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Die Design Akademie Saaleck versteht Gestaltung als zukunftsweisende und grenzüberschreitende Praxis. Damit markiert sie einen Neubeginn für die früheren Saalecker Werkstätten, in denen einst auf Einladung des deutschen Architekten Paul Schultze-Naumburg Nazigrößen verkehrten. Einmal im Jahr kommen junge Kreativschaffende aus der ganzen Welt als Stipendiaten in den kleinen Ort in Sachsen-Anhalt – und künftig auch Doktoranden der Harvard Graduate School of Design.

Von Karianne Fogelberg

Die ehemaligen Saalecker Werkstätten sollen nach dem Masterplan der dänischen Architektin Dorte Mandrup saniert und durch
ein Lern- und Dokumentationszentrum mit besonderem Fokus auf die Themen Antisemitismus und Rassismus erweitert werden.
Foto: Dorte Mandrup Architects

Der Renovierungsbeginn hat sich durch die Corona-Pandemie und gestiegene Baukosten verzögert, doch Ende 2023 ist es soweit. Die ehemaligen Saalecker Werkstätten, die der deutsche Architekt Paul Schultze-Naumburg als Rassenideologe und überzeugter Nationalsozialist zu einer Plattform für deren hasserfüllte Ideologie machte, werden nach einem Masterplan der dänischen Architektin Dorte Mandrup umfassend saniert und durch behutsame bauliche Interventionen erweitert. Hier, zweieinhalb Stunden Zugfahrt von Berlin entfernt, bei Naumburg in Sachsen-Anhalt, entsteht ein Lern- und Dokumentationszentrum zur Geschichte der Anlage und ihres Erbauers mit besonderem Fokus auf die Themen Antisemitismus und Rassismus. Die Neuen Saalecker Werkstätten sollen „die denkmalgeschützte Anlage mit ihrer komplizierten Vergangenheit in einen Ort für die Gegenwart und Zukunft transformieren“, so Arne Cornelius Wasmuth, Direktor der dieDAS – Design Akademie Saaleck. Das Ensemble wurde 2018 durch die Unterstützung des Mäzens Egidio Marzona erworben und kurz darauf dieDAS gegründet, die Teil der gemeinnützigen Marzona Stiftung Neue Saalecker Werkstätten ist und durch das Land Sachsen-Anhalt und das Bundeskulturministerium gefördert wird.

Kleine Akademie mit großer Bestimmung

Während die Stiftung sich dem schwierigen historischen Erbe der Anlage widmet, hat dieDAS ein internationales Stipendiatenprogramm aufgelegt, das von wechselnden künstlerischen Leitern kuratiert wird und zentrale Gestaltungsfragen der Zukunft adressiert. Die Inspiration dazu lieferten unter anderem die Villa Massimo in Rom und die American Academy in Berlin. Einmal im Jahr werden aufstrebende junge Kreativschaffende aus den Bereichen Design, Kunsthandwerk und Architektur eingeladen, mit ihren Ideen und Perspektiven zu der Vision „einer offenen Gesellschaft mit uneingeschränkter Gestaltungsfreiheit“ beizutragen, wie es auf der Website heißt. „Sie untersuchen die Fragen, die uns alle betreffen“, erklärt Wasmuth. „Wie wollen wir leben, wie wird unsere gebaute Umwelt aussehen, für wen wird sie geschaffen, welche Materialien werden wir benutzen? Komplexe Fragen, die auch mit der Geschichte des Ortes zusammenhängen. Aber unsere künstlerischen Leiter und Research Fellows kommen zu vollkommen anderen Antworten.“

Damit bringt dieDAS ein dunkles Kapitel der deutschen Designgeschichte zum Vorschein und unterzieht es einer kritischen Betrachtung. Paul Schultze-Naumburg war eine einflussreiche kulturelle Stimme im späten 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. Er zählte zu den Mitbegründern des Deutschen Werkbunds und war Anhänger der Reformbewegung. Ab 1904 schuf er mit den Saalecker Werkstätten einen Ort, der sich später als völkisch-traditionalistischer Gegenentwurf zu Werkbund und Bauhaus einen Namen machte: Hier verknüpften sich eine anti-modernistische Gestaltungsauffassung mit rassistischem Gedankengut zu einer Plattform für nationalsozialistische Ideologie.

Anlässlich des dieDAS Walk + Talk Summits Anfang September sind Designer und Architektinnen ebenso wie Experten aus der Denkmalpflege, dem internationalen Recht oder Sozialwissenschaftlerinnen nach Saaleck gekommen, um die Arbeiten der vier Stipendiaten um den künstlerischen Leiter Germane Barnes zu erleben und zu diskutieren. Foto: Falko Matte

Unbequemes Denkmal im Fokus

Nachdem das erste dieDAS-Programm unter dem künstlerischen Leiter Maurizio Montalti den Biomaterialien gewidmet war, thematisiert dessen Nachfolger, der US-amerikanische Architekt Germane Barnes die Bürde, die das denkmalgeschützte Gebäude mit seiner komplizierten Vergangenheit mit sich bringt. Das von ihm kuratierte Programm „Monumental Affairs – Leben mit umstrittenen Orten“ fragt danach, wie Architektur kanonisiert wird, wer die Deutungshoheit besitzt, wie Gestaltung und gebaute Umwelt bis heute bestehende Hierarchien fortschreiben und dabei die Erfahrungen und Erinnerungen von Minderheiten marginalisieren.

