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50 Jahre „Die Grenzen des Wachstums“. Hauptsache Wachstum?

Vor 50 Jahren erschien die im Auftrag des „Club of Rome“ erstellte Studie „Die Grenzen des Wachstums“. Sie wurde zum Gründungsdokument der Umweltbewegung und forderte den Übergang vom Wachstum zum Gleichgewicht.

Von Thomas Wagner.

Im Jahr 1972, also vor einem halben Jahrhundert, haben Dennis und Donella Meadows und ihr Team die Studie „Die Grenzen des Wachstums“ vorgestellt. Der Titel ist unter Fortschrittskritiker/innen längst zu einem geflügelten Wort geworden. Entstanden ist die Studie als Bericht „zur Lage der Menschheit“ für die 1968 von Aurelio Pecce gegründete Nichtregierungsorganisation „Club of Rome“, die einen nachhaltigen Umgang mit den vorhandenen Ressourcen forderte. Der schmale Band von etwa 200 Seiten wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und hat sich rund 30 Millionen Mal verkauft.

Sind die Grenzen nicht längst überschritten?

Cover The Limits of Growth
Das englische Cover von „Die Grenzen des Wachstums“ © Club of Rome

Wie stellt sich heute dar, was in dem Gründungsdokument der Umweltbewegung beschrieben und gefordert wurde? Sind die Grenzen von damals nicht längst überschritten? Wurden die ausgesprochenen Warnungen zu wenig ernst genommen? Sind die Thesen heute, da sich die Klimakrise weiter verschärft, zugleich aber viel von Klimaneutralität, nachhaltigem Produzieren und der Umstellung auf eine Kreislaufwirtschaft die Rede ist, überhaupt noch relevant? Kurz gesagt: Wie stellt sich Wachstumskritik heute dar? Wird das Konzept „Wachstum“ in Frage gestellt, weil immerwährendes Wirtschaftswachstum den Planeten ruiniert? Oder wird Wachstum im Gegenteil ökonomisch nicht mehr denn je gehuldigt?

Dennis Meadows selbst hat in einem aus Anlass des Jubiläums der Studie geführten Interview mit dem Magazin der Süddeutschen Zeitung zu Wachstum als Ursache allen Übels bemerkt: „Ich habe gesagt, das System, das wir jetzt haben, hat Ergebnisse hervorgebracht, die es ziemlich bald beseitigen werden. Aus einer längerfristigen Perspektive ist diese sogenannte Zivilisation, die wir im Westen haben, sinnlos. Die industrielle Revolution ist eine sehr kurze Episode in der Geschichte unserer Spezies. Wir denken irgendwie, dass der gegenwärtige Moment dazu bestimmt ist, für immer so weiterzugehen. Das ist albern, nicht wahr?“ Gefragt, welche Reaktionen er erwartet habe, als er die Studie vor 50 Jahren veröffentlichte, antwortete er: „Ich war 29 Jahre alt. Ich hatte mir naiverweise vorgestellt, dass, wenn wir neue Daten produzieren, die Leute sie sich ansehen und zu einem neuen Verständnis kommen würden.“

Keine Reaktion auf der Ebene nationaler Politik

Offenbar hat nicht nur Meadows die aufklärende Wirkung von Daten über- und den mit dem Begriff des Wachstums verbundenen Rückschlag in Mythologie unterschätzt. Ob die heute weit verbreitete Datengläubigkeit hier weiterhelfen wird, bleibt fraglich, besonders dann, wenn man bedenkt, wie unterschiedlich die Studie in verschiedenen Ländern rezipiert wurde. Danach gefragt, ob ihn die Tatsache frustriere, dass das Buch als Grundlage weiterer Studien bis heute zwar sehr bekannt sei, in der Praxis aber wenig bewirkt habe, meinte er: „Na ja. Das Buch war in Deutschland oder in den Niederlanden viel populärer als in den USA. Und ja, auf der Ebene der nationalen Politik sehe ich überhaupt keine Reaktion. Es gibt jetzt erste Überlegungen, etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen. Wenn man sich die praktische Politik anschaut, hat sich allerdings eigentlich nichts geändert. Aber bin ich frustriert? Nein. Wie ich schon sagte, ich bin realistisch. Einer meiner Leitsätze für mein Leben lautet: Spiele die Karten, die du hast, statt dir andere zu wünschen.“

