Das Erscheinungsbild für die 33. Olympischen und Paralympischen Sommerspiele in Paris setzt auf republikanische Ideale, historische Bedeutung und gestalterische Eleganz. Auch bei den Piktogrammen für die einzelnen Sportarten geht man eigene Wege.
Von Thomas Wagner
Der erste Wettbewerb bei Olympischen Spielen findet im visuellen Bereich statt. Ein Mega-Event wie eine Olympiade muss als Marke global auf allen möglichen Medienkanälen sichtbar, vor allem aber auf einen Blick wiedererkennbar sein. Logo, Maskottchen sowie ein charakteristischer „Look“ sollen alle, die zuschauen oder mitmachen, auf das Kommende hinweisen und während der Spiele begleiten. Auch Wettkampfstätten, Athletendorf und viele andere Orte müssen gekennzeichnet werden. Die gerade vorgestellte visuelle Identität der Spiele 2024, so heißt es von offizieller Seite, verleihe der Veranstaltung einen feierlichen Rahmen und verkörpere den Geist der Spiele in Paris. Das Erscheinungsbild „kombiniere französische Eleganz mit kräftigen Farben“ – eine „kühne neue Ästhetik“ gepaart mit „der reichen Symbolik der gepflasterten Straßen, die in Frankreichs Stadtlandschaften zu finden sind“. (Logo und Maskottchen waren bereits im Herbst 2019 vorgestellt worden.)
Ein olympisch-republikanisches Logo
Das Logo von Paris 2024 vereint drei symbolische Elemente: eine Medaille, die olympische Flamme und eine „Marianne“, die Freiheit und Republik verkörpert. Gemeinsam formen sie – auf abstrakte Weise – „das Gesicht“ der Spiele, die es sich auf die Fahnen geschrieben haben, allen und insbesondere Frauen offen zu stehen: „Games Wide Open“. Als erste Veranstaltung in der Geschichte der Olympischen Spiele wolle man ein Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern erreichen – und damit auch einen Bogen schlagen zu den Frauen, die im Jahr 1900 in Paris zum ersten Mal an Olympischen Spielen teilnehmen konnten. Ein weiteres Novum: Im Sinne eines gelebten Stücks Inklusion, aber auch um Kosten und Umweltbelastung zu reduzieren, hat man sich für ein gemeinsames Erscheinungsbild für die Olympischen und die Paralympischen Spiele entschieden, mit nur minimalen Änderungen zwischen beiden. (Auch bestimmte olympische Piktogramme werden durch paralympische ersetzt.)
Ein Maskottchen im Geist der Revolution
Im Laufe der Geschichte der Olympiade waren es oft (mehr oder weniger stilisierte) Tiere, die das Gastgeberland verkörperten. Anders in Paris. Hier verkörpern die Maskottchen in Form einer phrygischen Mütze ein republikanisches Ideal, indem sie auf ein historisches, allen Franzosen wohlbekanntes Freiheitssymbol verweisen. Es waren die Jakobiner, die während der Französischen Revolution die phrygische Mütze als „Freiheitsmütze“ und Ausdruck ihres politischen Bekenntnisses trugen. Auch die französische Symbolfigur Marianne wird oft mit einer Jakobinermütze dargestellt. Die Maskottchen, die Phryges, sind denn auch zwei (putzig wirkende) phrygische Mützen, die offenbar die Revolution des Sports vorantreiben. Die sympathische rote Mütze gibt es – mit unterschiedlichen Füßen – mal als olympisches und mal als paralympisches Maskottchen.
Auf und unter dem Pflaster
Zu Logo und Maskottchen hinzugekommen sind nun – als Organisationsprinzip und visuelles Raster – die „berühmten gepflasterten Straßen von Paris“. Sie bilden den „Mittelpunkt der visuellen Gestaltung der Olympischen Spiele 2024“. (Ob man dabei auch an den Pariser Mai ’68 gedacht hat, als die Steine flogen und unter dem Pflaster der Stand lag?) Jedenfalls können die „Pflastersteine“ in abstrahierter Form grafisch „beliebig zusammengesetzt und angepasst werden“, um „das materielle und immaterielle Erbe Frankreichs darzustellen“. Dafür wurden sie mit drei verschiedenen Arten von Symbolen versehen: Bildern des Sports, emblematischen Orten oder einer Hommage an die französische Lebensart. Die Quadrate der „Pflastersteine“, halbe und volle Kreise, Dreiecke und Streifen bilden ein abwechslungsreiches, von verschiedenen Farben zusätzlich belebtes Muster. „Die Spiele sind für ganz Frankreich und überall im Land sind Pflastersteine auf den Straßen zu sehen“, so Julie Matikhine, Chief Brand Officer von Paris 2024. „Die Pflastersteine sind immer dabei, egal ob man beim Veranstaltungsort dabei ist oder feiert, während man die Farben der Olympischen Spiele Paris 2024 trägt.“ Der neue Look (von dem nicht bekannt ist, wer ihn entwickelt hat), so heißt es, erwache „in bunten Farben zum Leben“. Blau, Rot, Grün und Violett sollten (etwas pastellfarben abgetönt) nicht weniger als „die Fülle und Vielfältigkeit Frankreichs repräsentieren“.
