias Josef Gschwendtners Stuhl „NEW SOURCES“ haben Restmaterialien der Holzindustrie ihren großen Auftritt. Für die Fertigung setzt der Winner des „ein&zwanzig“-Awards auf einen eigens entwickelten Prozess, der 3D-Scan, Computational Design und roboterbasierte Fertigung vereint, und so die nachhaltige Herstellung von Holzobjekten ermöglicht. Dank eines speziellen Algorithmus können Äste gescannt und auch unregelmäßig geformte Materialien an einer passenden Stelle eingesetzt werden. Individuell geformte Elemente machen jedes Objekt zum Einzelstück. Die besondere Ästhetik des Stuhls tritt durch die Kombination der unterschiedlichen Oberflächenstrukturen hervor: Präzise gefräste Flächen treffen auf Äste mit grober Birkenrinde und bilden so eine Schnittstelle zwischen Natur und Technologie.
Die genannten Projekte verdeutlichen die Relevanz der drei „R“s in der Abfallvermeidungshierarchie: Reduce, Reuse, Recycle. Mit ihren innovativen Ansätzen formulieren die jungen Designerinnen und Designer, Produktentwicklerinnen und -entwickler und Start-ups Denkanstöße, Lösungsvorschläge und Handlungsaufforderungen für alle Akteure im Markt. Nur gemeinsam kann die notwendige Dynamik mit veritablen Effekten für eine Verbesserung unserer Umweltbilanz entstehen.
Newcomer-Award ein&zwanzig 2022
Die 21 Winner des international ausgerichteten Nachwuchswettbewerbs ein&zwanzig stehen fest. Mit Neugier, Forschergeist und einem profunden Verständnis für intelligente Problemlösungen verbinden die jungen Talente Ästhetik und Nutzwert auf eindrucksvolle Weise.
Die 21 Winner werden vom 6. bis zum 12. Juni 2022 anlässlich der 60. Edition des Salone del Mobile in der Officina 3, Via Tortona 31 in Mailandpräsentiert. Die begehrte »Best of Best«- Auszeichnung wird am 6. Juni 2022 verliehen. Auch die Gewinnerinnen und Gewinner des letztjährigen Nachwuchswettbewerbs werden anwesend sein.
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