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Green City # 4: Die Transformation der Stadt ist äußerst komplex. Dazu braucht es viele Akteure an den unterschiedlichsten Stellen, die sich vernetzen, um intelligente Konzepte zu entwickeln, umzusetzen und kontinuierlich weiterzudenken. Und es braucht ein neues Verständnis von Landschaft als (über)lebenswichtigem Bestandteil unserer Städte, der sich förmlich verwebt mit der Architektur. „Wie wollen wir in Zukunft in der Stadt leben?“ wird die zentrale Frage sein.

Von hicklvesting

Was passiert, wenn nichts passiert?

Allen Herausforderungen zum Trotz wollen immer mehr Menschen in Städten leben. Knapp 80 Prozent der Bevölkerung in Deutschland werden es im Jahr 2030 wohl sein, prognostiziert das Online-Portal Statista. Und legt noch einen drauf: In den 14 Städten mit mehr als einer halben Million Einwohner wie Berlin, Hamburg und München wird vermutlich rund ein Fünftel aller Bundesbürger leben. Klar, dass sie alle ein Zuhause brauchen. Schier ungebremst Flächen an den Stadträndern mit Neubauten zuzupflastern ist aber keine sinnvolle Option mehr. Vielmehr geht es um die Transformation der Stadt, eine effiziente Stadtnutzung, die die Städte von innen heraus entwickelt und damit baulich verdichtet und räumlich kompakter gestaltet. Allerdings stößt auch das innerstädtische Verdichten an seine Grenzen, denn es reduziert die Flächen für Freiräume. Und die wenigen Flächen wiederum wollen von immer mehr Menschen intensiver und auf unterschiedlichste Weise genutzt werden. 

Dabei ist die Durchgrünung der Städte enorm wichtig, denn klimatische Veränderungen, hoch versiegelte Flächen und dichtere Baumassen verstärken sich gegenseitig – leider negativ. Beton und Asphalt halten im Sommer die Hitze. Oft fehlen durch die dichte Bebauung notwendige Frischluftschneisen, sodass selbst nachts kaum Abkühlung zu erwarten ist. Und immer heftigere Regenfälle bringen Abwassersysteme an ihre Leistungsgrenzen. Was passiert, wenn nichts passiert? 

Green City – die ndion-Reihe
Wir müssen Stadt neu denken: Wohnraumknappheit, Ausbau der E-Mobilität, Verödung der Innenstädte – Städte stehen vor großen Herausforderungen, was Nachhaltigkeit anbetrifft.
Wie können Stadtkonzepte in der Zukunft aussehen? Und wo wird finden sich bereits innovative Ideen, um Stadt neu zu denken? Das fragt die ndion-Reihe „Green City“. Wir werfen einen Blick zurück in die Vergangenheit, schauen auf Mobilitätskonzepte von morgen und auf die Gestaltung von Innenstädten.

Vielfältige Freiräume für eine bunte Gesellschaft

Wie wichtig die Wohnung und das unmittelbare Umfeld für unsere Lebensqualität sind, hat uns die Corona-Pandemie gezeigt. „Draußen sein zu können“ hat eine ganz neue Qualität bekommen. Mildere Durchschnittstemperaturen und ausgedehnte Wärmeperioden im Sommer locken die Menschen vermehrt ins Freie – vorausgesetzt, sie finden dort, was sie brauchen. Während anhaltender Hitzeperioden wie diesem Jahr sind dies vor allem Schatten und Abkühlung.

Transformation der Stadt Floating Forest
Beispiel für Renaturierung und die Schaffung von Erholungsräumen im urbanen Umfeld: Best of Best der ICONIC AWARDS 2022: Innovative Architecture Fish Tail Park in Nanchang City, © Kongjian Yu und Jin Zhang

Je „bunter“ unsere Gesellschaft wird, desto bunter sollten es die urbanen Freiräume sein, um individuelle Bedürfnisse zu befriedigen. Dazu gehören unterschiedliche Sportarten genauso dazu wie das Flanieren, Spielen, Feiern, Entspannen und Gärtnern. Vielerorts kann man schon beobachten, wie Menschen in selbst angelegten (Hoch-)Beeten buddeln, pflanzen, pflegen und ernten. Und das ohne sich an klassische Vereinsstrukturen oder Institutionen zu binden – einfach aus Freude und dem Bedürfnis, selbst zu kultivieren, was auf den Teller kommen soll. So manch eine oder einer baut beim „Urban Gardening“ Stress ab, tauscht sich mit Gleichgesinnten aus und verbindet sich unmittelbar mit der Natur. So tragen die grünen Oasen zu einem sozial stabilen Stadtquartier bei. 

Was zeichnet intelligente urbane Freiräume aus?

