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Archigram, Pop und immer weiter in die Zukunft: In seinen Zeichnungen denkt der britische Avantgarde-Architekt Peter Cook Stadt und Landschaft seit Jahrzehnten radikal anders. Derzeit sind seine „Speculations“ im Haus der Architektur in Graz ausgestellt.

Von Thomas Wagner

Speculative Landscape, 2022 © Peter Cook

In der Architekturtheorie wird seit längerem leidenschaftlich darüber debattiert, wie Gebäude und Städte gedacht werden müssen, damit sie sich energiepolitisch, klimatechnisch und sozial an die veränderten Verhältnisse anpassen lassen. An der Notwendigkeit, darüber ist man sich einig, besteht kein Zweifel. Doch ganz gleich, welche Schwerpunkte gesetzt werden, es dauert nicht lange, bis das Zauberwort „Transformation“ fällt. Aber was heißt das schon – Transformation? Wie und mit welchem Ziel sollen bestehende Strukturen umgeformt werden? Wird die Wurzelbehandlung des Bauwesens pragmatisch angegangen, wird sie von den Beharrungskräften des Status quo sogleich Lügen gestraft. Wagt sich das Denken weiter vor, gibt es sich gar utopisch, wird es der bloßen Phantasterei geziehen und in Konventionen erstickt. Mag ein befreites Denken auch nur mittelbar Wirkung zeigen, es kann zutreffende Analysen liefern, anregende Ideensplitter, weiterführende Gedankenexperimente und Modelle beizusteuern.

Es läuft (noch immer) was…

Der britische Architekt Sir Peter Cook, der gerade seinen 87. Geburtstag feiern konnte, hat nie den geringsten Zweifel daran gelassen, dass die Transformation einer in Traditionen, Anachronismen und Interessen erstarrten Architektur und Stadtplanung radikal ausfallen muss. Seit den frühen 1960er Jahren hat er (als Mitbegründer der Avantgarde-Gruppe Archigram und Autor der gleichnamigen Zeitschrift) für eine Architektur plädiert, die jeder Tendenz zur Erstarrung entgegenwirkt. Beim Versuch, radikal zeitgenössisch zu sein, wurden Wohnkapsel als mobiles Element und utopische Stadtentwürfe wie die „Plug-In-Cities“ oder die „Walking City“ präsentiert. Das erste Archigram, so Cook in seinen „Bemerkungen zum Archigram-Syndrom“, „war ein Aufschrei gegen all das lausige Zeug, das in London gebaut wurde, gegen die Haltung einer fortgesetzten europäischen Tradition von wohlerzogener, aber kleinmütiger Architektur, die sich das Etikett ,modern‘ anheftete, aber die meisten Philosophien der frühesten ,Moderne‘ verraten hatte. Niemand interessierte sich dafür. Die folgende Zeit kann unter der Bezeichnung ,mach weiter, Kumpel‘ zusammengefasst werden, mit dem verrückten Objekt der Living City als Höhepunkt, das in den Kunstkreisen des West End für Erheiterung sorgte. Nur wenige erfassten die darin enthaltene Botschaft.“

Peter Cook, Transforming City (Skywaft City), Part 4, 1985 © Peter Cook

Das „Weiter so“ in Frage stellen

Das Morgen hat sich seit der Jahrtausendwende in vielen Bereichen verdunkelt. Umso intensiver wird Zukunft beschworen. Ansätze, die schon vor mehr als einem halben Jahrhundert das „Weiter so“ in Frage gestellt haben, aber werden weiterhin ignoriert. Schon Archigram hat über Elektroautos und die programmierte Welt diskutiert und unbequeme Fragen gestellt – zu Konsumismus und Nomadentum, zu Wachstum und Metamorphose, zu Komfort und Emanzipation, zu Hard- und Software. Gewürzt mit einer aufheiternden Prise Pop-art und Comic-Ästhetik wurde mit britischem Humor für Veränderungen gefochten, die schon damals notwendig geworden waren – aber ausblieben. Oder, wie Cook es formuliert hat: „Die abgepackte Tiefkühlmahlzeit ist wichtiger als Palladio. Vor allem ist sie elementarer. Sie ist Ausdruck eines menschlichen Bedürfnisses und gleichzeitig Symbol für eine effiziente Interpretation dieses Bedürfnisses, welche die verfügbare Technologie und Ökonomie optimal nutzt. Die Wohnkapsel illustriert die Frage und – technologische – Antwort auf ähnliche Weise. Zwar sind Größe und Komplexität bedeutender, aber die philosophische These ist dieselbe.“ Bei all dem, was Archigram propagierte, gab sich die Gruppe nach eigener Einschätzung „politisch nicht übereifrig“; den Projekten wohnte aber „eine Art zentraler Emanzipationstrieb“ inne. Wo ist er hingekommen? Die Lage war schon damals eindeutig: „Der Mensch steht vor einem Abgrund; er hat die Wahl, sein Potential endlich wirklich zu nutzen oder endgültig aufzuhören zu existieren.“

