Eines ist klar: Was die Gen Z antreibt, ist der Blick nach vorne. Dabei geht es ihr nicht um Fortschritt im Sinne des „Höher, Schneller, Weiter“, sondern um eine intelligente wie zukunftsorientierte Anpassung an und Verbesserung von aktuellen Gegebenheiten. Es geht ihr dabei weniger um Individualismus als um kollektive Werte. Es geht ihr um Gerechtigkeit und darum, unseren Planeten lebenswert zu erhalten. Die junge Generation von Designer*innen beweist dabei ein feinfühliges Gespür für Notwendigkeiten, das sich scharfsinnig zwischen Idealismus und Realismus bewegt. Es geht um Veränderung hin zum Guten. Wir haben uns die fünf Newcomer-Finalist*innen des German Design Award 2023 und ihre Designhaltungen näher angeschaut. Im Interview verraten sie, was ihre Arbeit ausmacht und was sie bewegt.
Redaktion: Rebecca Espenschied, Interviews: Dirk Wunder
Tobias Trübenbacher – German Design Award Newcomer 2023
„Wir leben in Zeiten, die dringend einen radikalen Umbruch erfordern.“
Tobias Trübenbacher studierte Industriedesign in München und an der UdK in Berlin, wo er 2021 sein Studium abschloss. Praxiserfahrungen sammelte er u.a. bei Studio Mark Braun oder Konstantin Gricic. In seiner Arbeit konzentriert sich Tobias Trübenbacher auf Social Design, Nachhaltigkeit und die Entwicklung neuer Lösungen für ökologische Probleme und globale Herausforderungen. Derzeit arbeitet er an der TU München am Lehrstuhl für Architektur und Design auf der Schnittstelle zwischen (Produkt-)Design und großmaßstäblicher Architektur bzw. Urban Design. Sein Ziel ist dabei das Erlangen eines ganzheitlichen Blickes auf die uns umgebende Welt und den (leider bislang überwiegend zerstörerischen) Einfluss menschlicher Gestaltung, um daraus Lösungen für einen besseren Umgang mit Materialien und post-anthropogene Herstellungs- bzw. Recyclingverfahren abzuleiten.
Was macht für Sie „zeitgemäßes Design„ aus? Welche Kriterien müssten besonders erfüllt sein?
Wir leben in Zeiten, die dringend einen radikalen Umbruch erfordern – auf sämtlichen Ebenen unserer von Kapitalismus ausgeprägten Lebensgewohnheiten. Zeitgemäßes Design ist daher für mich immer auch ein Transformationsdesign, das sich einer Mitgestaltung dieses Wandels verschreibt und interdisziplinär Ansätze dafür entwickelt.
In einem Projekt beschäftigen Sie sich mit der Kultivierung von Mehlwürmern. Was genau hat es mit dem Projekt auf sich?
Mehlwürmer sind ein grandioses Superfood, wenn es um Belange der Nachhaltigkeit und Ressourceneinsparung geht: Sie sind extrem nahrhaft, benötigen kaum Wasser, leben auch in natürlicher Umgebung auf minimalem Raum zusammen und können auf der Basis von industriellen Abfallprodukten (wie Weizenkleie) leben – obendrein sind sie einfach superlecker. Gleichwohl sind Insekten in unserer [europäischen] Esskultur bislang fremd und Menschen begegnen der Speise daher meist mit Abscheu oder Ekel. Um das zu ändern, habe ich einen mobilen Foodtruck entwickelt, der Menschen aktiv mit dem Nahrungsmittel und dessen Vorteilen konfrontiert und so den Konsum von Insekten in unserer Gesellschaft etablieren soll.
Bei den von Ihnen vorgestellten Projekten spielt das Thema Licht eine zentrale Rolle. Welches der Projekte liegt Ihnen am meisten am Herzen?