Vor allem Widerstandfähigkeit und Multifunktionalität sind es. Grünräume bieten Erholung, speichern Regenwasser, kühlen und ermöglichen biologische Vielfalt. Sie dienen als Frischluftschneisen und Kaltluftentstehungsgebiete, dämpfen Lärm, unterstützen die Reinhaltung der Luft und Regulierung der Temperatur. Das Grün in der Stadt wirkt sich nachweislich positiv auf das Stadtklima und die Gesundheit der Menschen aus. Klar, dass Grünräume allen Stadtbewohnern in ihrer Umgebung zur Verfügung gestellt werden müssen – unabhängig von der Lage und sozialen Struktur der Quartiere. Zumal die Qualität von Wohngebieten mit einem Mehr an grüner Infrastruktur steigt und auch zuvor weniger favorisierte Quartiere an Attraktivität gewinnen. Wenn flexibel nutzbarer Freiraum angeboten wird, akzeptieren wir auch mehr gebaute Dichte.

Transformation der Stadt Bahnhofsvorplatz Klobenstein
Integrierte Beete lockern das grafische Bild auf: Der Bahnhofsvorplatz von Klobenstein, Best of Best der ICONIC AWARDS 2022: Innovative Architecture, © Oskar Da Riz

Transformation der Stadt heißt: Nachverdichten und urbane Grünräume schaffen

Wird mit dem Ziel der Verdichtung neu gebaut, erweitert, aufgestockt oder bestehende Wohnungen umstrukturiert, bietet sich die Chance, gängige Wohnflächen und Grundrisse gründlich zu hinterfragen. Und die tiefgreifende Frage zu beantworten, wie viel Wohnraum wir zukünftig brauchen. Wieviel wir wirklich brauchen und beanspruchen wollen. Im Jahr 2021 nämlich betrug die durchschnittliche Pro-Kopf-Wohnfläche in Deutschland je Einwohner in Wohnungen 47,7 m². Anfang der 1990er-Jahre waren es noch knapp 35 m². Kommen wir nicht auch mit weniger Wohnraum aus, wenn der Grundriss gut durchdacht ist, die Räume vielfältig nutzbar sind, wir einzelne Funktionen auch auf gemeinschaftliche Flächen auslagern können und uns sowieso mehr im Freien aufhalten? Was als lichtdurchfluteter Wohn-, Koch- und Essbereich auf großzügiger Fläche angelegt ist, hat sich während der Pandemie mit teils beiden Elternteilen im Homeoffice als echte Belastungsprobe für die Familie entpuppt. Nachverdichten lässt sich sehr effektiv durch kleinere Wohnungen mit flexiblen Grundrissen und einzelnen Räumen, die durch gemeinschaftliche Flächen ergänzt werden.

Transformation der Stadt Spinnereihof Kolbenmoor
Winner der ICONIC AWARDS 2022: Innovative Architecture Spinnereihof in Kolbermoor als hybrides Gebäude zum Wohnen und Arbeiten ist ein Beitrag zum Thema Innerstädtische Nachverdichtung, © Daniel Schäfer

Um bauliche Dichte und urbanes Grün nun zu einem intelligenten Stadtkonzept zu verknüpfen, können Grünräume noch viel weitergedacht werden als in Form von Parks, Spielplätzen und Verkehrsinseln. Es sind die Oberflächen der Stadt, ihre Straßen und Parkplätze, Dächer und Fassaden, die – mehrfach genutzt – erhebliche Potenziale zur Transformation der Stadt bieten. Ziel ist es, Architektur und Grünräume als selbstverständliche Bestandteile einer gesunden Stadt zu verweben. Kreative Ideen lassen hier neue Architekturtypologien entstehen, die auf die Bedürfnisse der Bewohner reagieren. Urban Gardening weitergedacht hat beispielsweise das französische Architekturbüro SOA mit ihrem Projektstudie „La Tour Vivante“. Hier verknüpfen sich Wohnen, Freizeit und Arbeiten mit urbaner Landwirtschaft in einem Hochhaus, das als autarkes Versorgungs- und Energiesystem funktioniert. 

Städte besser verstehen – Fazit 

Eine Stadt ist ein vielschichtiges Gesamtgefüge: Eine Maßnahme beeinflusst viele Aspekte. Isoliert betrachtete Einzelmaßnahmen werden also keinen Bestand haben. Eine aktive Stadt impliziert vollkommen neue Elemente und Strategien der Stadtgestaltung. Erst durch die geschickte Addition und Vernetzung unterschiedlicher Maßnahmen kann aus einer gesunden Stadt auch eine lebenswerte Stadt werden. Hierbei sind neue Formen von Stadtlandschaften mit vielfältigen Freizeitangeboten, unterschiedlichen Grünräumen und nutzungsvermischten Stadtquartieren, ebenso wichtig wie technische Innovationen und ganzheitliche Gebäudelösungen. Das komplexe Gesamtgefüge bedarf einer Transformation der Stadt, bei der sich die Bestandteile ergänzen und gegenseitig stärken. 


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