Mugendi M’Rithaa ist Industriedesigner, Professor und Pädagoge aus Kenia. Er hat weltweit gearbeitet und gelehrt und war der erste afrikanische Präsident der Weltdesignorganisation (WDO). Wir sprachen mit ihm über Design, Nachhaltigkeit und darüber, was Design aus Afrika auf einzigartige Weise beitragen kann.
Interview: Jan Pfaff.
Herr Prof. M’Rithaa, wie definieren Sie die Rolle und Bedeutung von Design? Und gibt es eigentlich Trends und Besonderheiten, die das Design afrikaweit miteinander verbinden?
Ich bezeichne mich selbst als jemanden, der sich leidenschaftlich für Afrika, Design und Innovation einsetzt. Das Design in Afrika hat seine Wurzeln in den handwerklichen Traditionen, hat aber in letzter Zeit seinen größten Ausdruck in der Musik und der Mode und zunehmend in verschiedenen Produkten gefunden.
Darüber hinaus beginnt die Gestaltung aber auch, andere Bereiche wie Industriedesign, Grafikdesign usw. einzubeziehen. Man kann das afrikanische Design nicht wirklich eingrenzen. Ich behaupte, dass es bestimmte gemeinsame Elemente gibt, aber die Vorstellung von einem allgemein afrikanischem Design ist nicht wirklich realistisch.
Welche Rolle spielt die Designausbildung? Ist sie auch einzigartig für verschiedene Regionen und Kulturen?
Das ist eine interessante Frage. Denn ein Großteil des Designs ist, wenn wir ehrlich sind, historisch gesehen in Europa entstanden. Insbesondere das Wort Design, das aus dem Lateinischen kommt, und die Designschulen, die vor allem am deutschen Bauhaus und später an der Ulmer Hochschule für Gestaltung entstanden sind. Das sind die wichtigsten Schulen, denen wir in weiten Teilen Afrikas gefolgt sind, auch wegen der Kolonialgeschichte Afrikas.
Der anglophone Teil Afrikas hatte eine sehr britisch geprägte Designausbildung, und der frankophone Teil, der hauptsächlich Westafrika umfasst, hatte eine sehr französisch geprägte Designtradition. Aber wenn man die Kernelemente herausdestilliert, sind sie sehr ähnlich. Design als moderner Beruf ist konsistent, egal ob man sich in Asien, in Afrika oder in Europa befindet. Der Unterschied liegt vielleicht in der Infrastruktur, die man zur Verfügung hat, um zukünftige Designerinnen und Designer auszubilden. Aber die grundlegenden Werkzeuge, die Kernelemente und Prinzipien des Designs sind auf allen Kontinenten gleich.
In einer Ihrer Präsentationen betonen Sie den Einfallsreichtum der Menschen bei der Wiederverwendung und Umfunktionierung von Gegenständen, um sie ihren Bedürfnissen anzupassen. Ist diese Herangehensweise an Materialien typisch afrikanisch oder eher das Ergebnis einer wirtschaftlichen Notwendigkeit?
Philosophisch gesehen sind die Menschen in Afrikan sehr biophil, sie sind sehr freundlich zur Natur. Die Idee der Abfallvermeidung ist etwas, das wir zu schätzen gelernt haben, denn wir wissen, dass alles genutzt wird, egal ob es sich um einen Baum, eine Frucht oder ein Lebensmittel handelt.
Ich denke, die Nachhaltigkeitsbewegung hat weltweit gezeigt, dass diese Art des Denkens tatsächlich das ist, was die Welt braucht. Und sie hat diejenigen Designerinnen und Designer belohnt, die sich bereits mit dem Recycling oder der Wiederverwendung von Materialien beschäftigt haben. Sei es, dass sie zum Beispiel Reifen recyceln und sie in Couchtische oder Kissen verwandeln: Nachhaltigkeit ist jetzt nicht mehr nur eine periphere oder marginale wirtschaftliche Aktivität, sondern etwas zutiefst Philosophisches und sehr Relevantes für die Gespräche, die wir über Nachhaltigkeit und die Notwendigkeit eines bewussteren Umgangs mit Abfall führen.
Ist diese traditionelle Affinität zur Nachhaltigkeit eine Chance für Afrika, wirtschaftlich von dem Paradigmenwechsel zu profitieren, den die Welt gerade erlebt?