Konkurrierende Narrative

Eine einzige Studie, so könnte man daraus schließen, reicht nicht aus, um politische und wirtschaftliche Interessen entscheidend beeinflussen und ein gut eingespieltes System verändern, womöglich gar zur Umkehr bewegen zu können. Solange nicht nur Regierungen gängigen Narrativen über die Notwendigkeit permanenten Wachstums folgen oder Börsenweisheiten wie jener Glauben schenken, die (Geld)Flut hebe alle Boote, werden Wachstumsgrenzen eher weiter verschoben als beherzt gezogen. Welche Faktoren es sind, die bei all den komplexen wirtschaftlichen Verflechtungen und mentalen Festlegungen eine Veränderung bewirken können, bleibt zudem schwer einzuschätzen. Ein Beispiel: Der Blick, den die Astronauten der amerikanischen Mondmissionen Ende der 1960er-Jahre aus der Distanz zurück auf den „blauen Planeten“ geworfen haben, ist vielfach dokumentiert. Gleichwohl ist schwer zu ermessen, wie grundlegend diese Erweiterung des Blicks die Perspektive auf das „Raumschiff Erde“ (Buckminster Fuller) verändert oder zumindest dazu beigetragen hat, eine globale Sicht auf das menschliche Treiben auf der Erde zu entwickeln.

Schlussfolgerungen der Studie

Im Geist skeptischer Distanz ist denn auch in der Einleitung der Studie zusammenfassend zu lesen: „Bis jetzt ergaben sich bei unserer Arbeit die nachstehenden Schlussfolgerungen. Sie sind keineswegs neu. Schon vor Jahrzehnten haben Menschen, die unsere Erde von einem globalen, zeitlich weitreichenden Gesichtspunkt aus beurteilten, ähnliche Schlüsse gezogen. Dennoch verfolgt die große Mehrzahl der Politikerinnen und Politiker Ziele, die mit diesen Aussagen unvereinbar sind.“

Die Schlussfolgerungen lauten sodann. Erstens: „Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht. Mit großer Wahrscheinlichkeit führt dies zu einem ziemlich raschen und nicht aufhaltbaren Absinken der Bevölkerungszahl und der industriellen Kapazität.“ Nach fünfzig Jahren geben die aktuellen Tatsachen der Analyse recht; anders verhält es sich mit den Schlussfolgerungen: Was Bevölkerungszahl und industrielle Kapazität angeht, sind wir weiter auf Wachstumskurs.

Zweitens: „Es erscheint möglich, die Wachstumstendenzen zu ändern und einen ökologischen und wirtschaftlichen Gleichgewichtszustand herbeizuführen, der auch in weiterer Zukunft aufrechterhalten werden kann. Er könnte so erreicht werden, dass die materiellen Lebensgrundlagen für jeden Menschen auf der Erde sichergestellt sind und noch immer Spielraum bleibt, individuelle menschliche Fähigkeiten zu nutzen und persönliche Ziele zu erreichen.“

Von einem optimistischen Standpunkt aus betrachtet, besteht die Möglichkeit noch immer; gleichwohl scheinen aufgrund fortgesetzten Klimawandels und Artensterbens, dystopische Erwartungen zuzunehmen. Drittens: „Je eher die Menschheit sich entschließt, diesen Gleichgewichtszustand herzustellen, und je rascher sie damit beginnt, um so größer sind die Chancen, dass sie ihn auch erreicht.“

Diese knappen Schlussfolgerungen, heißt es weiter, „sind derart weitreichend und werfen so viele Fragen für künftige Forschungen auf, dass auch wir selbst uns von der Größe dieser gigantischen Aufgabe, die hier erledigt werden muss, nahezu überfordert fühlen. Wir hoffen, dass dieses Buch das Interesse der Menschen auf allen Gebieten der Forschung und in allen Ländern der Erde erweckt und das Verständnis für die riesige Aufgabe fördert: den Übergang vom Wachstum zum Gleichgewicht.“

