Er gehört fraglos zu den engagiertesten Persönlichkeiten der deutschen Designszene: Tassilo von Grolman. Als Designer dachte er schon früh transdisziplinär und bewegte sich auf vielen Gestaltungsfeldern. Als Mitgründer des Deutschen Designer Clubs (DDC) verhalf er Kolleg*innen zu mehr Gehör in Unternehmen – und in den Medien. Eine Würdigung zum 80. Geburtstag am 23. Dezember 2022.
Von Gerrit Terstiege.
Eigentlich wird jetzt erst, in der Rückschau auf sein Werk deutlich, wie sehr zwei weit auseinander liegende Pole die Entwurfsarbeit und die Haltung Tassilo von Grolmans beeinflusst haben. Da ist einerseits seine große Bewunderung für Einfachheit und Klarheit, andererseits aber auch sein Hang zum Experimentellen und Spielerischen, der auch Humor und das bewusste Wecken von Emotionen miteinschließt. Wollte man diese beiden divergierenden ästhetischen Pole auf den Punkt bringen, könnte man das Bauhaus und die HfG Ulm auf der einen Seite nennen – und auf der anderen Seite das oft augenzwinkernde, nicht ganz so ernste, „künstlerische Design”, das wir aus Italien kennen und mit Namen wir Alessandro Mendini, Ettore Sottsass oder Anna Castelli-Ferrieri verbinden. Aber kann man sich als Designer*in wirklich zugleich der Moderne wie auch der Post-Moderne verbunden fühlen? Von Dieter Rams genauso begeistert sprechen wie von Philippe Starck? Tassilo von Grolman kann! Und sogar ohne mit der Wimper zu zucken – oft im unserem Gespräch lacht er laut auf. Der großgewachsene Mann hat ein gewinnendes Wesen, das ihm sicher oft geholfen hat, Unternehmen für seine Ideen zu begeistern, Menschen zu verbinden und Projekte auf die Schiene zu bekommen.
„Geht nicht, gibt’s nicht.“
1942 in Iserlohn geboren, machte von Grolman zunächst eine Lehre zum Maschinenschlosser bei der AEG in Oldenburg. An ein Erlebnis aus dieser Zeit, Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre erinnert er sich noch gut: Als Lehrling regte er sich gegenüber den AEG-Ingenieuren über den aus seiner Sicht misslungenen Griff am Stab-Staubsauger „Vampyrette” auf – und riet ihnen, doch mal zu schauen, was die Konkurrenz zu dieser Zeit bei Braun so machte. Ein überraschend selbstbewusster Auftritt. „Übers Wochenende zeichnete ich einen Griff mit ansprechenderem Design, den ich dem Chef der Versuchsabteilung zeigte. 25 DM bekam ich für diesen Verbesserungsvorschlag, das war für einen Lehrling damals ein Monatslohn. Letztlich aber gab das den Ausschlag, mein Interesse für das Industrial Design weiter zu verfolgen.” Doch hielt sein Vater Design für „brotlose Kunst” und so musste von Grolman erst einmal Maschinenbau studieren und sich in der Welt der Formeln und DIN-Normen zurechtfinden. „Den Sinn für Ästhetik, für schöne Dinge – den habe ich von meiner Mutter.” In den frühen 1960er Jahren flüchtete er sich auf die Weltmeere, auch um nicht zur Bundeswehr eingezogen zu werden und lernte an Bord den Spruch „geht nicht, gibt´s nicht” – was seine Haltung auch in Gestaltungsfragen prägen sollte. 1967 dann war den Weg endlich frei, Design zu studieren: „Ich wollte nach Ulm. Es musste natürlich die HfG in Ulm sein!” Ein Anruf im dortigen Sekretariat zerstörte indes seinen Traum jäh: die Hochschule stand kurz vor der Schließung. Vielleicht aber war genau das etwas, das die Engländer „a blessing in disguise” nennen – ein Segen, maskiert als Enttäuschung. Denn so kam Tassilo von Grolman in ein studentisches Umfeld, das er aus heutiger Sicht als sehr offen und frei beschreibt: die damalige Werkkunstschule in Kassel. Hier prägten ihn nicht nur Designer wie Jupp Ernst, Herbert Oestreich und Günter Kupetz. Sondern er war auch Assistent bei Arnold Bode, dem Gründer der documenta in Kassel. „Von Bode habe ich gelernt, dass alles mit allem zusammenhängt: Kunst, Design, Architektur, Innenarchitektur, Grafik, Fotografie, Typografie …” Vielleicht kommt daher von Grolmans unbedingter Gestaltungsdrang, auch jenseits der Grenzen des Produktdesigns. Als er 1989 den Deutschen Designer Club (DDC) ins Leben rief, war der Einbezug aller Designdisziplinen sein entscheidender Antrieb. Tassilo von Grolman war von der Arbeit anderer Verbände enttäuscht, holte sich Inspirationen im Ausland und folgte seinem Credo: „Verbände brauchen Durchsetzungskraft”.
