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„Made in Italy“ steht seit jeher für kompromisslosen Qualitätsanspruch gepaart mit extravaganter Innovationskraft, die dennoch in Tradition und kulturellem Erbe verankert bleibt. Das Buch „Textildesign aus Italien – Farben, Muster Mode“ von Vittorio Lanfante und Massimo Zanella erzählt von der Lebendigkeit und dem Facettenreichtum italienischen Textildesigns – ob für Mode oder Möbel.

Rezension von Silke Bücker

„Textildesign aus Italien“ ist eine Zeitreise durch Farben, Muster und Formen, die eindrucksvoll den hohen künstlerischen Anspruch der Italiener gepaart mit ihrer Vorliebe für hochwertige Materialien wie Seide, Kaschmir oder Wolle zeigt. Deutlich wird auch der Einfluss der regionalen Vielfalt des Landes, die zu der unverwechselbaren Ästhetik und Eleganz führt, für die der italienische Stil weltweit geschätzt wird. Hervorgehoben wird auch die Bedeutung textiler Dekore als Kommunikationsmittel und Seismographen des Zeitgeistes. Den Auftakt des opulenten Bandes bildet ein Essay von Valerio Terraroli, der erläutert, wie die Wertigkeit einfacher textiler Gewebe durch die kontinuierliche Entwicklung zunächst handwerklicher, später industrieller Drucktechniken sukzessive auf ein neues Niveau gehoben werden konnte. Im Anschluss daran führen die beiden Autoren, der Art Director, Textildesigner und Professor für Modedesign Vittorio Linfante und der Kunsthistoriker Massimo Zanella, anschaulich durch die wechselvolle, jedoch stets von Fortschritt geprägte Geschichte des modernen Textildrucks von 1900 bis heute. Ausgehend von den verschiedenen Gestaltungsweisen – von händisch aufgebrachter Farbe über Block-, Walz-, Sieb- und Thermotransfer- bis hin zum Digitaldruck – nehmen sie die Leserinnen und Leser mit auf eine opulente und fesselnde Bilderreise, die den Einfluss von Geschmack, kulturellen, politischen und soziologischen Impulsen sowie der Experimentierfreunde und dem Faible für Extravaganz, lebendig illustriert.

Decorattivo! – Innovatives Textildesign aus Italien
Links: ‚Versus‘ von Gianni Versace, Kleid, 90er, Bedruckter Samt. | Rechts: Gianni Versace Tailleur, Herbst/Winter Kollektion 1991, Bedruckter Wollkrepp Massa Lombarda (Ravenna), Archiv Mazzini | Foto: Alessandro Dealberto
Decorattivo! – Innovatives Textildesign aus Italien
Links: Enrico Coveri, Daunenjacke, 1980er Jahre. | Rechts: Massa Lombarda, Bedruckte Baumwolle, Kleid, Frühjahr/Sommer 1986.
Textildesign ‚Botanica‘, Frühjahr/Sommer 2022, Design von Gentile Catone, eine Marke von Francesco Gentile und Chiara Catone | Credit: Gentile Catone, Pescara Italien.
Textildesign, ‚Zambia‘ 1982, Design von Nathalie du Pasquier, hergestellt von Memphis S.r.l., Mui Mui Kollektion 2006.

Designs mit Kultstatus

So wird beispielsweise dargestellt, wie die klare Formensprache des Art Déco die blumige und üppige Verspieltheit des Jugendstils ablöste, wie der Maler Giacomo Balla in den 1920er Jahren einen provokanten Futurismus propagierte, der ins Textile einfloss, oder die aus Como stammende Designerin und Malerin Carla Badiali in den 1950er Jahren ikonische Stoffe für Hubert de Givenchy gestaltete. Ohnehin wurde die Mode- und Textilbranche im Italien der Nachkriegszeit zum Impulsgeber der industriellen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung und diente somit vielen Kreativen als Spielwiese. 

Jetset-Chic à la Capri und Portofino

Einer der bekanntesten war Emilio Pucci, der sich zu einer Zeit einen Namen machte als die sogenannten Boutique-Kollektionen populär wurden. In den 1960er Jahren propagierte Pucci den Jetset-Chic, basierend auf dem Mythos von Capri und Portofino: simple, aber dennoch raffiniert geschnittene Kleidungsstücke, die sich durch eine große Vielfalt an Materialien, Farben und vor allem Mustern auszeichneten. Ein Geniestreich gelang dem Maler, Illustrator und Bühnenbildner Vittorio Accornero, der 1966 das ikonische Gucci Design „Flora“ lancierte, eine Hommage an Botticellis „La Primavera“, komponiert aus naturgetreuen Blumen- und Pflanzenarten sowie Schlangen und Insekten – in insgesamt 37 Farben auf weißem Grund. Eben dieses wurde vom historienbesessenen Alessandro Michele in einer Cruise-Kollektion aus dem Jahr 2017 reanimiert, was einmal mehr die modehistorische Bedeutung des Dekors unterstreicht. 

