5 min read

Fritz Eichler (1911–1991) war vielleicht der wichtigste Design-Manager der jungen Bundesrepublik. Lange bevor diese Berufsbezeichnung üblich wurde, prägte er die gestalterische und strategische Ausrichtung der Marke Braun entscheidend mit. Über Jahrzehnte. Eine neue Publikation würdigt – endlich – die großen Verdienste Eichlers.

Von Gerrit Terstiege.

Dr. Fritz Eichler 1911-1991 © Braun Archiv

Markenführung, Corporate Design, Branding: Unternehmen, die diese Themen ernst nehmen, müssen die Gegenwart und Zukunft im Blick behalten. Die Rezepte von gestern sind selten geeignet für die Fragen von morgen – so mögen viele mit Recht denken. Daher stehen die Chancen auch nicht eben gut, dass man sich Jahrzehnte später an Manager-Persönlichkeiten erinnert, die in ihrer Zeit Großes geleistet haben. Gegen alle Wahrscheinlichkeit ist jetzt also mit „Der Regiemann” ein Buch erschienen, das die bleibenden Verdienste eines klugen Strategen und Kommunikators anschaulich und nachvollziehbar darstellt. Sein Name: Fritz Eichler. Ab 1953 war er für Braun tätig, zunächst als Regisseur für Werbefilme, 1954 wurde er fest angestellt. Bereits im darauffolgenden Jahr machte man ihn zum „Beauftragten für Gesamtgestaltung”, 1962 bis 1967 war er Aufsichtsratsmitglied, 1967 wurde er zum „Vorstand für Gestaltung” ernannt und von 1973 bis 1990 gehörte er dem Aufsichtsrat der Braun AG an.

Wenn vom legendären, gestalterischen Umbau bei Braun Mitte der 1950er Jahre die Rede ist, so fällt heute meist nur noch der Name Dieter Rams. Ganz entgegen seiner eigenen Darstellung und Sichtweise, wird Rams dann meist – zumindest in Publikums-Medien – als „Autoren-Designer” präsentiert, der seiner persönlichen Vision folgte und praktisch im Alleingang die Wende des Unternehmens hin zu einer klaren, kohärenten und rationalistischen Formgebung schaffte. Doch der Erfolg hatte tatsächlich viele Faktoren. Rams äußert sich in seinem Buchbeitrag zu Eichlers Wirken so:

„Er war kein Designer von Produkten, sondern ein Designer von Prozessen. Was ein neues Industriedesign für das Unternehmen sein könnte, das war damals noch lange nicht klar. Eine erste, mehr konzeptionelle und grundsätzliche Orientierung gab Wilhelm Wagenfeld, konkreter wurde es durch Otl Aicher und Hans Gugelot sowie deren Studenten von der HfG Ulm. Aber es gab keine Leitfigur, die den gestalterischen Weg vorgegeben hätte. Es waren viele Einflüsse und Standpunkte, Haltungen und Vorbilder im Spiel. In diesem Findungsprozess der zweiten Hälfte der 1950er Jahre spielte Eichler eine entscheidende Rolle, denn er verstand es, die nötige Kommunikation zwischen allen Beteiligten, dazu gehörten auch die Techniker und die Kaufleute, mit aufzubauen und aufrecht zu erhalten. Das galt auch für die Kommunikation zwischen den Gebrüdern Artur und Erwin Braun. Wäre Eichler ‚nur‘ eine Art Chefdesigner gewesen, hätte sich das Unternehmen in die eine oder andere bekannte Richtung entwickelt. So aber konnte etwas Neues entstehen.”