Afrika hat Ressourcen traditionell als endlich angesehen und daher immer versucht, den Nutzen zu maximieren. Die parallele Entwicklung in den Bereichen Recycling, Upcycling, Umstellung von der Wiege-zur-Bahre-Mentalität auf die Wiege-zur-Wiege-Mentalität und das zweite Leben im Produktdesign – all das hat diese Vision definitiv unterstützt. Außerdem behaupte ich oft, dass, wenn Not erfinderisch macht, Afrika eine Supermacht in Sachen Innovation sein sollte.
Und ich denke, dass es Afrika oft an kreativem Selbstvertrauen mangelt, weil es nicht erkennt, dass das, was es ohnehin schon nachhaltig tut, durch Design bauartbestimmt nachhaltig werden könnte. Die Herausforderung für professionelle Designer/innen und Designpädagog/innen besteht darin, die Menschen in Afrika zu ermutigen, Nachhaltigkeit mit Zuversicht anzunehmen und nicht entschuldigend zu sagen, dass wir nur wenige Materialien haben und deshalb nachhaltige Dinge tun. Stattdessen sollen sie sagen: „Wir sorgen uns um unseren Planeten und deshalb wollen wir nachhaltiges Design unterstützen!“
Beim Recycling sollte es nicht nur um Materialien gehen, die aus der industriellen Produktion stammen, sondern auch um einheimische Wissenssysteme sowie um traditionelles und lokales Wissen.
„Wir sorgen uns um unseren Planeten und deshalb wollen wir nachhaltiges Design unterstützen!“
— Mugendi M’Rithaa
Werden diese bereits zu Produkten entwickelt?
Ja. Es gibt zum Beispiel ein natürliches Material, das als „Barkcloth“ bekannt ist und in Kenia und auch Uganda vorkommt. Es wird aus der Rinde eines einzigartigen Baumes hergestellt, der in diesen Regionen heimisch ist. Er regeneriert sich immer wieder und produziert eine ganz besondere Art von Stoff, aus dem alle möglichen Produkte, Kleider usw. hergestellt werden können. Wenn wir dieses Produkt, das schon unsere Vorfahrinnen und Vorfahren kannten, wertschätzen und neu und modern interpretieren, freuen sich sogar unsere eigenen Landsleute umso mehr, weil sie erkennen, dass es einen großen Reichtum gibt.
Gibt es auch in anderen Bereichen interessante Beispiele?
Das Schöne am afrikanischen Design ist das Konzept eines Freundes aus Italien, Professor Ezio Manzini, der oft über das Konzept des Leapfrogging spricht. Und das Einzigartige am afrikanischen Design ist das Potenzial für Leapfrogging. Wenn man also vom traditionellen Produktdesign zum digitalen Raum übergeht, gibt es viele Beispiele für digitale Anwendungen, wie M-Pesa. Ursprünglich wurde es von Safaricom entwickelt, dem größten Internet- und Mobiltelefonanbieter in Kenia. M-Pesa bedeutet im Grunde mobiles Geld; „Pesa“ bedeutet Geld, „M“ steht für mobil. Anschließend wurde es in anderen Teilen Afrikas und in Indien getestet. Es gibt auch Hello Paisa in Südafrika, das inzwischen in vielen anderen Teilen der Welt zu finden ist, aber seinen Ursprung in Kenia hat.
M-Pesa basierte im Wesentlichen auf Vertrauen, denn die Menschen in Kenia schickten früher Geld an ihre Verwandten im Dorf. Sie kauften Waren und schickten sie an den Ladenbesitzer, der seinen Verwandten dann Bargeld gab. Die Währung des Austauschs ist also nicht Geld, sondern Vertrauen. Auf der Grundlage von Vertrauen als Tauschwährung entwickelte sich das System auf natürliche Weise aus einer Praxis, die die Kenianer/innen bereits vor der Schaffung einer formellen Plattform ausgeübt hatten.
Es gibt auch M-Tiba, eine Plattform für finanzielle Gesundheit. Sind die Systeme verwandt?
Es handelt sich buchstäblich um dieselbe mobile Art von Infrastruktur, aber es geht um Gesundheitsdienste und nicht so sehr um Finanzdienstleistungen. Es gibt auch M-Kopa, einen Dienst, der es den Menschen ermöglicht, kleine Geldbeträge zu leihen, um beispielsweise in Solarenergie zu investieren. Es gibt also eine ganze Reihe von Ablegern. M-Pesa hat gezeigt, dass man kein Smartphone braucht, um Geschäfte zu machen. Man konnte ein ganz einfaches Mobiltelefon benutzen, sogar eines ohne Touchscreen, bis hin zu Smartphones. Und es wurden Apps entwickelt, die sowohl mit intelligenten Geräten als auch mit Computern, die mit dem Internet verbunden sind, funktionieren. Die Vielseitigkeit der Plattform eröffnete die Möglichkeiten für all die anderen Dienste, die hinzugekommen sind.