Abbildung aus dem Buch „Textildesign aus Italien – Farben, Muster, Mode“, Verlag Hatje Cantz, Berlin 2023

Kreative als Motor der Wirtschaft

Schritt für Schritt führen die Autoren durch den kreativen Wandel der Zeiten, hinein in die 1970er Jahre, als der Florentiner Elio Fiorucci Einflüsse der sich transformierenden Popkultur in ironischer Manier auf Textil brachte. Dabei bediente er sich bereits vorhandener Zitate aus Pop-Art und Comic-Ästhetik und fand darin einen neuen Remix, den er humorvoll und plakativ auf Kleidung inszenierte, die zunehmend zum Produkt avancierte. Im Wirtschaftsboom der 1980er Jahre wurde die Zusammenarbeit von Unternehmen mit Designerinnen und Designern dann zur festen Instanz einer international agierenden, italienischen Kreativwerkstatt. Die Ära von „höher, schneller, weiter“ prägten auch Marken wie Fendi, Salvatore Ferragamo oder Roberto Cavalli, der exzentrische und aus heutiger Sicht verschwenderische Grenzgänge unternahm, indem er Patchworks aus Leder, Denim, Strick und Pelz mit verschiedenen Druck- und Veredelungstechniken oder Handmalereien dekorierte, was zu einem neuen Umgang mit Materialien und Gestaltungsmöglichkeiten führte. 

Nach hinten schauen, um nach vorne zu gehen

Auf das „More is more“ folgte der Minimalismus der Neunziger und brachte eine gewisse Beruhigung mit sich, die zu Reflexion und Analyse der Textilgeschichte einlud. Das Archiv wurde zur Quelle des Designs. Prada oder Marni etwa bezogen sich stilistisch auf die Tradition ihrer Häuser, kokettierten dabei gern mit dem Banalen und machten aus Stoffen für den Hausgebrauch oder aus Arbeitsbekleidung Luxusprodukte. Zur Jahrtausendwende, im Zuge rasant voranschreitender Möglichkeiten und beflügelt von der Dynamik der Digitalisierung erlebten die Ausdrucksformen von bedruckten Oberflächen abermals eine Renaissance. Marken wie Antonio Marras oder Pardsen’s etablierten eine unverkennbare Bildsprache. Marras greift Motive und Symbole aus sardischem Brauchtum auf und transferiert sie in die Gegenwart, während Parden’s von Apulien inspiriert ist. Progressive Brands jüngeren Datums wie MSGM, Sunnei, IUTER oder Octopus mixen unterschiedliche, oft konträre Einflüsse und suchen Anleihen in der italienischen Street-Art- und der Subkulturszene. 

Abschließend dokumentiert das Buch die heutige Bedeutung der Modearchive etablierter Designhäuser und hängt dies allen voran an Alessandro Michele auf, der in seiner Amtszeit von 2015 bis 2022 die textile und visuelle Historie des Hauses Gucci regelrecht sezierte und schillernd-schräge Visionen schuf, die zwischen Vergangenheit und Zukunft oszillierten und ihm neben seinem Kultstatus den Beinamen „Archäologe der Mode“ einbrachten. Weiter berichtet das Kapitel davon, wie eine bewusste Rückwärtsgewandtheit bei gleichzeitiger Notwendigkeit zur steten Innovation und Erneuerung die letzten 20 Jahre der Mode dominierte, insbesondere im hart umkämpften Luxussegment.

Informativ und eindrucksvoll bebildert

Ob die Wechselhaftigkeit und der Wandel in der Entwicklung des Textildesigns analog zur Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft skizziert werden, die Fortschritte in der Technik sowie eine Fülle von Namen und Informationen machen das Buch zu einem relevanten Nachschlagewerk für Design- und Mode-Interessierte. Als besonders eindrücklich erweist sich die minutiös recherchierte Bebilderung, die den überwiegenden Teil der Seiten füllt und ganz wunderbar die Exzellenz italienischer Designkonzepte aufzeigt. Hinter den Erwartungen zurück bleibt die Werkschau beim Thema Nachhaltigkeit. Nur rudimentär wird auf umwelt- und sozialverträgliche Ansätze von Textilgestaltungstechniken verwiesen, wie etwa das Färben mit natürlichen Mitteln oder ressourcenschonende Print- und Veredelungsverfahren, wie sie aktuell von sich reden machen. Auch die Kritik an herkömmlichen, tendenziell unökonomischen Techniken und einem übertriebenen Einsatz von Ressourcen und Chemikalien kommt zu kurz. Alles in allem jedoch ist „Textildesign aus Italien“ ein empfehlenswertes und vor allem ästhetisch ansprechendes Werk, das sich vom Status des kurzweiligen „Coffee Table Books“ souverän emanzipiert.

Textildesign aus Italien – Farben, Muster, Mode

Hrsg. v. Vittorio Linfante und Massimo Zanella
Vorwort von Valerio Terraroli
Texte von Stefania Cretella, Cristina Maria Da Roit, Chiara Pompa
geb., 224 S., 500 Abb., 
Verlag Hatje Cantz, Berlin 2023
ISBN: 978-3-7757-5499-6
48,00 Euro


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