Fritz Eichler und Dieter Rams © Braun Archiv

Erinnern wir uns: 1955, als Rams bei Braun eingestellt wurde, zunächst als Innenarchitekt, gab es dort noch keine klassische Designabteilung. Es herrschte ein Klima der Neuorientierung: Eben waren die ersten Audio-Geräte mit betont sachlicher Designlinie auf den Weg gebracht worden. Den Startschuss bildete ein denkbar schlichter, in Leichtbauweise konzipierter Messestand auf der Funkausstellung in Düsseldorf. Was dort gezeigt wurde, war sozusagen „The Birth of the Cool“: Es war die Geburtsstunde einer neuen Formensprache. Die gestalterische Radikalität, mit der damals das gesamte Programm umgebaut wurde, ist bis heute beeindruckend. So etwas geht nur in einem Unternehmen, das von mutigen Inhaberinnen oder Inhabern geführt wird, die Neues wagen und ermöglichen, in diesem Fall: die Brüder Braun. Als ihr Vater Max 1951 plötzlich an einem Herzinfarkt starb, waren sie über Nacht zu den Lenkern des Frankfurter Unternehmens geworden. Damals erst 26 und 30 Jahre alt, sahen sie sich einem Produkt-Portfolio gegenüber, das aus ihrer Sicht nicht mehr in die Zeit passte: Dunkle, schwere Kisten waren das, die sich kaum von den Radios und Phonogeräten der Konkurrenz abhoben. Sie hatten textil verhüllte Lautsprecher, Zierleisten und behäbige Proportionen. Nun also sollten Braun-Geräte zum sichtbaren Ausdruck eines neuen, weltoffenen Deutschlands werden. Am strategischen Überbau dieses Projekts hatte Fritz Eichler großen Anteil – ein Schöngeist und Theatermann, der über Handpuppenspiel promoviert hatte und den Erwin Braun im Krieg kennengelernt hatte. Eichlers Rolle ist zweifellos vergleichbar mit der eines heutigen Brand-Managers, der in enger Zusammenarbeit mit der Unternehmensleitung die große Linie entwickelt und die Weichen für die Zukunft stellt. Eichlers Erfahrungen in Theater und Film mögen nicht gerade die klassischen Voraussetzungen gewesen sein, die auf die Leitungsaufgaben in einem Unternehmen vorbereiten, das Elektrogeräte herstellt. Im Nachkriegs-Deutschland indes zählten oft persönliche Verbindungen, wie die zwischen ihm und Erwin Braun, mehr, als eine der Jobbeschreibung entsprechende Ausbildung. Der Theaterregisseur Fritz Eichler wurde in den fünfziger und sechziger Jahren zum Regisseur der Marke Braun – im Zusammenspiel mit den verschiedenen Teams schuf er ein überzeugendes Gesamtbild: Produkt-Design, Packaging Design, Print-Anzeigen, Werbefilme und Messeauftritte zeigten einheitlich das Bild großer Schlichtheit – von einer kleinen Tonarmwaage bis zum Gebäudekomplex, in den man 1967 nach Kronberg wechselte.

Natürlich gibt es andere, noch frühere Beispiele gelungenen Corporate Designs, etwa das von Peter Behrens geprägte Erscheinungsbild der AEG. Aber was unter der Leitung von Fritz Eichler bei Braun in den 1950er und 1960er Jahren entstand, war auf ganz eigene Art innovativ und bahnbrechend. Es entstand ein Klima der Offenheit, gepaart mit einer klaren Haltung. Man schottete sich also nicht ab und legte top-down fest, wie die Dinge auszusehen hätten, sondern suchte den Dialog. Und genau diese Arbeitsweise ist ja einem Regisseur vertraut, der gemeinsam mit Schauspielerinnen und Schauspielern die Dramaturgie und Ästhetik eines Stückes entwickelt. Eichler, so lesen wir hier, sah rückblickend gar nicht so große Unterschiede der Rollen, die er in seinem Leben gespielt hat. In einem hier wiederveröffentlichten, von Hartmut Jatzke-Wigand geführten Interview drückte es Eichler am Ende seines Lebens so aus:

„Ein guter Theaterregisseur spricht mit den Schauspielern, er entwickelt und verwirft Szenen, verändert das Bühnenbild, versucht aus allen Bereichen des Lebens Anregungen zu bekommen. Er ist dabei ständig im Gespräch, er fasst zusammen, er muss an sein Budget und an die Zuschauer – und auch an die Kritiker denken. Diese Arbeitsweise brachte ich bei Braun ein. Dazu meine künstlerisch orientierte Sichtweise – ich male ja selber gerne und es ist im Alter mein erfüllender Lebensinhalt. […] Meine Arbeit bei Braun unterschied sich also gar nicht so sehr von meiner Theater- und Filmarbeit. Ich war der Gesprächspartner.”

Und genau mit dieser Haltung ist Eichler wieder sehr zeitgemäß – und diese Publikation wird auf dem Umweg einer spannenden Lebensbeschreibung zum Lehrbuch, wie man Menschen und Prozesse erfolgreich lenkt. Denn auch heute führt man kreative Teams am besten durch Motivation, Offenheit und Dialogbereitschaft – das ist die wichtige und sehr aktuelle Botschaft dieses Buches.


Fritz Eichler – Der Regiemann

Herausgegeben vom Förderkreis BraunSammlung e.V.

deutsch/englisch

130 Seiten, Hardcover, 28 Euro


Mehr auf ndion

Kennen Sie eigentlich Dieter Rams
Man muss sich etwas einfallen lassen – 100. Geburtstag von Hans Gugelot


Diese Seite auf Social Media teilen:

Print Friendly, PDF & Email