Ist Kenia, angesichts der vielen digitalen Entwicklungen, die von dem Land ausgehen, ein Wegbereiter für die Informationstechnologie in Afrika?
Es ist eines der wichtigsten Knotenpunkte. Ein weiterer befindet sich in Accra in Ghana, ein weiteres in Kairo in Ägypten und auch in Kapstadt in Südafrika. Es gibt also eine ganze Reihe interessanter Zentren, und Nairobi ist eines davon. Auch die Regierung hat die Bedeutung der innovativen Denkweise der meisten Kenianerinnen und Kenianer erkannt.
Die Konza Technopolis, ein riesiger Industrie- und Technologiepark, wird als „Silicon Savannah“ errichtet. Hier kommen große Unternehmen aus dem Ausland, aus Korea, Südkorea und China sowie alle anderen Akteure des IT-Sektors zusammen, um Lösungen für die Zukunft des Kontinents zu entwickeln.
Welche anderen Erfolgsgeschichten in Sachen Innovation sollten die Menschen in Europa und Deutschland kennen?
Ein einzigartiges Beispiel ist ein Elektrobus, der in Uganda entwickelt wurde. Sie nutzen Solarenergie, um sie an verschiedenen Stationen aufzuladen. Es gibt auch ein Beispiel für einen Drohnenhafen in Kigali, Ruanda, wo der erste Drohnenhafen der Welt entwickelt wurde, um medizinische Pakete und Päckchen in die ländlichen Teile Ruandas zu liefern.
Ruanda ist ein sehr hügeliges Land, und mit diesen Drohnenhäfen können wichtige Medikamente und sogar Blut für Transfusionen innerhalb von etwa 17 Minuten in jeden Teil des Landes geliefert werden. Dies sind also schöne Beispiele für das Leapfrogging in Afrika. In Accra in Ghana gibt es überdies ein Robotik-Netzwerk, das 10-Dollar-Roboter entwickelt hat, die in der Landwirtschaft und anderen Bereichen eingesetzt werden können.
Kapstadt hatte bereits 2014 ein Elektrofahrzeug entwickelt, das bereits als Prototyp gebaut wurde. Es hieß Optimal Energy Joule, benannt nach der Einheit der Energie. Leider kam es nicht zur Kommerzialisierung. Aber jetzt hat Uganda sein eigenes Modell entwickelt, den Kiira, der von der Regierung finanziert wird. Die genannten Busse werden derzeit für den Export in andere Teile Afrikas hergestellt.
Ein Nachteil der zunehmenden Urbanisierung auf der ganzen Welt ist, dass die bebaute Umwelt eine der größten Verschmutzungsquellen ist. Wie wird dem Rechnung getragen?
Wenn die Regierungen richtig planen und die Infrastruktur in einer integrativen Art und Weise gebaut wird, können einige der Herausforderungen gemildert werden. Auch hier greife ich auf das Konzept des Leapfrogging zurück: Europa hat viele Jahrhunderte gebraucht, um das heutige Niveau der Infrastruktur zu erreichen. In Afrika sind die größte Herausforderung die unzulässigen Siedlungen in den Städten, die sich nicht an die Bauvorschriften halten.
Dezentrale erneuerbare Energien, Elektrofahrzeuge innerhalb der Stadtgrenzen, öffentliche Verkehrsmittel im Gegensatz zum Individualverkehr sind ein besserer Weg, der auch die Umweltverschmutzung reduziert. Wichtig ist auch die Art und Weise, wie wir mit Abfällen umgehen, den Mülldeponien. Das Sammeln verschiedener Materialien und das Recycling an der Quelle helfen dabei. Da Afrika mit 55 Ländern und 1,3 Milliarden Menschen sehr groß ist, sind einige Länder schneller am Ziel als andere.
Des Weiteren gibt es im Rahmen der Afrikanischen Union die NEPAD, eine gleichberechtigte Initiative, deren teilnehmende Länder versuchen, voneinander zu lernen und Best Practices zu entwickeln. Es gibt eine Herausforderung, daran besteht kein Zweifel. Vor allem die Bereitstellung von angemessenem Wohnraum für eine sehr junge und sehr schnell wachsende Bevölkerung. Der Wohnungsbau ist also die größte Herausforderung, die wir zu bewältigen haben, ebenso wie die Schaffung ausreichender Verkehrsmittel, die gleichzeitig auch nachhaltig sein müssen.