In Zeichnungen denken

Peter Cook hat nie aufgehört, für einen Wandel zu kämpfen. Aktuell und anlässlich des 20-jährigen Jubiläums des Kunsthauses Graz, zeigt das „HDA – Haus der Architektur“ (noch bis zum 28. Januar 2024) die Ausstellung „Speculations“ mit Zeichnungen und räumlichen Objekten des Architekten. Der biomorphe Bau des „Friendly Alien“, den Cook 2003 gemeinsam mit Colin Fournier realisiert hat, fand weltweit große Beachtung und entwickelte sich durch seine außergewöhnliche Form zu einem neuen architektonischen Wahrzeichen der weithin barocken Stadt. Bereits zu Zeiten von Archigram waren handgefertigte Zeichnungen das prägende Ausdrucksmittel Cooks und der neofuturistischen Gruppe. Wie die Zeichnungen aus seiner Publikation „Speculations“ belegen, nutzt Cook bis heute farbenfrohe, phantasievolle Darstellungen, die Landschaften, Städte und Bauwerke aus verschiedensten Perspektiven erkunden, um Alternativen zum üblichen Durchschnitt  zu formulieren. Zuweilen erweitert er die zweidimensionalen Spekulationen zu räumlichen Installationen, in denen Zeichnungen vergrößert und so gruppiert werden, dass Betrachter*innen darin herumspazieren und in ihre Atmosphäre eintauchen können.

Das Unmögliche möglich erscheinen lassen

Die Zeichnung lässt das Unmögliche möglich erscheinen. Solcher Möglichkeitssinn bereichert die Realität, ignoriert und überstrahlt ihre Defizite. Deshalb ist und bleibt das Zeichnen Cooks wichtigstes Werkzeug. Hinter seinen visuellen Collagen steckt denn auch die Überzeugung, nur in einer freien Bildsprache lasse sich die Zukunft bestmöglich untersuchen, nur so könne man das Denken von hemmenden Konventionen und praktischen Beschränkungen freimachen und alternative Städte und Lebensformen ersinnen. Cooks architektonisches Werk besteht denn auch zu einem großen Teil aus Zeichnungen; die Zahl seiner gebauten Projekte (darunter das Kunsthaus Graz) ist weit weniger umfangreich. Cooks Blätter sind vieles zugleich: Notizen zu Fragen der Architektur, collagierte Ideen, Methoden, zu kommunizieren. In den auf den ersten Blick oft verwirrenden, komplexen und farbkräftigen Betrachtungen können Räume, Bauelemente und Menschen entdeckt werden, die organische Landschaften bewohnen. Alles ist präzise und maßstabsgetreu wiedergegeben. Und im Vergleich mit den Zeiten von Archigram weniger maschinenhaft und technikaffin.

Filter City, 2020, © Peter Cook

Zeichnen und machen

Anfang des Jahres hat Cook unter dem Titel „Blicke in die Zukunft – zeichnen und machen“ im Deutschen Architektenblatt geschrieben: „Ich bin eher ein Pragmatiker, wenn es darum geht, über Zukünfte zu diskutieren, die so oft das Ergebnis menschlicher Dummheit und Arroganz gegenüber grundlegenden Kräften sind: Klima, Grenzen von Materialien, Langsamkeit der Institutionen bei Reaktionen auf Forschung und eine fast mittelalterliche Bauindustrie.“ Seine optimistische Perspektive gründet darauf, „dass jedes Gebäude oder jede Zeichnung einen guten Prozentsatz an neuen Ideen, einen Bezug zu plausibler Materialität und – je nach Geschmack und Wahl – einen atmosphärischen Gehalt haben sollte“. Letzteres bezeichnet er als „Theatersinn“, da er glaubt, ein Computer könne mittlerweile zwar einen funktionierenden Schutzraum konstruieren, bei „Theater“ aber gehe es „um Erfahrung, Nuancen, Anreize – und darum, mehr aus einer Situation zu machen, als nur zu sagen: ,Es funktioniert.‘

In Cooks visuellen Notaten, fantastischen Landschaften und Gebäuden, lässt sich unschwer eine produktive Unruhe und eine Unzufriedenheit mit dem konzeptionellen und materiellen Rahmen des bestehenden architektonischen Denkens erkennen. „Ich hoffe“, so Cook, „dass die Architektur der Zukunft Entwürfe zulässt, die die Traditionen von Erfahrung, Genuss, Ort und Identität fortsetzen. Architektur, die das Beste aus einer Situation macht, statt sie auf ein Minimum zu reduzieren, aus wirtschaftlichen Gründen oder aus Pietät. (Letzteres ist der Grund, warum ich den Minimalismus nicht mag. Er ist zu calvinistisch.)“ Um die Köpfe frei zu bekommen, werden Visionäre wie er heute mehr denn je gebraucht.

Another Arcadia,2023 © Peter Cook

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