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Aus der amerikanischen Vorstadt auf den Mode-Olymp: Der Aufstieg von Virgil Abloh zu einer der einflussreichsten Persönlichkeiten der Designwelt des letzten Jahrzehnts war kometenhaft. Am 28. November starb der multidisziplinäre Kreative auf dem Höhepunkt seiner Karriere mit erst 41 Jahren an Krebs.

Von Martin Krautter.

Nachruf auf Virgil Abloh

Portrat Virgil Abloh
Virgil Abloh auf der Pariser Modewoche Herbst/Winter 2019.
Foto: Myles Kalus Anak Jihem. Veröffentlicht von Wikimedia Commons, gemeinfrei nach UrhG §64. This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International license.

Eine seiner jüngsten Arbeiten war für strenge Exegetinnen und Exegeten der Marke Braun eine Provokation. Das Unternehmen selbst hatte Virgil Abloh mit einer Hommage beauftragt, sein Beitrag: die legendäre Wandanlage von Dieter Rams von 1965, allerdings statt im originalen Schleiflack hochglänzend verchromt. Offen bleibt, was die Puristinnen und Puristen mehr verunsicherte: Dass ein schwarzer Modedesigner der Generation Instagram es wagte, Hand an diese Ikone zu legen? Oder dass sie plötzlich sich selbst und ihr Bedürfnis nach Distinktion durch Marke und Design im Spiegelbild der glänzenden Oberfläche erkannten? Im Werbeclip zum Projekt lobt Abloh die Funktionalität des Industriedesigns überschwänglich. Aber vielleicht müsste man, im Stil seiner Kreationen für sein Modelabel Off-White, hier eher “FUNKTIONALITÄT“ transkribieren. Denn seien wir ehrlich: Die Anlage war vor 50 Jahren funktional – heute kommt Musik von Spotify, Braun-Hifi wird als Sammlerware versteigert und dient in erster Linie als Token guten Geschmacks.

Plakative Beschriftungen, in Grotesk-Versalien und ironische Anführungszeichen gesetzt, gehörten zur gestalterischen Signatur Ablohs. So wurde selbst die Luft im Turnschuh doppelbödig, zur “AIR“. Ironie, kommentierte Abloh im Rahmen seiner Werkschau im Chicagoer Museum of Contemporary Art 2019, sei für ihn vor allem ein Weg, zwei Dinge auf einmal zu sagen. Was im Rückblick auf seine rastlose Produktivität erst recht Sinn ergibt. Angesichts des schmerzhaften Defizits an Diversität in der Designwelt, das in den letzten Jahren endlich stärker ins öffentliche Bewusstsein rückte, muss man eines unzweideutig aussprechen: Abloh war Türenöffner, Bahnbrecher, Wegbereiter – und das nicht mit einer aggressiven Rhetorik der Gewalt, sondern mit überbordender Kreativität, Ironie, Subversion und dem Charme des Dandys.

Der 1980 geborene Virgil Abloh wuchs in Rockford, Illinois, auf, sichere 100 Meilen vom Moloch Chicago entfernt. Seine Eltern, immigriert aus Ghana, hatten in der amerikanischen Gesellschaft Fuß gefasst: die Mutter als Schneiderin und der Vater als Angestellter einer Farbenfabrik. Der gab dem Skateboarder und „Durchschnitts-Teenager“, wie Abloh sich selbst sah, den Impuls, Bauingenieur zu werden. Abloh machte den Bachelor an der University of Wisconsin-Madison und wechselte dann an das Illinois Institute of Technology in Chicago, wo er 2006 mit dem Master in Architektur abschloss. Am IIT kamen entscheidende Einflüsse zusammen: Institutsbauten wie die „Crown Hall“ von Mies van der Rohe – und das Campus Center von Rem Koolhaas’ Büro OMA. Seminare, deren Dozent/innen von den neuen Möglichkeiten eines vernetzten, interdisziplinären Arbeitens schwärmten. Der Job als Grafiker in einer Firma, die Kleidung bedruckte. Die lebensverändernde Begegnung mit dem Musiker Kanye West, der ausgerechnet dort T-Shirts fertigen ließ.

Virgil Abloh und Kanye West

Virgil Abloh, Kanye West, Fonz Bentley, Taz Arnold, Chris Julien und Don C auf der Paris Fashion Week
Virgil Abloh, Kanye West, Fonz Bentley, Taz Arnold, Chris Julien und Don C auf der Paris Fashion Week 2009. Foto: Tommy Ton

West, damals selbst im steilen Aufstieg begriffen, erkannte Ablohs Talent und machte ihn zu seinem Creative Director und Vertrauten. In dieser Rolle gestaltete der frischgebackene Architekt das Gesamtkunstwerk Kanye mit: Von Bühnenbildern über Merchandise-Produkte bis zu Plattencovern wie dem „Watch the Throne“-Album von 2011, für das Abloh sogar für einen Grammy nominiert wurde. Die Ambitionen von West und Abloh reichten weit über die Genregrenzen von Hip-Hop und Black Music hinaus. Ein legendär gewordenes Foto zeigt die beiden im Kreis von Freunden auf einer Straße in Paris während der Fashion Week 2009, „dressed to kill“ und wild entschlossen, die europäische Modewelt zu erobern – ohne Rücksicht auf die Vorurteile des Establishments. Gemeinsam machten Abloh und West noch im gleichen Jahr ein Praktikum im Traditionshaus Fendi.  

