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Unisex-Toilette
Viel Platz und Transparenz im Vorraum schafft Sicherheit und sorgt für Wohlbefinden – hier etwa an der Rhode Island School for Design, gestaltet von Workac, © Bruce Damonte

Schon längst ist die Debatte um Für und Wider von „All Gender WCs“ entbrannt. Denn mit der Frage nach Geschlechter-Diversität sind wir fast täglich beim Gang auf eine öffentliche Toilette konfrontiert. Wie sich der Konflikt durch Gestaltung der „Unisex-Toilette“ lösen lässt. 

Von Martina Metzner

Seit jeher ist die Toilettenkultur geprägt von gesellschaftlichen Konventionen und Ritualen. Im alten Rom saß man nebeneinander auf marmornen Latrinen und „machte Geschäfte“. Bis ins 18. Jahrhundert hinein verrichtete man seine Notdurft in aller Öffentlichkeit. Durch die Erfindung des Wasserclosets wurde das Urinieren und Defäkieren dann zunehmend privater und rückte hinter verschlossene Türen. Die geschlechtergetrennte Toilette im öffentlichen Raum wurde erst im 19. Jahrhundert von Großbritannien ausgehend eingeführt, als Frauen begannen zu arbeiten. Nach den Moralvorstellungen der viktorianischen Zeit galten Frauen als schutzbedürftiger.

Neue VDI-Richtlinie zur Gestaltung der Unisex-Toilette

Im Zuge von aktuell diskutierter „Gender Diversity“ stellt sich nun die Frage, ob und wie man die bislang getrennte Toiletten in der Öffentlichkeit neu gestalten kann, sodass sie auch nicht-binäre, Inter* und Trans*Menschen ohne weiteres nutzen können. In Deutschland hat diese Debatte seit dem Sommer 2022 Fahrt aufgenommen. Die Novellierung der Richtlinie VDI 6000 durch den Verband Deutscher Ingenieure beschreibt nun auch die Gestaltung von geschlechterunspezifischen Toiletten im öffentlichen Raum. Auch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird die Arbeitsstättenverordnung dahingehend ergänzen. Stand derzeit ist noch, dass eine gemeinschaftliche Toilette nur bei einer Unternehmensgröße von bis zu fünf Beschäftigten eingerichtet werden kann. Ansonsten sind getrennte Sanitäranlagen zu installieren.

Mit Unisex-Toiletten in öffentlichen Gebäuden verbinden sich Pros und Contras. Auf der Habenseite stehen die Geschlechter-Gleichstellung und Vermeidung von Diskriminierung. Nicht-binäre, Inter* und Trans*Menschen müssen sich beim Toilettengang nicht mehr für ein Geschlecht entscheiden und riskieren keine ausgrenzenden Reaktionen. Auch Eltern mit Kindern können die inklusiven Anlagen leichter und ohne Interessenskonflikte nutzen. Zudem ist die Unisex-Toilette deutlich platzsparender. Etwa 40 Prozent an Fläche könne gegenüber getrennten WCs eingespart werden, sagt Dirk Lange von Kadawittfeldarchitektur. Am Ende seien sie sogar sauberer, wie Erfahrungen an der Sägefeldschule in Ulm zeigen. Ein weiterer Pluspunkt: Die typischen Schlangen vor der Frauentoilette könnten dadurch vermieden werden.

Schutzräume für Frauen

Allerdings machen sich Bedenken breit, durch die gemeinsame Toilette würden Mädchen und Frauen Schutzräume fehlen. „Unter dem Deckmantel von Diversity und Inklusion werden so die Rechte von Frauen auf Privatsphäre, Würde und Sicherheit verletzt“, schreibt etwa Hanna Dahlberg auf der feministischen Seite stoerenfriedas.de. Feministinnen verweisen darauf, dass die getrennten Toiletten eine Errungenschaft für die Frauenrechte seien. Und es gibt weitere Argumente. Die United Nations konstatieren etwa, dass im globalen Süden Mädchen überwiegend nur zur Schule gehen, wenn es dort getrennte, abschließbare Toiletten gebe. Gerade in anderen Kulturen mit anderen Sitten und Religionen, etwa im islamischen Raum, sind getrennte Toiletten nur schwierig wegzudenken.

