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BMW integriert das ursprünglich analoge Zeit-Kunstobjekt QLOCKTWO als digitales Widget in die Displays seiner Fahrzeuge. Kann das gut gehen? Eine Betrachtung.

Von Oliver Herwig

Mit dem digitalen QLOCKTWO Widget in den Fahrzeugen von BMW verschmelzen Interior Design und Mobilitätswelt © QLOCKTWO

To see a World in a Grain of Sand

And a Heaven in a Wild Flower,

Hold Infinity in the palm of your hand

And Eternity in an hour.

― William Blake, Auguries of Innocence

Es ist vier Uhr, als Heiko Goeing den Teams-Call startet. Der Ingenieur verantwortet bei BMW die Entwicklung des digitalen Produktangebots und erklärt etwas Ungewöhnliches: Wie es dem Autobauer gelang, etwas durch und durch Analoges zu digitalisieren und als Widget auf das Display moderner Fahrzeuge zu packen, etwas, das eigentlich von seiner Haptik lebt und seiner Präsenz im Raum. „Ich war von Anfang an begeistert“, sagt Goeing. „Einfach, weil QLOCKTWO eine tolle Art ist, Zeit künstlerisch zu verpacken.“

Tatsächlich hatten zwei Künstler – Marco Biegert und Andreas Funk – 2009 die etwas andere Zeitanzeige erfunden: QLOCKTWO zeigt statt üblichen Ziffern einen ganzen Satz in einem aufwändigen Wandobjekt. „Es ist Viertel nach vier“, steht da etwa auf der gefrästen und hinterleuchteten Oberfläche zu lesen. Inzwischen ist QLOCKTWO als digitales Widget für alle Fahrzeuge mit BMW Operating System 8 zu erleben. Auf den BMW iX folgten der BMW 2er Active Tourer, BMW i4, BMW X1 und der neue BMW 7er. Selbstverständlich musste das Erscheinungsbild dem dreidimensionalen Original sehr nahe kommen. „Das Auto ist damit punktuell zu einer rollenden Vernissage geworden“, sagt Goeing und sieht im Medienwechsel keinen „großen Widerspruch“, weil BMW die Displays mittlerweile ja auch für andere künstlerische Themen verwende und Atmosphäre schaffe, vergleichbar mit den von Hans Zimmer für BMW Elektrofahrzeuge komponierten Sounds.

Alles begann am 10. Dezember 2020. „Mit einem Videocall“, erinnert sich Jens Adamik, Managing Partner von QLOCKTWO. Dann ging es schnell. „BMW und wir unterzeichneten gegenseitige Geheimhaltungserklärungen, um über die Projektidee zu sprechen. Und dann entwickelten wir in kleinem Kreis diese ganze Sache.“ Die „Sache“ passte offenbar von Anfang an, als Gemeinschaftsprojekt eines kunstaffinen Autobauers und der nicht weniger kunstsinnigen Schwäbisch-Gmünder Zeitspezialisten. „BMW ist einer der Automarken, die sich stark über das Thema Kunst und Kooperationen mit Künstlern definieren“, erklärt Adamik. Der exklusiven Lizenz für BMW stand daher nichts im Weg. Keine zwölf Monate später leuchtete die digitale QLOCKTWO auf dem Display. Und scheint sich zum heimlichen Bestseller zu entwickeln. Heiko Goeing: „Rund 25 Prozent unserer Kunden haben das Widget schon installiert, viele schoben es direkt auf Platz eins. Also gleich neben das Lenkrad. Die Begeisterung ist sehr wohl da ist. Eine schöne Geschichte.“

Ab Mai 2022 ist eine digitale Zeitanzeige im klassischen QLOCKTWO Design erstmals im BMW iX verfügbar © QLOCKTWO

Vom Fahren zum Loungen

Eine Geschichte auch der Entschleunigung im Zeitalter forcierter Digitalisierung, die gerade das Autofahren radikal verändert: Das zunehmend autonome Fahrzeug wird zum rollenden Büro, Meetingraum auf Rädern oder zur Entspannungskapsel zwischen zwei Stationen. „,Freude am Fahren‘ definiert sich nicht nur durch die physikalische Antriebsleistung oder die Präzision beim Fahren, sondern auch über das ästhetische Design innen und außen oder auf dem Bildschirm“, sagt Goeing. „Dieser Begriff entwickelt sich weiter, jetzt auch beim Siebener, wo wir Fahrfreude auch durch Entschleunigung darstellen mit einem Fahrzeug, das maximalen Komfort bietet und sagenhafte Beschleunigung haben kann, wenn man es denn haben möchte und braucht.“ So zeigt sich auch der Schwenk von PS zu einem digitalen Flow, der die Leistung des Fahrzeugs über seine Vernetzung und „Intelligenz“ definiert. Statistisch sei Design immer noch einer der Hauptgründe, einen BMW zu wählen, neben hoher Qualität und modernster Technik, erklärt Goeing. „Was wir erleben, ist, dass das Interior Design ganz stark gestiegen ist in der Wahrnehmung unserer Kunden.“