Vom Wachstum zum Gleichgewicht

Vom Wachstum zum Gleichgewicht übergehen – als Aufgabe oder generelle Forderung erscheint das heute aktueller als je zuvor. Bleibt die bange Frage, wie das bewerkstelligt werden kann? Sind unsere Fähigkeiten zur Umkehr fatalerweise begrenzter als unser Glaube an permanentes Wachstum? Es ist das Wesen der Zukunft, unbekannt, unergründlich, kurz: dunkel zu sein. Folgt man dem Philosophen Konrad Paul Liessmann, so kommt zur Begrenztheit unserer Fähigkeit, über den Tag hinaus in die Zukunft zu blicken, ein anderer Faktor hinzu, der es zusätzlich erschwert, sich mit Blick auf das, was kommt, in der Gegenwart zu orientieren. Liessmann erinnert an Hegels Überlegung, „dass man erst dann weiß, wann etwas begonnen hat, wenn es zu Ende ist“. Die historischen Beispiele, die Liessmann anführt, sind bezeichnend: „Die Menschen, die den Schwarzen Freitag des Jahres 1929 erlebten, wussten nicht, dass dies der Beginn eines der furchtbarsten Kapitel der neueren Geschichte war. Die Menschen, die im Jahre 2008 den Zusammenbruch traditionsreicher Banken und Automobilhersteller erlebten, wissen noch immer nicht, welche Seite im Buch der Geschichte damit aufgeschlagen wurde“. Was besagt: Lässt sich erst im Rückblick erkennen, wohin sich etwas entwickelt, wozu etwas geführt hat, so besteht die Antwort auf die Frage, was aktuell zu tun sei, in einem nicht zu unterschätzenden Maß aus Spekulation. Was nicht eben zu entschlossenem Handeln ermuntert, auch wenn solches Nichtwissen keineswegs davon entbindet. Im Gegenteil. Dass Folgen sich nicht leicht abschätzen lassen, zwingt dazu, genauer hinzuschauen und die Unterscheidungskraft zu schärfen. Was leichter gelingt, wenn man sich anschaut, was von in der Vergangenheit erstellten Prognosen eingetreten, was anders gelaufen ist – und wie sich Annahmen, Indikatoren und Kriterien seitdem verändert haben.

Die Grenzen der Vernunft

Der Menschheit, zumindest das lehrt der Blick 50 Jahre zurück, hat es schon in der Vergangenheit weder an Informationen gemangelt, noch an Modellen diese einzuordnen und zu „verarbeiten“. Woran es offenbar fehlt, sind entschlossenes Handeln und wirksame Maßnahmen. Weshalb die Studie zu den Grenzen des Wachstums im Rückblick auch etwas über die Grenzen der Vernunft aussagt. Was eine aktuelle Perspektive angeht, so erklärte der Soziologe Harald Welzer Ende vergangenen Jahres in einem Interview hinsichtlich eines Wirtschaftssystems, bei dem ein Ende nicht eingeplant zu sein scheint und alles immer nur wachsen solle: „Dass das nicht geht, versteht jedes sechsjährige Kind. Und der Kapitalismus hat auch nicht mit dieser Idee begonnen. Das mit dem Wachstum kam erst bei Roosevelts New Deal auf, also in den frühen 1930er-Jahren. Da wurde, als Antwort auf die Weltwirtschaftskrise, versucht, Wirtschaftswachstum künstlich zu erzeugen. Prominent wurde diese Maßgabe im Kalten Krieg – als Gradmesser dafür, wer besser ist. Wer von den Supermächten die Systemkonkurrenz gewinnt. Seither hat sich diese Idee so etabliert, dass man unaufhörliches, stetes Wachstum für die Voraussetzung des Kapitalismus hält. Etwas anderes können sich Ökonomen und FDP-Politiker überhaupt nicht mehr vorstellen, und das ist natürlich absurd bei einem Konzept, das erst zwei Generationen alt ist.“


Mehr über „Die Grenzen des Wachstums“

The Limits to Growth auf der Website des Club of Rome.

„Der westliche Lebensstil wird nicht mehr lange fortbestehen“. US-Ökonom Dennis Meadows im Interview mit dem Magazin der Süddeutschen Zeitung.

„Autos! Was für ein Schwachsinn. Als ob das zukunftsfähig wäre“. Interview mit Harald Welzer.


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