Verbreitung in öffentlichen Gebäuden, Bildungeinrichtungen, Büros

In skandinavischen Ländern sind die universellen Toiletten hingegen schon weit verbreitet, auch in Australien, Neuseeland und einigen US-Staaten. WCs in Flugzeugen und Bahnen sowie Toiletten für Menschen mit Behinderungen sind sowieso geschlechtsunspezifisch. Der Staat New York hat etwa 2016 verfügt, alle vorhandenen öffentlichen Einpersonen-Toiletten zu All Gender WCs zu transformieren. Auch Berlin hat 2016 beschlossen, Unisex-Toiletten in öffentlichen Gebäuden einzurichten. In den vergangenen Jahren taten sich hierzulande vor allem Bildungseinrichtungen wie Schulen und Hochschulen mit der gemeinsamen Toilette hervor – sind es doch vor allem die Jüngeren, die sich für Genderfragen besonders interessieren. Weitaus seltener findet man die Gemeinschafts-Toilette in Büros.

Unisex-Toilette
Die WC-Kabinen der Unisex-Toilette im Office von Mozilla in Berlin, gestaltet von De Winder Architekten, sind decken- und bodenbündig geschlossen, © Mark Seelen
Unisex-Toilette
Der Deutsche Fußball Bund präsentiert auf seinem neuen Campus in Frankfurt am Main eine diverse Toilette, © Claudia Krobitzsch

Dennoch gibt es Beispiele: So verfügt das von De Winder Architekten gestaltete Office des US-amerikanischen Internetunternehmens Mozilla über solch eine Sanitäranlage. Auch der Deutsche Fußball Bund präsentiert auf seinem neuen Campus in Frankfurt am Main eine diverse Toilette. Er begründet dies damit, dass sich so „alle bei uns willkommen fühlen und problemlos eine Toilette nutzen können.“ Allerdings sind in den meisten Fällen zusätzlich noch geschlechtergetrennte Toiletten vorhanden.

Vielzahl an Varianten

Unisex-Toilette
Die Beschilderung von All Gender WCs lässt sich etwa durch Piktogramme der enthaltenen Sanitäranlagen lösen, wie hier an einem Beispiel von HLW Architects aus New York, © HLW

Die Gestaltung einer Unisex-Toilette kann, muss aber nicht von herkömmlichen Toiletten abweichen. Es kommt darauf an, ob man es mit Bestand oder Neubau zu tun hat, mit Einpersonen- oder Mehrpersonen-Anlagen, darauf, wie viele sie nutzen. Und schließlich differenzieren die Richtlinien, je nach dem, um welchen Typus von öffentlichem Gebäude es sich handelt. Per se sei die Toilette als Produkt ja geschlechtsneutral, heißt es bei Villeroy & Boch. An der Produktform wird sich daher nichts ändern. Beim Urinal ist dies wiederum eine andere Diskussion, wobei es natürlich auch Urinale für Frauen gibt. Dazu aber später mehr. In den meisten Fällen hat man es mit Bestand zu tun: Erlaubt es die gebäudetypische Vorschrift, kann man die getrennten Toiletten für alle zugänglich machen, indem man sie umbenennt. Allerdings gibt es unterschiedliche Varianten: Man kann etwa die Frauen-Toilette für alle öffnen. Besser ist es aber, die Männer-Toilette in All Gender umzuwandeln, damit der Schutzraum für Frauen gewahrt bleibt. Allerdings zeigt die Praxis, dass dadurch die Geschlechtertrennung aufrechterhalten wird. Natürlich lassen sich auch gleichermaßen Herren- und Damen-WC zur universellen Nutzung einrichten. Die Behindertentoilette zur allgemeinen Nutzung freizugeben, empfiehlt sich aus Gründen des Diskriminierungsschutzes nicht.

Umgestaltung durch Piktogramme

Wie auch immer entschieden wird: Die Umgestaltung findet durch eine neue Beschilderung statt. Bewährt und von der nicht-binären Community präferiert werden Bezeichnungen wie „All Gender Toilette“, „WC für alle Geschlechter“ oder einfach nur „WC“ oder „Toilette“. Auch mit Piktogrammen wird gearbeitet. Im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt etwa prangen auf den Toiletten nun Aufkleber mit den jeweiligen Sanitäreinrichtungen. Anderswo werden die üblichen Gender-Symbole für Frauen und Männer ergänzt. Allerdings herrscht hier eine Vielzahl an Varianten für nicht-binäre Menschen vor. Darunter sieht man auch immer wieder ein Piktogramm, das einen Mensch zur einen Hälfte mit Hose und zur anderen mit Rock zeigt. Dies bedient Gender-Stereotype und ist daher kritisch zu bewerten.