Es ging ihm darum, durch Veranstaltungen, Publikationen und Wettbewerbe eine stärkere Aufmerksamkeit dafür zu schaffen, was Designerinnen und Designer leisten können: für die Industrie, wie für die Gesellschaft. In den 1970er und 1980er Jahren, der Hochphase der Postmoderne also, wechselte von Grolman nach Frankfurt und lernte bei den Agenturen TBWA und Lürzer Conrad auch die Werbeszene kennen, und entwarf zahlreiche Verpackungsdesigns und Brandings. Noch heute finden sich in seiner Bibliothek in Berlin zahlreiche Bücher zu den legendären Köpfen, die das Corporate wie auch das Grafik-Design im 20. Jahrhundert geprägt haben: Paul Rand, Wally Olins, Milton Glaser, Willy Fleckhaus … um nur die wichtigsten zu nennen. Ein Blick in die im Verlag form erschienene Monografie über den Gestalter zeigt, in welchen weit auseinander liegenden Feldern er aktiv war – vom Packaging und Interior Design bis zu Dingen wie einem Gürtelhänger in Form eines Kleiderhakens oder einem rein funktionalen Gaszähler („Von den Stückzahlen her, sicher einer meiner Bestseller. Wenn ich da nur Lizenzen bekommen würde!”) Das Buch fungierte gleichzeitig als Katalog einer von Grolman-Retrospektive im Institut für Neue Technische Form in Darmstadt, die im Januar 2001 gemeinsam mit dem Werkbund Hessen eröffnet wurde. Mit Ende 50 war der Gestalter damit also bereits musealisiert – mittlerweile haben einige internationale Museen Grolman-Entwürfe in ihre ständigen Sammlungen aufgenommen.
Zur „Mona-Lisa“ des Teegenusses
Heute verbindet man mit seinem Namen vor allem Objekte aus dem Bereich „gedeckter Tisch”, Utensilien zum Kochen und Braten, zum Zubereiten und Warmhalten von Tee und Kaffee. Sehr erfolgreich wurden einige Thermoskannen, die von Grolman für den Hersteller Alfi entworfen hat – nicht zuletzt warben die „Tagesschau” und andere Nachrichtensendungen für diese Kannen, wenn die Kamera mal wieder über gedeckte Konferenztische schweifte. Fraglos zu einem modernen Klassiker wurde eine Teekanne für den Hersteller Mono, die mit einem wirklich innovativen Konzept aufwartete: Als passionierter Teetrinker (er bevorzugt „Earl Grey 69” von Gschwendner) kamen dem Gestalter viele klein dimensionierte Siebe „wie Gefängnisse” vor, die den Tee davon abhielten, sich in der ganzen Kanne zu verteilen und so sein volles Aroma zu entfalten. Das Besondere an dieser glasklaren Idee ist wohl, dass sie so einfach und einleuchtend ist – und sich auch als Objekt sofort erschließt. Aber von der ersten Idee bis zum fertigen Produkt verging Zeit: von Grolman musste sich auf die Suche machen nach einem Sieb in der gewünschten Größe, nach einem Glashersteller für den Prototypen, aber vor allem nach einem Unternehmen, das seinem Qualitätsanspruch entsprach – und auch seiner Vorstellung, für diese, seine „Mona Lisa” (O-Ton von Grolman) mit Lizenzen gebührend entlohnt zu werden. Am Ende war und ist wohl diese Kanne, die von Grolman mehrfach variiert und überarbeitet hat, sowohl für ihn wie auch für Mono ein Glückfall. Und was beschäftigt ihn aktuell? Der Designer lacht: „Das wird man auf der nächsten Ambiente sehen können!” Man darf gespannt sein – und gratulieren zum runden Geburtstag. Zumal von Grolman eine besondere Beziehung zum Runden hat, zu Kreisen und Ellipsen, zu umlaufenden Riffelungen, Schalen, Tassen, Tellern. Die Zahl 80, sie dürfte ihm gefallen. Auch und gerade ihre Form.
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