Mit der Bevölkerung werden auch die Märkte wachsen. Was bedeutet das für das Design in den Afrikanischen Wirtschaften, sowohl regional als auch allgemein?
Das ist eine gute Sache. Das 21. Jahrhundert ist meiner Meinung nach das Zeitalter des Designs, denn mehr als die Hälfte der Menschheit lebt heute bereits in Städten. Die Rolle des Designs wird in Zukunft noch wichtiger werden. Ein weiterer Aspekt ist die vierte industrielle Revolution und die Lösungen, die sich aus dieser Art des Denkens ergeben.
Da Deutschland, die USA und China in diesem Bereich führend sind, könnte Deutschland eine sehr wichtige Rolle dabei spielen, sein Wissen und sein technologisches Know-how mit afrikanischen Gemeinschaften zu teilen, die versuchen, die vierte industrielle Revolution mit Design zu nutzen. Und das ist eine sehr spannende Möglichkeit: Wie können wir Big Data nutzen, um den Klimawandel einzudämmen, wie können wir die Gesundheit verbessern, sogar die psychische Gesundheit, die durch die COVID-Pandemie ziemlich stark beeinträchtigt wurde.
Ich bin beeindruckt von der Art und Weise, wie Deutschland die grünen Technologien, insbesondere die Windenergie, angenommen hat. Ich bin beeindruckt von den öffentlichen Verkehrssystemen, die meiner Meinung nach Weltklasse sind und zur Nachahmung empfohlen werden. Ich würde gerne mehr Austausch fördern, insbesondere kreative Ideen und Designlösungen, die zwischen Afrika und Deutschland und anderen Ländern guten Willens ausgetauscht werden können.
Vielen Dank für das Interview!
Africa Sourcing & Fashion Week
Die Africa Sourcing & Fashion Week (ASFW) in Addis Abeba ist die größte Fachveranstaltung des afrikanischen Kontinents für die Textil-, Bekleidungs- und Modeindustrie. Die Messe wird von Designer/innen, Unternehmer/innen und Besucher/innen aus dem Afrika und der ganzen Welt besucht. Die Veranstaltung bietet reichlich Gelegenheit zur Vernetzung und Zusammenarbeit zwischen Designer/innen, Unternehmen und Designexpert/innen. Äthiopien ist ein wachsender Produktions- und Wirtschaftsstandort für Textilien und Bekleidung und gewinnt zunehmend an Bedeutung für die internationale Textilindustrie. ASFW findet vom 4.–7. November 2022 in Addis Abeba statt.
Als Organisator der ASFW zeichnete sich Skander Negasi verantwortlich. Als Repräsentant des Rat für Formgebung für Subsahara-Staaten ermöglichte er so den über 350 Mitgliedsunternehmen des Rat für Formgebung, auf der Messe wertvolle Kontakte mit internationalen Designer/innen und Unternehmen zu knüpfen.
Erfahren Sie mehr über die internationalen Repräsentanzen des Rat für Formgebung.
Der Design Networking Hub
Gefördert durch das Auswärtige Amt entwickelt die Stiftung Deutsches Design Museum den „Design Networking Hub“ – eine zeitgemäße Wissens- und Netzwerkplattform zur Unterstützung deutsch-kenianischer Kooperationsprojekte im Bereich Design.
Der Design Networking Hub wird alle essentiellen Informationen für die Umsetzung deutsch-kenianischer bzw. internationaler Kooperationsprojekte bereitstellen. Damit entsteht eine praxisorientierte Informationsquelle für die Kultur- und Kreativwirtschaft beider Länder, die Designer/innen, Architekt/innen und Kreative verschiedener Disziplinen vernetzt und sie befähigt, selbstständig Kooperationsprojekte zu initiieren und umzusetzen.
Um das Informationsangebot des Design Networking Hubs maximal nutzungsorientiert zu gestalten, wurde eine Pilotgruppe aus zehn deutschen und kenianischen Jungdesigner/innen und -architekt/innen zusammengestellt, die in kleinen Teams den gesamten Prozess eines bilateralen Kooperationsprojekts durchlaufen. Gemeinsam entwickeln sie neue Produkt-, Geschäftsideen oder gemeinnützige Konzepte in den Bereichen Mobilität, Wohnen und Digitalisierung. Der Projektverlauf wird auf der Website des Design Networking Hubs dokumentiert.
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