Besser lässt sich dieser Wandel kaum verdeutlichen: Das QLOCKTWO Widget wird Teil des Fahrerinformationssystems und erscheint im BMW iX auf dem Curved Display. Je nach Fahrmodus ändert es sein Erscheinungsbild in einem wechselnden Farbspektrum – eine echte Herausforderung angesichts wechselnder Licht- und Schattenspiele während der Fahrt und Reflexionen auf dem Display. Für Jens Adamik war „klar, dass sich das Design so nah wie möglich an der physischen Variante orientieren musste.“ Er ist daher froh über die Dreidimensionalität und Lebhaftigkeit der digitalen Fassung: „Das gelang BMW durch eine gewisse Spannung und synthetische Lichtreflexe. Das Ablesen der Zeit wird zu einem Moment des bewussten Wahrnehmens, zu einem Kunsterlebnis.“ Tatsächlich zeigt auch die digitale Ausführung Zeit so an, wie sie gesprochen wird. Heiko Goeing stellt die gute Lesbarkeit heraus: „Am Kontrastthema haben wir lange gefeilt – und an den Proportionen, den Verhältnissen des Textes zur gesamten Kachel und zum Rahmen.“ Für ihn ging um drei Dinge: Stimmigkeit des gesamten Designs, Lesbarkeit und Wiedererkennbarkeit – alles, ohne die Fahrer abzulenken.

Vom Analogen lernen

Das QLOCKTWO Widget vereint den perfekten Widerspruch: Es passt gut in eine Zeit, die alles Analoge in Nullen und Einsen verwandelt und damit quantifizierbar macht: Texte, Bilder und Töne – und steht doch seltsam quer dazu. Noch in den siebziger Jahren galt die Siebensegmentanzeige als letzter Schrei bei LED-Uhren. Aus dem ruhigen Fluss der Zeit war ein Stakkato der Sekunden und Sekundenbruchteile geworden. Inzwischen haben wir uns fast daran gewöhnt, dass uns Zeit überall umgibt – als digitalisierte vierstellige Ziffernfolge, die oft nur noch anzeigt, wie weit wir vom nächsten Treffen, Date oder Eintrag im digitalen Kalender entfernt sind. Spätestens da hakten die Künstler Marco Biegert und Andreas Funk ein und erfanden eine alternative Zeitanzeige – oder sollten wir lieber sagen: Zeitansage? QLOCKTWO verwandelt die ordinäre Ziffernfolge in eine Satzfolge, die Zeit wieder in ein menschliches Maß zurückholt.

Aus dem Schwäbisch Gmünder Kunstatelier wuchs derweil eine internationale Marke, die ihre Produkte in 20 Sprachen anbietet. Das Ziel: Entschleunigung. Das Mittel: Zeit bewusster wahrnehmen und nicht nur verstreichen lassen. Für die Schwäbisch Gmünder war also die entscheidende Frage, wie nah das Widget an das analoge Erlebnis heranreicht – oder wie weit es bewusst davon weggeht, um die Möglichkeiten des Digitalen zu nutzen? BMW hat diese inhärente Spannung in ein faszinierendes Produkt verwandelt, das sich in die Informationsarchitektur und Interiordesign einpasst. Ohnehin wandelt sich das Fahren vom aktiven Lenken hin zu einer neuen Art der Fortbewegung, bei der Assistenzsysteme zunehmend das Steuer in der Hand halten. QLOCKTWO verstärkt Bewegung zur rollenden Lounge. Ziel sei ein „exklusiver Ort der Besinnung, der die Verschmelzung der Wohn- mit der mobilen Welt perfekt vollendet“, hofft Jens Adamik. Es fokussiere in hektischen Momenten auf das Wesentliche. „Das kennt jeder, dass man irgendwann genervt ist. Da tut es manchmal gut, auch an der Ampel den Augenblick zurückzugewinnen und zu sagen: Ist doch alles nicht so schlimm.“

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