Designempfehlungen für All Gender WCs

Am einfachsten ist es beim Neubau mit mehreren Toilettenanlagen: Hier kann man die „All Gender Toilette“ zusätzlich einrichten. Dafür sollten bestimmte Designrichtlinien eingehalten werden, um den Schutz, die Privatsphäre und die Hygieneanforderungen der Benutzerinnen und Benutzer zu wahren. Bewährt hat sich, im Vorraum der Toilette auf Transparenz zu setzen: Der Waschtischraum der Anlage sollte von außen zum Teil oder gänzlich einsehbar sein. Dies bietet Sicherheit vor eventuellen Übergriffen. Auch sollte es hier nicht zu eng sein: Mehr Platz ist angenehmer für die Benutzer*innen, weil sie sich nicht zu nahe kommen müssen. Wenn man besonders viel Platz hat, lassen sich die Waschbecken auch in der einzelnen Toilettenanlage installieren. Das generiert noch mehr Privatsphäre, ist aber teurer.

Unisex-Toilette
Öffentliche All Gender Toilette im Rahmen des „The Tokyo Toilet“-Projektes von Designerin Higashi Sanchome, Foto: Satoshi Nagare, provided by The Nippon Foundation
Unisex-Toilette
Mögliche Aufteilung einer All Gender Toilette – hier gestaltet von Mahlum Architects aus den USA, © Mahlum Architects

Dann ist vor allem über die Installierung von Urinalen zu entscheiden. Befürworter*innen führen die Platzeffizienz auf. Dennoch ist das Herren-Urinal ein Produkt, was per se geschlechtsspezifisch gestaltet ist. Wer für alle Geschlechter gestalten will, sollte es zumindest hinter einer verschlossenen Türe anbringen, wenn nicht ganz darauf verzichtet werden soll. Denn beim Anblick vom typisch maskulinen Stehpinkeln fühlen sich Frauen und nicht-binäre Menschen oft unwohl. Kabinen mit WCs hingegen sind von allen nutzbar. Bei der Gestaltung der WC-Kabinen ist auf bündige Wände und Türen von Boden zur Decke zu achten. Sie garantieren sowohl Sicht- als auch Geräuschschutz. Allerdings werden diese aufwendiger, was die Versorgung mit Licht und Klimatisierung angeht. Es empfiehlt sich zudem, jede Toilette mit eigenen, verschließbaren Abfallbehältern auszustatten, damit Frauen etwa gebrauchte Tampons oder Binden nicht zum Abfalleimer in den Vorraum tragen müssen.

Unisex-Toilette
An der Form der klassischen Toilettenschüssel muss nichts mehr gestaltet werden – sie ist per se geschlechtsunspezifisch und universell nutzbar, © Villeroy & Boch
Unisex-Toilette
Wenn Urinale gewünscht sind, dann bitte hinter verschlossener Türe. Dann ist es für alle Geschlechter angenehmer – wie hier am Beispiel von Villeroy & Boch am Stammsitz in Mettlach, © Villeroy & Boch
Unisex-Toilette
Für noch mehr Komfort in All Gender WCs sorgen Waschtische in den Kabinen – wie hier am Beispiel der Studie „PSS Hospitality“ von Sieger Design, © Sieger Design

Nutzerzentrierte Recherche im Vorfeld

Sicher ist eins: Es gibt nicht die eine Lösung für die Frage nach einer Toilette für alle. Es ist vor allem eine kulturelle Aufgabe, die mit sorgfältiger bedarfs- und nutzerorientierter Recherche einhergehen und mit Bedacht gestaltet werden sollte. Diskussion werden sich nicht vermeiden lassen – es wird Befürworter*innen sowie Gegner*innen geben, vor allem im Vorfeld. Man sollte beide Seiten hören und gelten lassen, die Entscheidung wird unterschiedlich ausfallen. Beachtet man die spezifischen Anforderungen zur Gestaltung von „All Gender Toiletten“, wird die allgemeine Akzeptanz spätestens durch den Gebrauch deutlich steigen. „All Genders welcome hat etwas mit sicherer Intimität zu tun. Ist die gewährleistet, kann bei der Badausstattung dann einfach auf ästhetisches Design und gute Funktion geachtet werden“, fasst es Roger Furrer, Global Marketing Director vom Sanitärhersteller Laufen aus der Schweiz, zusammen.

Design Guidelines für All Gender Bathrooms – weiterführende Links (Auszug)
www.stalled.online
www.gensler.com/blog/a-restroom-for-everyone
www.conceptcubiclesystems.co.uk/resources/things-to-consider-when-planning-a-gender-neutral-toilet.html


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