Die diesjährigen Stipendiaten bei der Arbeit in dem denkmalgeschützten Gebäude, das jetzt nach einem Masterplan der dänischen Architektin Dorte Mandrup saniert wird. Foto: Falko Matte

In zwei Augustwochen arbeiteten die vier Stipendiaten im Austausch mit Germane Barnes und eingeladenen Mentor*innen aus zum Teil auch designfremden Disziplinen und entwickelten ortsspezifische Arbeiten, die sie Anfang September im Kontext des in diesem Jahr durch die Bundeskulturstiftung geförderten „dieDAS Walk + Talk Summits“ in den historischen Räumen zeigten. Die italienische Architektin Silvia Susanna etwa untersucht mit ihrer Arbeit Diffractive Windows den Blick auf die gegenwärtigen Restaurierungsbemühungen und die damit verbundenen Denk- und Handlungsmuster. Mit Markierungen aus Klebeband auf Wand und Boden lenkt sie den Blick auf einzelne Materialien, Details und bauliche Veränderungen und eröffnet anhand dessen Einblicke in die wechselhafte Geschichte der Räume, die zu DDR-Zeiten als Seniorenheim genutzt wurden und heute unter Denkmalschutz stehen. Sie verschränkt die durch Restauratoren gekennzeichneten Materialien mit historischen Ereignissen und Narrativen und fragt, nach welchen Kriterien kulturelles Erbe validiert wird. Inwiefern sind die Original-Holzdielen oder Zierleisten etwa schutzwürdiger als nachträglich verlegtes Linoleum oder Fernsehkabel?

Die britisch-nigerianische Architektin Antoinette Yetunde Oni hat eine Serie von Objekten entworfen, die von den Materialien und Herstellungstechniken der Kulturlandschaft der Saale inspiriert sind. Dazu gehört eine große Schale, die sie dem Holz einer von Krankheit befallenen Eiche abgerungen, ebonisiert und verkohlt hat, sowie aus Tonerde geformte Kugeln und Bürsten aus Tierhaar, die mit dem Wissen einer Naumburger Bürstenbinderin entstanden sind. Diese aus einem experimentell-ritualhaften Herstellungsprozess hervorgegangenen Gegenstände sollen in Anlehnung an die heiligen Objekte afrikanischer Kulturen dazu dienen, den vergifteten Grund, auf dem die Saalecker Werkstätten errichtet wurden, zu läutern. Weitere, nicht weniger interessante Arbeiten stammen von dem Designer und Künstler Yasmine Ben Abdallah, der im ehemaligen Architektenhaus eine temporäre Rauminstallation geschaffen hat, die auf die Vergänglichkeit des Gebäudes und darüber hinaus aller Denkmäler verweist. Der Architekt Adam Maserow erinnert mit seiner großflächigen, auf dem Dielenboden ausgeführten Kohlezeichnung an die Stigmatisierung einzelner Kunstwerke unter den Nazis, indem er die in der Kunsttherapie verwendete Ausdrucksform der Scribble-Technik verwendet.

Der Architekt Adam Maserow erinnert mit seiner großflächigen, auf dem Dielenboden ausgeführten Kohlezeichnung an die Stigmatisierung einzelner Kunstwerke unter den Nazis, indem er die in der Kunsttherapie verwendete Ausdrucksform der Scribble-Technik verwendet.
Foto: Falko Matte

Den diesjährigen Fellows gemeinsam ist, dass sie sich mit ihren Arbeiten und Interventionen nicht auf die Methoden von Design und Architektur beschränken, sondern die erweiterten Ausdrucksmöglichkeiten der bildenden Kunst einbeziehen. Es scheint, als wenn sie bewusst jene Disziplinen, die Schultze-Naumburg instrumentalisierte, um eine Welt zu schaffen, die seiner rassistischen Gesinnung entsprach, überschreiten und zu einer gestalterischen Praxis umwidmen, die sich nicht an Kanon, Deutungshoheit und Grenzziehungspraktiken ausrichtet.

Von Harvard nach Saaleck

Die Teilnehmerliste des diesjährigen Walk + Talk Summit zeigt, dass dieDAS bereits vier Jahre nach ihrer Gründung internationale Strahlkraft entwickelt hat und ihr Programm nicht nur als wertvoller Beitrag zum Diskurs in Design und Architektur wahrgenommen wird, sondern ebenso in anderen Disziplinen wie der Denkmalpflege, dem internationalen Recht oder den Sozialwissenschaften. Neben den dieDAS-Kuratoriumsmitgliedern Sarah Whiting von der Harvard Graduate School of Design und Christian Benimana von der Non-Profit-Organisation MASS Design Group aus Kigali, Ruanda, waren unter anderem Tulga Beyerle vom MKG Hamburg, Matthias Quent vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Magdeburg und die Menschenrechtsaktivistin Kimberly Morteau Emerson gekommen. Diese Entwicklung soll in Zukunft fortgeführt werden.

Foto: Dorte Mandrup Architects

Auf der Klippe hoch über der Saale balanciert das sogenannte Architektenhaus – dieses Gebäude konnte erst kürzlich von der Stiftung in die Gesamtanlage zurück integriert werden. Hier plant die Harvard Graduate School of Design, ein Wissenschaftskolleg für seine Doktoranden einzurichten. Diese können den Stipendiaten dann während ihres künftig viermonatigen Aufenthalts, der mit abgeschlossener Sanierung Realität wird, als Mentor*innen dienen und gemeinsam mit ihnen „Visionen entwickeln, die die Gesellschaft inspirieren und transformieren“, wie es der Designer Maurizio Montalti formuliert.

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