Das Abloh die Mechanismen der Marken und Label schnell durchschaut und verinnerlicht hatte, bewies er 2012 mit seinem ersten eigenen Modeprojekt „Pyrex Vision“. Er hatte unverkäufliche Posten von Ralph-Lauren-Trikots billig erstanden, die er mit eigenen Siebdruck-Designs versah und damit erstaunliche Preise erzielte. Ein Coup, den er im Nachhinein eher als künstlerisches Experiment denn als ernsthaften Schritt ins Modebusiness klassifizierte. Diesen vollzog er 2013 mit der Gründung seines Labels Off-White – nicht in Chicago oder LA, sondern in Mailand, dem Herzen der traditionsreichen europäischen Modeindustrie. Mit Off-White schlug er scheinbar mühelos den Bogen zwischen Streetwear und Couture, reüssierte auf den Laufstegen und wurde zum weltweit gefragten, stilprägenden Gestalter der 10er Jahre. Der Labelname war Programm: Weder dezidiert „weiß“ noch „schwarz“ umfasste das Label alle Schattierungen und Zwischentöne, brachte Disziplinen in Fluss, war von vornherein offen und inklusiv angelegt.

Mittler zwischen Millennials und Establishment

Mit „Project Geländewagen“ richteten sich Daimler und Virgol Abloh an Millennials und Generation Z. © 2021 Daimler AG. All rights reserved

Virtuos knüpfte Abloh das Netz aus Bedeutungen und Beziehungen rund um seine Marke, das ein schlichtes T-Shirt in ein kunstvolles, begehrtes Stück Identität verwandelt. Er wurde zum personifizierten Mittler zwischen Pop und Luxus, zwischen Millennials und Establishment. Und alle wollten daran teilhaben: Unternehmen wie Nike, die dem Teenager Virgil seine Sneaker-Designs einst postwendend retourniert hatten, oder Ikea, für die Abloh eine Kollektion von Teppichen und Möbeln entwarf. Zuletzt, wie erwähnt, auch die deutsche Designikone Braun. Er war „most wanted“, aber immer bereit, beispielsweise Studierenden bei Seminaren an namhaften Schulen wie der Londoner Architectural Association einen Blick hinter die Kulissen und ins Räderwerk seiner Branche zu erlauben. Seine Arbeit sollte nicht geheimnisumweht sein, sondern transparent – wie der Rollkoffer aus durchsichtigem Polycarbonat, den er 2018 für Rimowa entwarf. Im gleichen Jahr ernannte ihn die Luxusmarke Louis Vuitton zum Direktor für ihre Herrenkollektion. Das Pariser Haus bewies damit erneut Gespür für den Zeitgeist, wie zwei Jahrzehnte zuvor mit dem Engagement des amerikanischen Designers Marc Jacobs.

Jetzt wird die Chicagoer Werkschau von 2019 unerwartet zu Ablohs Vermächtnis. In einem Video für diese Ausstellung sagt er sinngemäß, dass er versucht, in seinen Entwürfen zwei Zielgruppen zugleich anzusprechen: Die analytischen Purist/innen, die ihre Wahrnehmungen nach Bedeutungen und Theorien strukturieren, ebenso wie die neugierigen Tourist/innen, eifrig auf der Jagd nach Eindrücken und Stimulation. Was wird Purist/innen wie Tourist/innen entgehen, jetzt, wo diese sprudelnde Quelle schlagartig versiegte? Zweifellos wird Virgil Abloh für viele junge Kreative, die sich bisher kaum repräsentiert sahen, ein Vorbild bleiben: Dafür, dass People of Color ganz oben in Mode und Design nicht nur mitspielen dürfen, sondern auch die Regeln verändern können. Bereits 2019 wurde bei Abloh ein kardiales Angiosarkom, eine aggressive Form von Krebs, diagnostiziert. Er machte sein Leiden nicht öffentlich, umso überraschender kam jetzt die Nachricht von seinem Tod. Virgil Abloh starb am 28. November 2021 im Alter von 41 Jahren in Chicago, er hinterlässt seine Frau Shannon und zwei Kinder.

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Der Instagram-Kanal von Virgil Abloh.

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