Am meisten am Herzen liegt mir sicherlich das Projekt PAPILIO, da es Lösungen für gleich zwei große Herausforderungen in unserem alltäglichen, recht unreflektierten Umgang mit Licht schafft: Bei der Straßenlaterne wird einerseits die zur Beleuchtung benötigte Energie klimaneutral mittels Windrotor generiert, andererseits schaltet sich das Licht wieder aus, sobald sich keine Menschen in der Umgebung aufhalten, um so die immer gravierendere Lichtverschmutzung wie auch den Energieverbrauch zu minimieren.
Anna Koppmann – Newcomer Finalistin 2023
„Von der Klimakrise, über das Waldsterben bis hin zur mangelnden Zivilcourage gibt es Antworten, die das Produktdesign liefern kann.„
Anna Koppmann studierte zunächst Modedesign in München, bevor sie 2016 das Studium für Product Design an der Universität der Künste in Berlin begann, das sie 2021 mit dem Bachelor of Arts abschloss. Bei Thomas Demand oder Sarah Illenberger in Berlin und Simone Post in Rotterdam sammelte sie praktische Erfahrungen. Aktuell ist sie Stipendiatin des CREATIVE PROTOTYPING Förderprojekts, das von der UdK Berlin vergeben wird. Das Thema Zivilcourage steht bei ihrer Arbeit im Fokus.
In Ihrem Portfolio haben Sie Ihre Arbeit in drei große Themenbereiche unterteilt. Welche sind das – und was ist davon von besonderer Bedeutung für Sie?
Ich habe mich drei wichtigen Fragen unserer Zeit gewidmet: Wie wollen wir zusammenleben? Wie können wir Energie in den eigenen vier Wänden sparen? Und wie können wir die Produktion ökologisch nachhaltiger gestalten? Ich möchte mit meinen Produkten zeigen, dass das Produktdesign praktische Antworten auf diese Fragen liefern kann. Besonders am Herzen liegt mir das Thema Zivilcourage, weswegen ich das Produkt „First Aid Gloves“, einen mit Erste-Hilfe-Anweisungen bedruckten Einweghandschuh als „Spickzettel zum Leben retten“, entwickelt habe.
Mit diesen Themen decken Sie einen großen Bereich der Welt ab. Gibt es darüber hinaus dennoch Themen, die Sie interessieren würden? Vielleicht in der Zukunft?
Als Produktdesignerin möchte ich mit klimakonformen Produkten Alternativen aufzeigen, die eine zunehmend autarke Lebensweise fördern, statt die Klimakrise zu befeuern. Ein Beispiel dafür ist das Projekt Plus Minus 25°C – ein Vorhang, der durch seine Beschichtung die Raumtemperatur stromfrei regulieren kann. Ich fände es in Zukunft spannend, auch das Thema Solarenergie verstärkt in unseren Wohnräumen und unseren Lebensalltag zu integrieren.
Paula Keilholz – Newcomer Finalistin 2023
„Ich möchte gesellschaftlich relevante Fragen stellen.“
Paula Keilholz schloss ihr Modestudium 2020 an der Universität der Künste Berlin ab und absolviert aktuell das Masterstudium, Transformation Design an der HBK Braunschweig. Dem war ein 2014 begonnenes Psychologiestudium vorausgegangen, was die Stärke der Designerin, analytisch-methodisches und praktisch-gestalterisches Wissen zu verbinden, unterstreicht. Sie absolvierte diverse Praktika, unter anderem bei Chloé in Paris, und verbrachte ein Semester an der Kingston University London. In ihrer Arbeit erforscht die Designerin die Wechselwirkung zwischen materiellen und funktionalen Eigenschaften von Mode sowie deren Wertschöpfungsprozesse. Hierfür sucht sie nach alternativen/spekulativen Szenarien.
Worin sehen Sie für sich und Ihre Arbeit die größten Herausforderungen heute und künftig im Bereich Modedesign?
Ich möchte gesellschaftlich relevante Fragen stellen und mit und durch das Medium Mode über wünschenswerte Mode-Zukünfte nachdenken. Ich widme mich nicht nur der dringend notwendigen materiellen Nachhaltigkeit von Mode, sondern frage beispielsweise, welche Werte ein bestimmter Trend kommuniziert. Auch: Was für Handlungsaufforderungen liegen in Kleidungsstücken?