Piktogramme als Ehrenabzeichen
Piktogramme für einzelne Sportarten wurden erstmals 1964 bei den Olympischen Spielen von Tokio vorgestellt. Hierzulande sicher am bekanntesten sind die von Otl Aicher 1972 für die Spiele in München entworfenen Zeichen. Piktogramme vermitteln Informationen mittels bildhafter Symbole – und sind damit nicht nur abhängig von der Zeit, in der sie entstehen, sondern auch von den Medien, in denen sie zirkulieren. Besonders deutlich lässt sich das erkennen, wenn man Aichers dynamisch-geradlinige Bildzeichen mit den geschwungenen und in sich verschlungenen, entfernt an chinesische Schriftzeichen erinnernden Piktogrammen der Spiele von Peking 2008 vergleicht.
Mit französischem Touch
Auch die 62 Sportpiktogramme, die für die Pariser Spiele entworfen wurden, beschwören gewissermaßen eine kulturelle Tradition. Entworfen wurden sie als „Ehrenabzeichen“, das die Zugehörigkeit der Athlet*innen zu den jeweiligen Sportarten symbolisieren soll, in denen sie antreten. Jedes Piktogramm basiert auf einer quadratischen Grundfläche und besteht aus drei grafischen Elementen: einer Symmetrieachse, der Darstellung des Spielfelds bzw. der Umgebung, und einem Merkmal der jeweiligen Sportart. Um originell zu sein, huldigen sie auf ganz eigene Weise dem Zeitgeist. Toni Estangu, Präsident des Organisationskomitees von Paris 2024, spricht nicht umsonst von Piktogrammen mit „französischem Touch“.
In der Tat entfalten die Piktogramme eine ganz eigene visuelle Sprache. Ein Piktogramm als „Ehrenzeichen“ in Form eines Wappens oder Schildes aufzufassen, ist originell. Dass bei der Ausführung (aufgrund des symmetrischen Aufbaus und der gekreuzten Diagonalen) das Dekorative die beschreibende Funktion überstrahlt, lässt Kunst und Sport näher zusammenrücken, erschwert aber das Verständnis. Einzelne Disziplinen zu erkennen, fällt oft schwer. Als Tribut an erweiterte mediale Möglichkeiten sind die Piktogramme nicht nur in schlichtem Schwarzweiß, in monochromen sowie vielfarbigen Darstellungen vorgesehen, sondern auch als Animation und bewegtes Bild.
Esprit statt Funktionalität
Dem gesamten visuellen Auftritt der Spiele in Paris eine Spur französischen Esprit zu verleihen, ist durchaus gelungen. Die Idee, das Erscheinungsbild gerade nicht sachlich neutral, sondern kulturell gesättigt anzulegen, zeugt vom Selbstbewusstsein der französischen Kultur, die sich stolz behauptet, statt sich visuell einer globalen Einheitssprache anzupassen. Es passt zudem in die Zeit, auf Identifikation und Zugehörigkeit zu setzen und das Gefühl von Gemeinsamkeit zu stärken. Auch deshalb baut die Grafik auf spielerische Elemente und frische Farben, statt auf nüchterne Funktionalität. Wie sich Offenheit und Fröhlichkeit, Historizität und Eleganz zeitgemäß verbinden lassen, lässt sich vor allem an der Schrift ablesen. Der eigens entwickelte Corporate Font „Paris 2024“ atmet den Geist von Art Nouveau und Art déco und übersetzt Elemente von deren Formensprache ins 21. Jahrhundert. In der Kraft der Vergangenheit steckt nicht selten der Mut zur Zukunft.
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