Wie gehen Sie in Ihrer Arbeit mit dem Thema Diversität um?
Intersektionale Perspektiven auf Design und der Wunsch nach Diversität in allen Bereichen des Designs sind für mich essenziell. Modearbeit, bei der vor allem die Produktionsarbeit rassifiziert und gegendert ist wie die Arbeit von weiblich gelesenen Menschen in Südostasien, unterstreicht die Notwendigkeit von diverser Repräsentation und intersektionalen Perspektiven auf Herstellungsweisen.
Tim Schütze – Newcomer Finalist 2023
„Critical making – damit stelle ich den demokratischen Anschein der Make-Kultur in Frage.“
Tim Schütze studierte er von 2016 bis 2021 Industrial Design an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. 2020 unterbrach er, um für ein Semester an der Bezalel Academy of Arts and Design, Jerusalem sein Wissen im Bereich Handwerk und Visuelle Kommunikation zu vertiefen. Seit 2021 studiert Tim Schütze an der Universität der Künste in Berlin Produktdesign. Parallel dazu sammelt er praktische Erfahrungen als Tutor und als Freelancer. Ein wichtiger Schwerpunkt seiner Arbeit von Tim Schütze ist die Förderung von Gleichstellung und Vielfalt in der Gesellschaft durch gendersensibles Design.
Woran arbeiten Sie zurzeit?
Für meine Masterarbeit beschäftige ich mich gerade mit dem Thema „critical making„. Dabei stelle ich den demokratischen Anschein der Make-Kultur in Frage und untersuche, wie sich u.a. Bildungsstand, Patriarchat, Geschlechterrollen, Herkunft und Klasse überschneiden und Making als zugänglich oder unzugänglich definieren.
In Ihrem Portfolio stellen Sie sehr unterschiedliche Arbeiten vor. Welches Ihrer Projekte hat für Sie eine besondere Bedeutung?
PRO/CESS ist definitiv ein Herzensprojekt von mir. Es verfolgt einen politischen Anspruch und nutzt zur Umsetzung innovativer Technologien. Ein interessantes Spannungsfeld, in dem ich auch meine zukünftige Arbeit sehe.
Katharina Düing – Newcomer Finalist 2023
„Zeitgemäße Gestaltung ist für mich die, die bestehende Strukturen und Machtverhältnisse hinterfragt.“
Katharina Düing absolvierte an der Ecosign – Akademie für Gestaltung in Köln ein Bachelor-Studium im Bereich Nachhaltiges Design und macht dort seit 2022 ihren Master. In ihrer gestalterischen Arbeit setzt sich Katharina Düing schwerpunktmäßig mit sozialer Nachhaltigkeit auseinander, übersetzt aktuelle gesellschaftliche Themen wie Diskriminierung, Diversität, Feminismus, Social Justice und mentale Gesundheit in Graphic Novels und andere Formate. Dabei arbeitet sowohl als Illustratorin als auch als Grafikdesignerin, und beschäftigt sich zudem aktuell mit dem Thema Malerei.
Was macht für Sie „zeitgemäßes Design„ aus? Welche Kriterien müssten besonders erfüllt sein?
Zeitgemäße Gestaltung ist für mich die, die bestehende Strukturen und Machtverhältnisse hinterfragt, Handlungsräume erweitert, neue Darstellungsformen bietet und immer antifaschistisch ist. Besonders wichtige Kriterien sind Zugänglichkeit, zielgruppengerechte Sprache, Diversität und Inklusivität.
Das von Ihnen präferierte Projekt trägt den Namen „Back on top in June„. Können Sie kurz präzisieren, was genau sich dahinter verbirgt?
Der Titel der Graphic Novel geht aus Frank Sinatras ‚That’s life‘ hervor. Die Aussage verkörpert, dass, wie der Psychologe Thomas Bock sagt, jede Hilfe nur an der inneren Hoffnung ansetzen kann, an dem „Entsinnen“, dass auch diese Stimmung wieder vergeht. Ziel der Arbeit ist es, diese Hoffnung zu bestärken.
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